Zensurversuche aus Baku

Aserbaidschanische Organisationen üben Druck auf deutschen Thinktank aus

  • Melanie M. Klimmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als 100 000 Armenier sind nach dem Sieg der aserbaidschanischen Armee im Krieg um Berg-Karabach vertrieben worden, die staatlichen Institutionen wurden zu Jahresbeginn aufgelöst. Nun wird befürchtet, dass das Jahrtausende alte armenische Kulturgut in der Region durch die aserbaidschanische Armee zerstört werden könnte – ähnlich wie schon 1997 und 2006 in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan: 28 000 Baudenkmäler wurden dort zunichte gemacht, ein armenischer Friedhof musste einem Truppenübungsplatz weichen. Es gebe sehr gute Gründe, sich zu fragen, wie ein internationaler Schutz aussehen könnte, sagt Osteuropa-Expertin Dr. Tessa Hofmann dem »nd«: »Gegenwärtig zerstören aserbaidschanische Streitkräfte armenische Friedhöfe in Arzach und prahlen in Sozialen Medien mit ihren Taten.« Arzach ist die armenische Bezeichnung für Berg-Karabach.

Hofmann ist Mitautorin des Sammelbandes »Das kulturelle Erbe von Arzach«, der am 6. März in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) präsentiert werden sollte. Zwanzig aserbaidschanische Organisationen hatten jedoch am 3. März in einem Offenen Brief, die Veranstalter DGAP und Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) dazu aufgefordert, die Buchpräsentation abzusagen. Der Brief wurde sogar von der staatlich-aserbaidschanischen Nachrichtenagentur azertac veröffentlicht.

»Begleitet wird dieser Protest durch öffentliche Tweets, E-Mails und Nachrichten von Bot-Accounts, die haufenweise die Accounts des Chefredakteurs der Zeitschrift IP, des Geschäftsführers der DGAP und des ehemaligen Direktors fluten«, sagte Wiebke Ewering, Leiterin Presse und Kommunikation der DGAP, am Mittwoch dem »nd«. Ein Teil der Nachrichten habe direkte Drohungen enthalten, die darauf abzielten, Unsicherheit und Angst zu verbreiten. Gegen die Veranstalter habe es Propaganda-Vorwürfe und haltlose Anschuldigungen wegen angeblich islamophober, einseitiger Darstellung und der Unterwanderung der Friedensverhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan gegeben. Außerdem habe es den Versuch einer direkten Einflussnahme von Seiten des aserbaidschanischen Botschafters auf den Geschäftsführer der DGAP gegeben.

Die Friedensgespräche, auf die sich die 20 Organisationen berufen, fanden Ende Februar in Berlin statt und blieben ergebnisoffen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dafür zwischen dem Außenminister Armeniens und Aserbaidschans nach der Münchner Sicherheitskonferenz vermittelt. Friedensgespräche wären zum jetzigen Zeitpunkt ein Diktatfrieden, aufgezwungen durch Aserbaidschans Präsidenten Ilham Haydar Alijew, der die Landesgrenzen neu ziehen und einen von Aserbaidschan kontrollierten »Korridor« auf armenischem Hoheitsgebiet erreichen will, was der armenische Präsident Nikol Paschinjan bisher ablehnt. Auch hat es noch keine völkerrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen des Alijew-Regimes durch den Internationalen Strafgerichtshof gegeben, und es fehlt für die vielen Vertriebenen die Aussicht auf Rückkehr in ihre Heimat Berg-Karabach.

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Parallel zur Veranstaltung genehmigten Berliner Behörden eine Demonstration aserbaidschanischer Organisationen vor der DGAP gegen die angebliche Ignoranz armenischer Verbrechen, womit weiterer Druck erzeugt werden konnte. Da ein konstruktiver, sicherer Diskussionsraum nicht mehr zu gewährleisten war, habe man sich für den virtuellen Raum entschieden, so die Sprecherin Wiebke Ewering.

Es sei äußerst bedenklich, wenn ohne Not einer Drohkulisse des autoritären Alijew-Regimes nachgegeben werde, meint die Mitautorin des Sammelbandes Dr. Tessa Hofmann. Aserbaidschan nutze seine Schlüsselposition zwischen dem Westen und dessen Gegnern Russland und Iran aus. »Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrhunderts musste die armenische Zivilgesellschaft hinnehmen, dass die Weltöffentlichkeit auf ihre Vernichtung mit Gleichgültigkeit reagiert«, sagt die Südkaukasus-Expertin. Das habe Aserbeidschan das Signal gegeben, noch mehr zu wagen.

Dass Alijews geopolitische Interessen in Berg-Karabach den wirtschaftlichen und energiepolitischen Interessen des Westens nicht ganz ungelegen kommen, machen auch der ARD-Spielfilm »Am Abgrund« und die nachfolgende Dokumentation am gleichen Abend deutlich. Sie folgen der Spur erfolgreicher Bestechung und Beeinflussung von Europaratsmitgliedern durch Baku und zeigen auf, wie europäische Firmen vom reichen Bodenschatz Berg-Karabachs profitieren.

Doch nicht ohne Konsequenz. »Das Alijew-Regime fühlt sich offenbar so sicher, dass es seine autoritären Praktiken nach Deutschland exportiert, um durch die staatliche Finanzierung von «Gongos» (von Regierungsseite gesteuerte NGOs, die Red.) Einfluss darauf zu nehmen, was hierzulande gesagt werden darf und was nicht«, sagt Dr. Stefan Meister, Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien an der DGAP gegenüber dem »nd«. Nachdem bekannt wurde, dass die Veranstaltung digital stattfinden wird, war bei azertac zu lesen, dass dies das »Ergebnis der Aktivitäten der aserbaidschanischen Diaspora« sei. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, sagt Meister, da die aserbaidschanische Botschaft eine zentrale Rolle bei deren Aktivierung spiele.

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