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Nach Attacke in Berlin: Unis sollen exmatrikulieren dürfen
Senat will Hochschulen ermöglichen, Gewalttäter mit Ordnungsrecht zu sanktionieren
Die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Hochschulen nimmt die erste Hürde: Am Dienstag beschloss der Senat, das Hochschulgesetz entsprechend zu ändern. Damit soll es möglich werden, Gewalttäter an Unis mit Sanktionen bis hin zur Exmatrikulation zu belegen. Die Gesetzesänderung muss nun allerdings noch das Abgeordnetenhaus passieren.
Das Ordnungsrecht war 2021 mit der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes abgeschafft worden. Schon zuvor war es faktisch außer Kraft gesetzt worden, weil das bundesweite Hochschulrahmengesetz, auf das sich das alte Ordnungsrecht bezog, weggefallen war. Nach einem mutmaßlich antisemitisch motivierten Angriff eines FU-Studierenden auf einen jüdischen Kommilitonen nahm die Diskussion über eine erneute Einführung allerdings zügig wieder an Fahrt auf. Es hatte für parteiübergreifende Empörung gesorgt, dass der Angreifer nach der aktuell noch gültigen Rechtslage nicht exmatrikuliert werden kann.
»Hochschulen sollten diskriminierungsfreie Räume sein – unser heutiger Beschluss wird dazu beitragen«, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Anschluss an die Senatssitzung. Die nun beschlossene Änderung des Hochschulgesetzes sieht vor, dass Studierende, die gewalttätig gegenüber anderen Hochschulmitgliedern werden, stufenweise mit immer schwereren Sanktionen belegt werden können. Je nach Schwere der Tat kann eine Rüge ausgesprochen, der Täter für ein Semester von Lehrveranstaltungen ausgeschlossen oder eine Exmatrikulation ausgesprochen werden. Nicht nur vor antisemitischer und rassistischer Diskriminierung soll das Ordnungsrecht besser schützen, sondern auch Betroffene sexueller Gewalt.
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Für die Exmatrikulation werden die Hürden vergleichsweise hoch gelegt. So muss der Täter rechtskräftig verurteilt sein, damit er vom Studium ausgeschlossen werden kann. Exmatrikulationen ohne Verurteilung sind nur möglich, wenn es wiederholt zu Übergriffen gekommen ist und bereits eine andere Sanktion ergriffen wurde. Über die Sanktionen soll ein hochschulinterner Ausschuss entscheiden, dem mindestens ein Vertreter der Studierenden und ein Mitglied mit Befugnis zum Richteramt angehören soll. Parallel wird das Hausrecht der Unis verschärft, sodass leichter längere Hausverbote ausgesprochen werden können.
Darüber, in welchen Fällen das neue Ordnungsrecht greifen wird, herrschte am Dienstag allerdings noch Unsicherheit – die auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) nur begrenzt ausräumen konnte. Wie soll etwa mit Studierenden verfahren werden, die zwar einer Gewalttat beschuldigt, aber später vor Gericht freigesprochen werden? »Das Ordnungsrecht soll nur in Fällen, wo es wirklich sicher ist, zur Anwendung kommen«, antwortete Czyborra auf die Frage einer Journalistin. Damit Verfahren nach dem Ordnungsrecht überhaupt aufgenommen werden könnten, benötige es eine Anzeige, führte sie weiter aus.
Auch der Täter bei dem Übergriff auf einen jüdischen FU-Studierenden wird wohl zumindest ordnungsrechtlich nicht belangt werden können, wie Czyborra auf Nachfrage angab. »Rückwirkend kann das nicht greifen«, sagte sie. Immerhin sei man nun für ähnliche Fälle in der Zukunft vorbereitet: Im Gegenteil zu den Hochschulgesetzen anderer Bundesländer erlaube die Gesetzesänderung, dass auch Taten, die sich außerhalb des Campus abspielten, mit dem Ordnungsrecht sanktioniert werden können, so Czyborra.
Bei den Studierenden stößt die Gesetzesänderung auf Kritik. »Man hat den Eindruck, dass alle hilflos umherrennen und etwas machen wollen«, sagt Stefanie Döring, die in der Hochschulberatung des Allgemeinen Studierendenausschuss der Technischen Universität arbeitet. Das Ordnungsrecht sei aber nicht das richtige Instrument. Die Gewaltvorfälle, die die Gesetzesänderungen erfassen will, seien zumeist »Affekttaten«, bei denen Abschreckung nicht funktioniere, so Döring. Mit dem Ordnungsrecht werde eine »Paralleljustiz« an den Hochschulen etabliert, die vor Gericht leicht angegriffen werden kann. »Wenn ein Verwaltungsgericht eine Sanktion wieder aufhebt, ist der Täter wieder zurück an der Uni, und niemand hat etwas gewonnen«, so Döring. Sie wünscht sich, dass stattdessen das Gewaltschutzgesetz in solchen Fällen angewandt werde, das Kontaktverbote auch ohne eine Verurteilung ermöglicht.
Handlungsbedarf sieht sie dabei durchaus. »Auch an den Unis gibt es gesellschaftliche Probleme«, so Döring. Denen könne man aber besser mit Aufklärung beikommen. »Das Ordnungsrecht greift erst, wenn es schon zu spät ist«, meint Döring. Sie befürchtet vor allem, dass die Paragrafen missbraucht werden könnten, um politischen Protest an den Unis zu unterdrücken. »Gewalt ist ein Begriff, der unterschiedlich interpretiert werden kann«, sagt sie. Vor manchen Gerichten seien etwa auch Blockaden und Hörsaalbesetzungen als Nötigung verurteilt worden.
Wissenschaftssenatorin Czyborra stritt am Dienstag ab, dass für diese Aktionsformen Sanktionen ausgesprochen werden könnten. »Politische Aktivitäten fallen nicht unter das Ordnungsrecht«, sagte sie. »Das gehört zu demokratischen Hochschulen dazu.« In der Begründung zur Gesetzesänderung sei explizit festgehalten, dass das Ordnungsrecht nicht genutzt werden solle, um politische Diskurse zu unterdrücken.
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