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Altersarmut: Kein Gehalt, kein Gehör
Eine Diskussion zu Armut im Alter mit Betroffenen
Noch vor dem offiziellen Beginn des Online-Podiums schaltet sich Beate Behrens ins Bild: »Ich werde meine Kamera vor meinem Redebeitrag ausschalten, um Strom zu sparen«, verkündet sie und schon ist ihr Bildschirm schwarz. Es ist ein ungewöhnliches Podium, welches das Gremium Armut und Gesundheit am Dienstag im Laufe des gleichnamigen Kongresses abhält. Während in der Regel Vertreter*innen aus Wissenschaft und Politik diskutieren, geht es hier darum, Armutsbetroffene, Aktive sowie Personen aus Politik und beruflicher Praxis an einen virtuellen Tisch zu bekommen. Sie diskutieren über Erwerbsminderungsrente, Grundsicherung, Probleme und Lösungen.
Behrens hält zu Beginn einen der Impulsvorträge. Sie wird in diesem Jahr 70, ist Rentnerin, Multiple-Sklerose-Patientin und Aktivistin unter dem Pseudonym »Zeugin der Armut«. Seit einigen Jahren erhält sie die Grundsicherung. Das ist eine Sozialleistung, die Menschen mit geringer Altersrente zusteht oder mit voller Erwerbsminderungsrente, also Personen, die bereits vor dem gesetzlichen Rentenalter nicht mehr arbeiten können. Für den Bezug der Grundsicherung muss Behrens einmal pro Jahr ihren Kontostand offenlegen. Das fühle sich für sie an, als müsse sie sich »nackt ausziehen«, sagt sie und plädiert für entbürokratisierte Zugänge.
Ein bürokratischer Dschungel
Stephanie Aeffner von Bündnis 90/Die Grünen stimmt ihr zu. Zu viel Geld fließe in Personal, das Menschen mit Mindestbezügen kontrolliere. Die Bürokratisierung sei »ein großes Problem«, gibt auch Dina Frommert vom Deutschen Rentenversicherungsbund zu. Zwar passiere in den Ämtern alles mit juristischer Korrektheit, es werde aber übersehen, Übersetzungsarbeit zu leisten. Betroffene müssten sich häufig in einem »bürokratischen Dschungel« zurechtfinden, auch wenn es inzwischen eine neue Abteilung für »einfache Sprache« gebe.
Viel wichtiger als einfache Sprache sei eine Aufwertung der persönlichen Beratung, entgegnet Dieter Lutz, Referatsleiter im Ministerium für Arbeit und Soziales. Der Fachkräftemangel mache sich auch bei den Ämtern bemerkbar. Der 70-jährigen Renate Antonie Krause geht das alles nicht weit genug, um den »entwürdigenden« Zustand der Rente in Armut zu ändern, in dem auch sie sich nach 45 Jahren Berufstätigkeit befindet. Warum, fragt sich Krause, müssen armutsbetroffenen Menschen viele Anträge ausfüllen, um Grundsicherung zu erhalten? Sollte ihnen der Staat diese nicht automatisch anbieten?
Einen Automatisierungsprozess, ähnlich jenem Vorschlag von Krause, durchläuft die Ampel momentan mit der Kindergrundsicherung. Künftig soll jährlich ausgerechnet werden, ob Eltern zusätzliche finanzielle Hilfe des Staats zustehe. »Mitarbeitende sollen primär Menschen beraten und weniger mit Papier beschäftigt sein«, so stellt sich das Aeffner vor. Ein Schritt, der auch Digitalisierung erfordert. Bei 18 Millionen digitalen Analphabeten 2018 und gerade bei Rentner*innen noch ein weiter Weg.
Worüber sich auf dem Podium alle einig sind: Der gesellschaftliche Diskurs zum Thema Armutsbetroffenheit ist unzureichend. Menschen, die von ihren Erfahrungen berichten, werden angefeindet, ihnen begegnen Vorurteile. Der gehässige Diskurs, den die Debatte um das Bürgergeld ausgelöst hat, ist exemplarisch dafür. Dass es sich bei den betroffenen Personen um Menschen mit diversen Schicksalen handelt, wird ausgeblendet. Auch von Regierungspolitiker*innen, die selten selbst Armutserfahrungen haben.
Das Problem ist politisch erzeugt
Seit der Rentenreform 2002 ist die Altersarmut in Deutschland eklatant gestiegen; mehr als jeder fünfte Mensch über 80 Jahren ist inzwischen von Armut betroffen. Bei Frauen ist der Anteil noch höher. »Ein Stück weit ist das Problem politisch gemacht«, erklärt Claudia Vogel, Soziologieprofessorin an der Universität Neubrandenburg. Bei progressiven Vorstößen werde der Widerstand von liberaler Seite stärker. Darum würden Vorurteile angeheizt. Ändern könnte das eine größere Sichtbarkeit armutsbetroffener Menschen, in den Ämtern und in der Politik.
Krause hat das letzte Wort, und ihr reichen die Forderungen – erneut – nicht. Sie wünscht sich, dass ihre Lebensleistungen anerkannt werden, durch Zuhören und materielle Leistungen, außerdem: »ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein selbstbestimmtes Leben«.
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