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Großbritannien: Historischer Sieg gegen Amazon?
Die britische Gewerkschaft GMB könnte beim Logistikkonzern bald offiziell anerkannt werden
Den Angestellten von Amazon in Großbritannien könnte bald ein großer Coup gelingen. Im Logistikzentrum in Coventry, einem der größten Amazon-Lager im Land, könnte der US-Gigant zur Anerkennung einer Gewerkschaft gezwungen werden. Einen entsprechenden Antrag hat die GMB letzte Woche gestellt. Es wäre eine Premiere in Großbritannien: Noch nie hat Amazon dort eine Gewerkschaft als offizielle Stimme ihrer Beschäftigten anerkannt.
Die GMB ist sich sicher, dass ihr Vorstoß erfolgreich sein wird. Wenn mindestens fünfzig Prozent der Belegschaft zu einer Gewerkschaft gehören, muss sie laut britischem Arbeitsrecht automatisch anerkannt werden. Entscheiden wird das Central Arbitration Committee (CAC), der britische Schlichtungsausschuss, bei dem die GMB ihren Antrag eingereicht hat. »Ich bin überzeugt, dass wir diese Schwelle locker überschreiten werden«, sagt Tom Rigby, Organizer bei der GMB in Coventry, gegenüber »nd«. »Aber wir wissen auch, dass Amazon alle Register ziehen wird, um eine Anerkennung zu verhindern.«
Die GMB-Mitglieder in Coventry haben schon reichlich Erfahrung mit den Methoden von Amazon. Im vergangenen Sommer hatte die Gewerkschaft erstmals einen Antrag auf Anerkennung gestellt, als laut ihrer Zählung deutlich mehr als die Hälfte der Belegschaft zur Gewerkschaft gehörten. Aber dann begann Amazon kurzfristig, neue Leute einzustellen. Laut GMB rekrutierte das Unternehmen innerhalb einer Woche tausend neue Angestellte, um den Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter die 50-Prozent-Marke zu drücken. Die GMB war gezwungen, ihren Antrag zurückzuziehen. »So etwas könnten sie erneut versuchen«, sagt Rigby. Dennoch ist er zuversichtlich. »Derzeit ist richtig Schwung in unserer Gewerkschaft« – jeder Streiktag bringe Dutzende Neumitglieder.
Die Streikbewegung bei Amazon formierte sich vor über zwei Jahren. Anfang 2023 legten dann erstmals etwa siebzig Beschäftigte in Coventry die Arbeit nieder. Ihre Forderung: ein Stundenlohn von 15 Pfund (17,61 Euro). Damals verdienten sie knapp 11 Pfund (12,91 Euro) pro Stunde – angesichts der galoppierenden Inflation und hohen Energiepreise für viele zu wenig, um über die Runden zu kommen. Seither hat die Belegschaft über dreißig Streiktage absolviert und die Gewerkschaft ist auf mehrere Hundert Mitglieder gewachsen.
Entscheidend ist laut Tom Rigby, dass der Streik nicht von GMB-Funktionären angeführt wird, sondern von den Angestellten selbst: »Amazon versucht, die Gewerkschaft als Drittpartei darzustellen, also als eine Organisation, die sich zwischen die Arbeiter und den Arbeitgeber stellt.« Aber in Coventry organisieren sich die Angestellten selbst, »sie sprechen als Kollektiv«.
So wird etwa alle Kommunikation zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern von den Angestellten selbst in alle erforderlichen Sprachen übersetzt – die Belegschaft ist sehr international, viele kommen vom Horn von Afrika, aus Westafrika und Südasien. Auch hat sich im Laufe des Streiks ein Netzwerk von »organischen Anführern« herausgebildet. Sie sind es, die über die Streiktermine entscheiden und versuchen, so viele ihrer Kolleginnen und Kollegen wie möglich in die GMB zu rekrutieren.
Wenn Amazon die GMB anerkennen müsste, würden daraus einige Verpflichtungen folgen: Der Konzern müsste sich mit der Gewerkschaft zusammensetzen, um über Lohn, Sicherheit am Arbeitsplatz sowie Arbeitsbedingungen zu sprechen. Aber Tom Rigby sagt, dass das vergangene Streikjahr die Belegschaft schon einen entscheidenden Schritt weitergebracht hat.
»Wir haben schon jetzt ein Netzwerk von Gewerkschaftsvertretern, die Angestellten bei Disziplinarverfahren beistehen. Und bei Problemen, die die ganze Belegschaft betreffen, beschweren wir uns als Kollektiv.« De facto gebe es also bereits eine Gewerkschaftsvertretung in Coventry.
Auch bei der Frage des Lohns haben die Amazon-Angestellten gemerkt, dass eine Gewerkschaft nützlich sein kann. »Amazon hat im Sektor relativ hohe Lohnerhöhungen umgesetzt: insgesamt um etwa 12 Prozent in den vergangenen 18 Monaten. Im Coventry-Lager waren es sogar 17 Prozent«, sagt Rigby. »Sie dachten wohl, dass das der Gewerkschaft den Wind aus den Segeln nehmen würde. Aber der Schuss ist komplett nach hinten losgegangen, denn die Angestellten haben gemerkt, dass die Lohnerhöhung nur dank der Gewerkschaft erreicht wurde.«
Ob Amazon die GMB anerkennen muss, wird das CAC in den kommenden Wochen entscheiden. Bereits jetzt gibt es Anzeichen, dass die Unternehmensführung erneut versucht, mehr Leute einzustellen, um die Pläne der Gewerkschaft zu durchkreuzen, sagt Rigby. Unterdessen sind die nächsten Streiks angekündigt: Am 19. und 20. März wird in Coventry erneut die Arbeit ruhen – und wieder dürfte die GMB um einige Mitglieder stärker werden.
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