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Queeres Leben in Honduras: »Es fehlt an Toleranz«
Der Aktivist Fabrício Mendoza über sein Engagement für die queere Gemeinschaft in Honduras
Wie engagieren Sie sich?
Ich bin in dem Kollektiv Diamantes Limeños (Diamanten aus Lima). Das gibt es seit 2015 und es setzt sich für queere Menschen in Honduras ein. Ich bin seit 2017 dabei, zurzeit sind wir rund 35 Aktivist*innen.
Welche Arbeit macht ihr?
In Honduras gibt es rund um die Rechte von queeren Menschen viel zu tun. Wir arbeiten vor allem an Themen, bei denen die LGBTI-Community besonders vulnerabel ist, also zum Beispiel der Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung. Wir bearbeiten auch das Thema Arbeitsmarkt. Nicht alle haben da die gleichen Chancen. Für schwule Männer oder noch viel mehr für trans Frauen ist es viel schwieriger, gute Arbeit zu finden.
Inwiefern?
Wir wissen, dass es in den Unternehmen viele Vorurteile gibt. Menschen, die anders aussehen, haben es da schwer. Manchmal sind die Menschen ganz offen homophob.
Und welche Folgen hat das?
Viele queere Menschen gehen in die Prostitution, machen Sexarbeit. Einfach weil es keine anderen Arbeitsplätze für uns gibt. Politisch bekommt das Thema aber nicht viel Aufmerksamkeit.
Fabrício Mendoza lebt in der honduranischen Kleinstadt La Lima. Der 41-jährige Aktivist setzt sich für die queere Community in dem zentralamerikanischen Land ein.
War es für Sie auch schon einmal ein Problem, Arbeit zu finden?
Ja, es gab immer wieder schwierige Phasen, in denen ich arbeitslos war. Mit der Unterstützung von Freunden und Verwandten bin ich da immer irgendwie wieder rausgekommen.
Das klingt nicht einfach. Ein anderes Thema: Sind sexuell übertragbare Krankheiten ein großes Problem in Honduras?
Ja, auf jeden Fall. Natürlich gibt es viel Aufklärung. Alle wissen, dass man Kondome benutzen sollte, um sich vor Infektionen zu schützen. Aber das klappt nicht immer. Für die Behandlung von HIV gibt es inzwischen zum Glück gute Medikamente und die sind auch hier verfügbar. Aber das Medikament, das vor einer Infektion schützt, also Prep (Prä-Expositions-Prophylaxe), oft nicht.
Was heißt das?
In Honduras wurde Prep erst 2019 oder 2020 in einem Pilotprojekt der Nationalen Autonomen Universität in größerem Stil eingeführt. Dann haben einige Nichtregierungsorganisationen begonnen, es auszugeben. Ich war bei einem der Testprojekte dabei. Aber ich habe mich dann entschieden, das Medikament nicht zu nehmen, weil ich kein so aktives Sexleben habe und dachte, dass andere Menschen das Medikament eher brauchen als ich. Bis heute gibt es leider nicht in allen Gesundheitszentren Prep. Das ist ein Problem.
Was ist gerade die größte Herausforderung für queere Menschen im Land?
Wir kämpfen schon länger für ein Gesetz zur Geschlechtsidentität. Speziell für trans Personen wäre das echt wichtig. Bisher gibt es das nämlich noch nicht. Ein Vorschlag dazu liegt aktuell beim Nationalkongress. Wir hoffen, dass er durchkommt.
Heißt das, derzeit kann man seine offizielle Geschlechtsidentität nicht verändern?
Genau. Man kann auch den eingetragenen Namen nicht verändern. Es gibt aktuell vier Fälle, in denen vor Gericht darum gekämpft wird, das zu verändern, aber das ist ein wahnsinnig langer, komplizierter juristischer Prozess. Trotzdem muss man sagen: Seit die trans Frau Vicky Hernández 2009 von der Militärpolizei ermordet wurde, haben wir Fortschritte gemacht. Der Staat von Honduras will nun wirklich ein Gesetz zur Geschlechtsidentität ausarbeiten.
Das klingt ja gar nicht so schlecht.
Na ja. Trans Personen sind wirklich noch immer sehr verletzlich in Honduras. Wir können kleine Erfolge feiern, aber der Alltag der Menschen ist oft schwierig: Trans Menschen werden diskriminiert, wenn sie sich mit ihrem eingetragenen Namen ausweisen müssen, aber anders aussehen, als man angesichts des Geschlechtseintrags denken könnte.
Der Fall von Vicky Hernández liegt schon einige Jahre zurück. Ist Gewalt gegen queere Menschen in Honduras weiterhin ein Problem?
Ja, auf jeden Fall. Es wurden bis heute mehr als 450 Menschen aus der LGBTI-Community umgebracht, von denen wir wissen. In Wahrheit sind es wahrscheinlich noch mehr. Es gibt immer noch eine richtige Hasswelle gegen unsere Community, viel Diskriminierung. Es fehlt an Aufklärung und Toleranz. Immer wieder gibt es Aggressionen.
Wie fühlen Sie sich in solchen Situationen?
Schlecht natürlich, sehr schlecht. Wir sind doch auch Menschen mit Gefühlen. Es tut weh, grundlos so verletzt zu werden.
Wer stellt sich denn gegen queere Menschen?
Viele Menschen sind sehr konservativ hier in Honduras, und die Kirche hat einen großen Einfluss.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Könnte man aber sagen, insgesamt wird die Situation besser?
Es fühlt sich oft an wie das Gegenteil. Als ob alles immer schlimmer wird. Wir kämpfen noch immer oft allein, ohne öffentliche Unterstützung.
Gibt es denn die Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare zu heiraten?
Nein, leider nicht. Grundlage dafür wäre auch das Gesetz zur Geschlechtergerechtigkeit. Erst danach kann eine Ehe für alle eingeführt werden.
Wie beeinflusst Sie das alles in Ihrem privaten Leben?
Ich lebe mit meiner Schwester und ihren Kindern, meinen drei Nichten und Neffen. 2020 habe ich meine Mutter verloren, das war schlimm, denn ich lebe wirklich für meine Familie. Ich habe einen Partner, wir führen eine sehr schöne Beziehung. Bei mir zu Hause und auf meiner Arbeit werden wir akzeptiert. Ich arbeite in einem Projekt, das Menschen psychologisch und rechtlich unterstützt, da gibt es viel Sensibilität für die queere Community.
Das heißt, im Alltag fühlen Sie sich als schwuler Mann sicher?
Als meine Mutter noch am Leben war, habe ich mich lange sehr zurückgenommen. Sie war eine sehr respektable Frau, es hätte ihr nicht gefallen zu sehen, wie ich mit Männern ausgehe. Aber ansonsten hat sie mich akzeptiert. Von anderen höre ich manchmal abfällige Kommentare. Was mich besonders freut: Zwei meiner Nichten unterstützen queere Organisationen, obwohl sie selbst hetero sind.
Was gibt Ihnen die Motivation für Ihren Aktivismus?
Es gefällt mir, anderen zu helfen. Außerdem muss sich jemand dafür einsetzen, unsere Rechte zu verteidigen.
Gibt es da manchmal Erfolgsmomente? Das Gefühl, etwas verändern zu können?
Ja. Bei einem Markt in der Stadt La Lima sollten wir eigentlich einen Stand bekommen. Dann haben wir lange nichts gehört, und ich habe freundlich bei der Frau des Bürgermeisters nachgefragt, was los ist. Sie sagte dann, wir würden ihn nicht bekommen und wir seien eine Schande für die Stadt. Daraufhin haben wir einen offenen Brief geschrieben, auf die Diskriminierung aufmerksam gemacht. Das hat viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien bekommen, viele Menschen haben uns unterstützt. Die Frau des Bürgermeisters hat sich dann öffentlich entschuldigt. Das hat sich angefühlt wie ein Erfolg.
Woran arbeiten Diamantes Limeños aktuell?
Wir versuchen aufzuklären, Verständnis zu schaffen. Außerdem wollen wir eine Klinik speziell für queere Menschen einrichten. Wir versuchen auch, Partnerschaften und Allianzen mit anderen Organisationen aufzubauen, von denen wir hoffen, dass sich daraus Arbeitsplätze für queere Menschen ergeben. Das gibt mir ein bisschen Hoffnung. Früher war ich oft in Situationen, in denen ich Hilfe und Unterstützung brauchte. Heute kann ich anderen Menschen etwas zurückgeben und sie unterstützen.
Die Recherche in Honduras wurde von der Nichtregierungsorganisation Christliche Initiative Romero und dem EU-Projekt Climate Game On unterstützt.
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