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Ukraine-Krieg: Folter mit »klarer Politik und Systematik«

UN-Bericht dokumentiert zahlreiche Kriegsverbrechen

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.
Erik Møse, Vorsitzender der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine
Erik Møse, Vorsitzender der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine

Erik Møse ist ein Mann, der Worte mit Bedacht wählt. Seit genau zwei Jahren untersucht er im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates die Menschenrechtslage in der Ukraine. Am Freitag stellte der norwegische Richter zusammen mit der aus Indien stammenden Expertin Vrinda Grover erneut einen Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine vor. Der Bericht liest sich wie eine Ideensammlung für einen Horrorfilm.

Viel ist da die Rede von Mustern in der russischen Vorgehensweise, die nach zwei Jahren Krieg erkennbar würden; einem Muster der Sorglosigkeit gegenüber Zivilisten; einem Muster von Folter, einem Muster sexueller Gewalt gegen Zivilisten wie Kriegsgefangene, einem Muster der Verschleppung von Kindern, einem Muster der Plünderung oder Zerstörung von Kulturschätzen. Und vor allem aber auch: Mustern bei der Vorgehensweise und bei der Durchführung all dieser Handlungen.

Møse ist Jurist, er war Mitglied des internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda. Bei der Präsentation des Berichts am Freitag sagte er konkret in Bezug auf Folter: Die inhaltlichen Parallelen in den Schilderungen von Opfern legten nahe, »dass es eine klare Politik und Systematik« gebe, in der »Art und Weise, in der Folter praktiziert wird«.

Und es wird noch ein Muster erwähnt in der Arbeit der UN-Untersuchungskommission: der Unwille Russlands zur Kooperation. Alle 23 schriftlichen Anfragen an russische Stellen seien im abgelaufenen Untersuchungszeitraum unbeantwortet geblieben.

Dabei hat die Kommission laut Mandat nicht nur Russland im Visier. Auch ukrainische Vergehen werden in dem Bericht geschildert. Dabei geht es vor allem um Personen, die der Kollaboration mit Russland verdächtigt und zunächst ohne Angabe von Gründen verhaftet wurden. Aber auch der nicht aufgeklärte Beschuss eines Marktes in Donetsk im April 2023 wird erwähnt. Näheres habe man dazu aber nicht ermitteln können, weil aufgrund der Verweigerung Russlands kein Zugang bestehe.

Die Verteilung der Beweislast ist erdrückend. Zusammenfassend ist in dem Bericht von »wahllosen Angriffe der russischen Streitkräfte« zu lesen, die zu zivilen Opfern sowie zur »Beschädigung von zivilen Objekten geführt« habe. Die »Vielzahl solcher Angriffe zeigt, dass die russischen Streitkräfte mögliche Schäden für die Zivilbevölkerung außer Acht lassen«.

Das bezieht sich nicht nur auf Kampfgebiete. Erwähnt wird etwa der Beschuss ziviler Ziele durch Russland zu Zeitpunkten, die auf eine bewusste Maximierung der Opfer schließen lasse, etwa wenn ein Restaurant in den Abendstunden beschossen werde.

Die Rede ist in weiterer Folge von »Beweisen für fortgesetzte Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht sowie für entsprechende Verbrechen, die von den russischen Behörden in der Ukraine begangen werden«. Hier kommt der Umgang mit Gefangenen ins Spiel – sowohl mit Zivilisten, als auch mit Kriegsgefangenen. Erik Møse hat dafür ein Wort: »schrecklich«.

Zusammengetragen hat die UN-Kommission zahlreiche Berichte über Gefangenschaftserfahrungen. Ein roter Faden: Folter und Vergewaltigungen ungeachtet des Geschlechts des Opfers – und auch ungeachtet des Alters. Die Opfer sind 15 bis 81 Jahre alt. Hinzu kommen Berichte über Folter mit Strom, Scheinerschießungen, willkürliche Tötungen, systematische Erniedrigungen, chronische Unterversorgung mit Nahrung, Wasser und Medizin, Schläge. All das sei »verbreitet und systematisch«, so Møse.

Er nennt Beispiele: ein ukrainischer Soldat, der nach langer Gefangenschaft mit zahlreichen gebrochenen Knochen an die Ukraine übergeben wurde und 36 Spitalsbehandlungen benötigte. Oder eine schwangere Mutter, die mit der 17-jährigen Freundin des Sohnes vor eben diesem vergewaltigt wurde. Oder die Frau eines ukrainischen Soldaten in Cherson, die verhört, mit der Ermordung bedroht, inhaftiert, misshandelt, gefoltert, unter Todesdrohungen zu Zwangsarbeit verpflichtet und dann mehrmals vergewaltigt wurde.

Das Ziel solcher Misshandlungen ist laut Møse, egal ob es sich um Kriegsgefangene oder Zivilisten handelt, die verdächtigt würden, »Ukraine-Sympathisant« zu sein: »Informationsgewinnung und Erniedrigung.«

Resultiert all das in einem Genozid oder trägt genozidäre Züge? Møse nennt dazu vor allem die russische Medienberichterstattung, die »enthumanisierende Sprache« verwende und in der »zur Tötung einer großen Anzahl von Personen« aufgerufen werde. Zu einem Ergebnis, was diese Frage angehe, sei man aber noch nicht gekommen.

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