Heavy Metal: Der heilsame Schock

Wie der moderne Heavy Metal in die Welt kam

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 7 Min.
Wechselstrom ist angestellt. AC/DC bei einem Konzert im Januar 1986.
Wechselstrom ist angestellt. AC/DC bei einem Konzert im Januar 1986.

Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrtausends beginnt eine allgemeine Konsolidierungs- und Sublimierungsphase im Hardrock, die sich ganz gut an den Elaboraten der Genre-Gründungsväter ablesen lässt. Led Zeppelin veröffentlichen 1975 ihre prätentiöse Doppel-LP »Physical Graffiti«, die sich kalkuliert in eine Reihe stellt mit »Sgt. Pepper«, dem Beatles-Album, das die Rockmusik endgültig als Kunstform etablierte. »Kashmir«, der berühmteste Song des Albums macht die Probe aufs Exempel – mit seinem schwankenden Wüstenschiff-Metrum, den filmischen Strings und Bläsern, den exotischen Mellotron-Arabesken straft es alle Verächter Lügen, die Led Zeppelin immer noch als bloße Heavy-Band abtun wollen. Das ist keine Hitparaden-Ware mehr, das ist Kunst.

Black Sabbath haben bereits auf »Sabbath Bloody Sabbath« begonnen, ihre Progressivität unter Beweis zu stellen; bei »Sabotage« (1975), ihrem mit einer zweimonatigen Produktionszeit ausgefeiltesten und teuersten Album, gibt sich Tony Iommi, zum Leidwesen von Ozzy Osbourne, der einfach nur weiterrocken will, seiner obsessiven Lust an der Studiotüftelei hin. Das hört man: »Supertzar« klingt durch den raumgreifenden Einsatz des English Chamber Choirs eher wie der Score zu einem Sandalenfilm, und »Megalomania«, nomen est omen, wächst sich zu einer zähen zehnminütigen Prog-Suite aus.

Auch Deep Purple transformieren sich. David Coverdale und Glenn Hughes, die beiden Neuzugänge, mischen auf dem Album »Stormbringer« gut hörbar Funk und Soul in ihren Signature-Sound. Heldengitarrist Ritchie Blackmore verlässt auch deshalb bereits Anfang 1975 die Band und gründet Rainbow, um seinen klassischen Hardrock noch etwas epischer zu gestalten. Derweil rührt seine ehemalige, durch den wieselflinken Tommy Bolin verstärkte Stammtruppe beim Nachfolger »Come Taste the Band« (1975) nun auch noch Fusion-Jazz in den Sound.

Aber auch Bands der zweiten Generation machen mit bei diesem sonischen Verfeinerungsprojekt. Queen, Thin Lizzy oder Boston kleistern mehrere Gitarrenspuren über- und nebeneinander, arrangieren ihre Riffs und Leads also fast wie einen Streichersatz. Queens Brian May ist der König der Mehrstimmigkeit. Seine opulenten, mit Kalkül gekünstelten Gitarrenbreitseiten werden zu seinem Markenzeichen und kommen schon auf dem dritten Album »Sheer Heart Attack« von 1974 zur vollen Prachtentfaltung.

Und was ist los in Deutschland? Das hat sich im Krautrock zwar klangästhetisch, kompositorisch und auch spieltechnisch emanzipiert, aber wer einen härteren Kurs einschlägt, schaut weiterhin auch und zunächst mal über den Ärmelkanal oder den großen Teich. Insofern findet die beschriebene artifizielle Verfeinerung des Hardrock Mitte der 70er ihren vielfältigen Niederschlag bei deutschen Produktionen. Lucifer’s Friends Fusion-Alben »Banquet« und »Mind Exploding«, das Heavy-Soul-Crossover auf Dirk Steffens’ Debüt »The Seventh Step« wären wohl kaum denkbar gewesen ohne internationale Vorbilder. Und auch ostdeutsche Produktionen wie Berlucs Heavy-Prog-Album »Reise zu den Sternen« partizipieren längst an dieser Entwicklung.

Zugleich bleibt aber auch der härtere Blues Rock, den Bands wie Free eingeführt haben und ihre Nachfolger Bad Company noch einmal kommerziell auf den Punkt bringen, weiterhin virulent. Den ersten Alben von Fargo (»Wishing Well«, 1979), Bastard (»Back To The Nature«, 1979) und Rated X (»Rock Blooded«, 1983) hört man noch deutlich an, wo sie sich inspirieren ließen. Dieses traditionalistische, bluesbasierte Reduktionsprogramm bekommt allerdings ab der zweiten Hälfte der 70er Fürsprecher, die es noch wesentlich überzeugender und letztlich auch einflussreicher interpretieren.

AC/DC klingen, als würden sie noch einmal von vorn anfangen wollen und den Rock ’n’ Roll neu erfinden, und in dieser Bedingungslosigkeit und Radikalität hat man das ja tatsächlich noch nicht gehört. Sie sind ein heilsamer Schock, ein Antidot gegen die Überfeinerung des Genres, spielen simplen Blues und Boogie, aber mit der unerbittlichen Härte und verschwenderischen Energie des Punk.

Eine Weile glaubt man sie dann auch als Punks verunglimpfen zu dürfen, aber das ist natürlich Unsinn. AC/DC fühlen sich keiner politischen Agenda verpflichtet, sondern einer konsequent ästhetischen. Sie beherrschen ihre Instrumente, spielen so pur und simpel, weil sie es wollen, nicht etwa, weil sie gar nicht anders könnten. Und ihre Riffs wirken dermaßen suggestiv, dass nicht nur Menschen mit sozialisationsbedingter Drüsenüberfunktion andauernd ihre Luftgitarren rausholen, um es ihnen gleichzutun, sondern auch richtige Holzgitarristen bei ihnen Maß nehmen. Bands wie Bullet, Breslau, die schweizerischen Krokus und Killer, sie alle haben bei den australischen Schweinerockern gelernt.

Accept sind es dann, die ein anderes Konzept weiterentwickeln und damit dem German Metal maßgebliche Impulse geben. Die harte Nieten-und-Leder-Masche von Judas Priest. Die Engländer sind zunächst an der Domestizierung des Hardrock durchaus beteiligt, mit ihren zweistimmigen Melodiesoli und den auf Schönklang setzenden, nicht ganz unvertrackten Kompositionen, aber sie suchen einen Ausweg und finden ihn eben nicht in der Simplifikation, sondern in der Eskalation. Rob Halfords Gesang wird extremer, keifender, sie ziehen das Tempo an und erhöhen die Impulsdichte.

Das alles beginnt mit »Let Us Prey/Call For The Priest« vom ’77er Album »Sin After Sin«, einem Song, der nicht zuletzt durch das Double-Bass-Geballer bereits die Umrisse des modernen Metal-Formats ausstanzt. Und spätestens bei der für damalige Verhältnisse anständig gedroschenen Schlussnummer »Dissident Aggressor« wissen dann wirklich alle, wohin die Reise geht.

Auf den beiden folgenden Alben aus dem Jahr 1978, »Stained Class« und »Killing Machine«, sind sie eine komplette Metal-Band in Vollledermontur. Nicht nur der Sound, auch ihr Outfit beeinflusst das Genre maßgeblich. Als im Jahr darauf die New Wave Of British Heavy Metal als das nächste große Ding ausgerufen wird und Raven, Samson, Praying Mantis und nicht zuletzt Saxon, Motörhead und Iron Maiden erste Erfolge feiern und ihrerseits Einfluss auf die deutsche Szene ausüben, können sie sich mit einigem Recht als Vorreiter der Bewegung auf die Schulter klopfen lassen.

Accept haben Judas Priest genau analysiert, und zwar nicht erst auf ihrer gemeinsamen Europa-Tour 1981. Schon auf dem zweiten, noch etwas schunkeligen Album »I’m A Rebel« erkennt man gerade beim anschlagintensiven Riffing und den Twin-Leads einen Nachhall des Dreamteams K. K. Downing und Glenn Tipton. Auf ihrem ’81er Durchbruchsalbum »Breaker« hingegen integrieren sie die Einflüsse und formen sie zu etwas Ureigenem.

Accept gehören zu den Vorkämpfern in Deutschland, zumindest im Vollprofibereich. Bands wie Sin City (»Call Me A Rebel«, 7-Inch) und Railway (»Just Imagination«, EP) machen im selben Jahr erste Gehversuche im Studio und klingen insofern noch etwas wackelig. Die Hamburger Rampage sind da durchaus schon weiter, aber ihr Debüt »Victims Of Rock«, ebenfalls aus dem Jahr 1981, krankt ein wenig an der Independent-Produktion. Egal, Heavy Metal darf man das alles ruhig schon nennen. Es wird allerdings noch zwei Jahre dauern, bis der Metal-Underground sich konsolidiert und eine halbwegs funktionale Infrastruktur aufgebaut hat, in der junge deutsche Bands sich professionalisieren können.

1983 ist dann die kritische Masse erreicht und die Szene explodiert. Immer mehr Headbanger-Jungspunde trauen sich mit ihrer Musik an die Öffentlichkeit. Clubs und Veranstalter sorgen für mehr Auftrittsmöglichkeiten, Indie-Labels bieten Bands ein niederschwelliges Angebot, ein Album auf den Markt zu werfen, und in Fanzines klärt sich diskursiv das interne Selbstverständnis. Von nun an ist die Subkultur groß genug, um sich selber zu perpetuieren. Sinner, Running Wild, Steeler, Warlock oder Rage gehören zu den Bands, die sich gewissermaßen aus dem Milieu entwickelt haben; sie sind zunächst einmal Teil der Jugendbewegung und erst später Rockstars.

Der deutsche Metal-Underground formiert sich etwas später als der englische, aber zumindest die Bands holen die Entwicklungsverzögerung sofort wieder auf, indem sie sich auf die nächste Entwicklungsstufe des Heavy Metal stürzen und gleich mit Speed oder Thrash Metal anfangen. Kreator, Destruction, Helloween, Sodom, Living Death oder Holy Moses sind damit vielleicht noch nicht spieltechnisch, aber doch zumindest stilistisch absolut auf der Höhe der Zeit. An diesem gattungsgeschichtlichen Siebenmeilenschritt liegt es, dass die Welt bei German Metal, wenn man mal Ausnahmeerscheinungen wie Scorpions oder Accept ausklammert, bis heute vor allem an Ruhrpott-Thrash und Hamburger Power Metal denkt.

Im April veröffentlicht Frank Schäfer bei Bear Family auf zwei CDs die Compilation »Heavy Kraut! Wie der Hard Rock nach Deutschland kam – Teil 2: 1977–1983«.

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