- Politik
- Europawahl 2024
Frankreich: Jeder kämpft für sich allein
In Frankreich weist der Europawahlkampf einen starken Trend nach rechts auf
Der traditionell Ende Februar auf dem Pariser Messegelände stattfindende Landwirtschaftssalon gab in diesem Jahr einen Vorgeschmack auf die Wahl zum Europaparlament am 9. Juni. Für die Bauern, die seit Wochen gegen steigende Preise des Dieseltreibstoffs und gegen die viel zu niedrigen Aufkaufpreise für ihre Produkte protestieren, war der Salon eine Gelegenheit, ihre Forderungen gegenüber der Politik vorzubringen.
Dabei ging es vor allem bei den Rundgängen von Präsident Emmanuel Macron und von Ministerpräsident Gabriel Attal oft sehr laut und heftig zu. Einvernehmlicher verliefen dagegen die Diskussionen mit dem Spitzenkandidaten des rechtsextremen Rassemblement national RN, Jordan Bardella, zumal RN die Proteste mit angeheizt hatte.
Rechtsextreme mit Vorbehalten gegen die EU
Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl
Zwar sind die Rechtsextremen längst von ihren früheren Forderungen nach Austritt aus der Union und Abschaffung des Euro abgerückt, doch sie begleiten alles, was mit der EU zusammenhängt, mit Vorbehalten. Ihre Strategie für das Europaparlament besteht darin, »von innen heraus die Regeln zu ändern«.
Unlängst konnte Bardella eine Trophäe für seine Partei vorweisen. Fabrice Leggeri, ehemaliger Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, hat sich RN angeschlossen und bekam dort sofort für die Europawahl den Listenplatz 3. »Wir sind entschlossen, die Überschwemmung Europas durch Flüchtlinge zu bekämpfen«, sagte Leggeri.
Dass sich das Rassemblement auf illegale Einwanderung und »Überfremdung« konzentriert und unter diesem Blickwinkel auch soziale Themen behandelt, zahlt sich aus. Keine andere Partei ist auch nur annähernd so stark bei den Bauern, in den einkommensschwächsten Schichten und der unteren Mittelklasse verankert wie RN.
Europa ist für Rechte Generalprobe für Frankreich-Wahl
Entsprechend gut sind die Aussichten für die Europawahl, die gerade für RN als Generalprobe für die Präsidentschaftswahl 2027 und die sich anschließende Parlamentswahl gewertet wird. Jüngsten Umfragen zufolge kann das Rassemblement national mit Bardella an der Spitze mit 28 bis 29 Prozent der Stimmen rechnen, die Regierungspartei Renaissance dagegen nur mit 18 bis19 Prozent.
Zum Vergleich: Bei der Europawahl 2019, wo der damals erst 23-jährige Bardella auch schon Spitzenkandidat war, verzeichnete RN 23,3 Prozent der Stimmen. Damals lag RN allerdings nur knapp einen Prozentpunkt vor der Regierungspartei.
Renaissance hat lange gezögert, bevor sie in der letzten Februarwoche die 37-jährige Valérie Hayer als ihre Spitzenkandidatin nominierte. Sie ist der breiten Öffentlichkeit fast unbekannt, ist aber seit 2019 Abgeordnete im Europaparlament und leitet dort die liberaldemokratische Gruppe Renew, die 101 Abgeordnete aus 40 Parteien umfasst und die drittstärkste Formation darstellt. Hayers Schwerpunkte sind Themen wiedie Vorbereitung der EU-Mitgliedschaft der Ukraine sowie die Landwirtschaftspolitik, die Migration, der ökologische Wandel und die gemeinsame europäische Verteidigung.
Linke können sich nicht auf gemeinsame Liste einigen
Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa
Die rechte Oppositionspartei der Republikaner LR mit ihrem Spitzenkandidaten François-Xavier Bellamy hat über die Landwirtschafts- und Regionalpolitik hinaus noch keine zentralen Wahlkampfthemen festgelegt. Vorrang hat, die Wähler zu überzeugen, dass jede Stimme gebraucht wird, um die Partei zurück aufs politische Parkett zu holen. Bei den Parlamentswahlen 2017 und 2022 stürzte die einstige Regierungspartei bis auf den Status einer Splitterpartei ab und bei der Europawahl 2019 erhielt sie nur 8,5 Prozent.
Kritisch ist die Lage auch für die linken Parteien, die in der Nationalversammlung das Bündnis Nupes bilden, die sich aber für die Europawahl auf keine gemeinsame Liste einigen konnten. Die Liste von La France insoumise (LFI) wird wieder von Manon Aubry angeführt; 2019 erzielte die Liste 6,3 Prozent und zog mit sechs Abgeordneten ins Parlament ein. Diesmal sagen die Umfragen LFI acht bis zehn Prozent voraus. Für Aubry stehen der Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen, die Unterstützung der Ukrainer und der Palästinenser sowie die Bekämpfung von Steuerflucht und Korruption im Mittelpunkt.
Sozialisten setzen auf Industrie und Innovation
Bei den Sozialisten, die 2019 mit 6,2 Prozent sechs Sitze erreichten, steht erneut der Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann an der Spitze der Liste. Die Partei kann mit neun bis zehn Prozent der Stimmen rechnen. Die PS will die EU durch gemeinsame Verteidigung und durch Reindustrialisierung mit nachhaltigen Innovationen zu einem gewichtigen Faktor in der Weltwirtschaft machen.
Rückläufig ist der Trend bei den Grünen, die 2019 unter ihrem Spitzenkandidaten Yannick Jadot 13,5 Prozent der Stimmen und 13 Sitze erzielten. Jetzt unter Marie Toussaint stagnieren sie in den Prognosen bei acht Prozent. Die Kommunisten treten mit einer Kandidatenliste an, die durch Léon Deffontaines angeführt wird. Die Umfragen sagen ihr voraus, dass sie wie 2019 an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.