Mit Campino in der Kakophonie

Endlich wird der Vorsteher der Toten Hosen Gastprofessor

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Welt ist endgültig verrückt geworden. Der letzte Beweis dafür wurde am vergangenen Montag erbracht: Campino, mit bürgerlichem Namen Andreas Frege, 61, seines Zeichens »Sänger« der beliebten Schlagercombo Die Toten Hosen und in den letzten 30 Jahren vor allem verhaltensauffällig geworden als sozialdemokratischer Minimaldenker und hundertprozentig verlässlicher Adabei, wird »Gastprofessor« an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Die Deutschland-Illustrierte »Der Spiegel« bezeichnet den bislang nicht gerade als Top-Denker zu Ruhm gekommenen Medienkasper zwar als »Punk«, aber das hat nichts zu bedeuten. Der »Spiegel« tituliert bekanntermaßen auch das TV-Maskottchen Richard David Precht ohne Wimpernzucken und ohne jeden Anflug von Scham als »Philosoph«. Und der Sprechautomat Robert Habeck, das beste Gleitmittel des deutschen Bundestages, wird von seinem Verlag ernsthaft »Provokateur« genannt. Words come easy.

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Campino, Professor, Heinrich Heine, Universität. Man muss den entscheidenden Satz, diesen in der Tat vollkommen wahnsinnigen Satz, noch einmal sehr langsam lesen, damit man es wirklich glauben kann, denn es handelt sich um eine für die Minderheit der gegenwärtig noch halbwegs zum Denken befähigten und normal empfindenden Menschen extrem verstörende Nachricht: Campino wird Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität. »Die Nachfrage für die Vorlesungen ist nach Angaben der Uni so groß, dass sie die Karten dafür ausschließlich online verlost« (WDR).

Nicht nur also waltet hier, in der enthemmtesten Dummbeutel- und Spektakelgesellschaft, offenbar die nackteste und finsterste Wirrsal, auch die Gültigkeit des lange umstrittenen »Entropiegesetzes« der Physik, wonach alle Entwicklungsvorgänge auf dem Erdball zu wachsendem Chaos führen, dürfte hiermit zweifelsfrei nachgewiesen sein.

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Wenn die Nachricht stimmt – und sie stimmt, denn nicht irgendeine übel beleumundete Fake-News-Schleuder, sondern seriöse Presseagenturen haben sie stolz verkündet –, werden wir uns schon mal darauf vorbereiten müssen, dass viele Dinge in unserer Gesellschaft sich drastisch verändern werden, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Dass es also komplett wurscht ist, ob in die nächste Auflage von Theodor W. Adornos »Minima Moralia« aus Daffke einfach die Tweets von Dieter Bohlen mitaufgenommen werden oder ob Joko und Klaas dieses Jahr den Nobelpreis für Ideologiekritik bekommen.

Denn die Schleusen sind sozusagen volle Kanne geöffnet. Jetzt ist praktisch alles möglich: Mathias Döpfner wird Herausgeber der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke von Karl Kraus. Barbara Schöneberger entdeckt den Zauber der Stille. Jakob Augstein wird Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft. Und warum auch nicht? Anything goes.

Der Titel der »Vorlesung«, die Campino voraussichtlich Ende April halten wird, lautet: »Alle haben was zu sagen. Die Kakophonie unserer Zeit«. Ein gut gewählter Titel! Mit dem Machen unangenehm klingender Geräusche (Kakophonie) kennt der Mann sich fraglos aus. Und sagen, was die anderen auch sagen, nur unbeholfener, und es öffentlich mitteilen, das kann er auch.

In einer Gesellschaft, in der nichts mehr irgendetwas bedeutet, in der der grenzenlose Opportunismus, das freimütig hervorgekehrte totale Einverstandensein mit ausnahmslos allem und die permanente Bereitschaft, jederzeit das eigene Gesicht in jede bereitstehende Kamera zu halten, als die zentralen Tugenden gelten und in der ein eigenschaftsloser Knilch Bundeskanzler werden kann, kann logischerweise auch ein Campino »Gastprofessor« werden. »Vor Campino waren Helmut Schmidt, Juli Zeh, Wolf Biermann, Siegfried Lenz, Joschka Fischer, Antje Vollmer, Kardinal Karl Lehmann, Ulrich Wickert, Joachim Gauck und zuletzt Klaus-Maria Brandauer Heine-Gastprofessoren« (»Der Spiegel«). Fehlen eigentlich nur noch Lars Eidinger, Ulf Poschardt und Erika Steinbach.

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