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Kurden in der Türkei - »Die Wahlen waren nie fair«
Bürgermeisterkandidatin Serra Bucak über die Frauenförderung in Diyarbakir und das Programm ihrer prokurdischen DEM-Partei
Frau Bucak, am Sonntag wird gewählt. Welches Ergebnis erwarten Sie?
Unser Ziel in Diyarbakir ist über 60 Prozent der Stimmen zu bekommen. Die Wahlprognosen gehen in diese Richtung. Auch in anderen kurdischen Großstädten wie Mardin und Van erwarten wir, dass die Bürgermeister der DEM-Partei gewählt werden. Bei den letzten Wahlen haben wir in über hundert kurdischen Kommunen die Wahlen gewonnen, die dann aber vom türkischen Staat durch Zwangsverwaltungen ersetzt wurden. Diese Kommunen wollen wir wieder regieren.
Sie haben die Zwangsverwaltungen angesprochen. 2014 und 2019 gewann Ihre Partei die Wahl in Diyarbakir. Drei der Gewählten sitzen im Gefängnis, einer lebt Exil. Wie gehen Sie mit diesem »Erbe« um?
Im Herbst 2016 wurden in 95 von 102 kurdischen Kommunalverwaltungen die demokratisch Gewählten abgesetzt und durch eine Zwangsverwaltung ersetzt. Die Stadtparlamente wurden aufgelöst, damit wurde die demokratische Kontrolle ausgeschaltet. Niemand weiß, wie die Steuergelder verwendet wurden. Es wurden Immobilien der Kommunen verkauft und Schulden gemacht. Wir hoffen, dass mit diesen Wahlen die Demokratie nach Diyarbakir kommt.
Serra Bucak kandidiert bei den Kommunalwahlen in der Türkei als Oberbürgermeisterin in der kurdischen Millionenstadt Diyarbakir für die DEM-Partei. Am Sonntag werden die Bürgermeister, die Stadtparlamente und die Dorfvorsteher gewählt. Im Westen der Türkei ist die Erdoğan-Partei AKP vielerorts in der Favoritenrolle, nur in großen Städten wie Istanbul, Ankara und Izmir hat die kemalistische CHP eine Chance. Im Südosten hingegen liegen die Hochburgen der prokurdischen DEM-Partei.
Wie will die DEM-Partei die Kommunen regieren?
Wir kämpfen für eine demokratische, ökologische und geschlechtergerechte Kommunalverwaltung. Die Frauen-Perspektive ist für uns eine wichtige Sache. Frauen sollen überall dabei sein. Die DEM-Partei kandidiert grundsätzlich mit einem Team aus einer Frau und einem Mann, die dann als Ko-Bürgermeister das Amt ausüben. Das Bekenntnis zu dieser gegenderten Doppelspitze ist eine Voraussetzung zur Kandidatur.
Im Jahr 2014 haben wir zum Beispiel ein Frauenressort geschaffen, das Maßnahmen zur Bekämpfung von »Gewalt gegen Frauen« einleitete. Dafür wurde ein Zentrum geschaffen, das die Frauen juristisch und psychologisch unterstützte. Als die Bürgermeister verhaftet und durch ausschließliche männliche Zwangsverwalter ersetzt wurden, schafften sie als erstes die Fraueneinrichtungen ab. Durch diese Politik ist die Gewalt gegen Frauen in der gesamten Türkei in der Erdoğan-Ära gestiegen.
Das heißt konkret?
Wir wollen Orte für Frauen schaffen und wir wollen die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen fördern, indem wir Frauenkooperativen gründen. Dort wo Frauen arbeiten, unter anderem in der Textilbranche, wollen wir die Arbeitsbedingungen verbessern.
Welche Themen stehen noch auf der Agenda Ihrer Partei?
Zentral ist für uns auch die Ökologie. Zu unserem Wahlbezirk gehören zahlreiche Dörfer. Wir wollen die historisch gewachsene Agrarkultur in der Provinz Diyarbakir fördern, damit unsere Natur erhalten bleibt, die Menschen dort ein Auskommen haben, die Dörfer wieder belebt werden und die Stadtflucht gebremst wird. Auch die sozialen Probleme in unserer Provinz sind immens. In Folge des Erdbebens sind Tausende von Wohnungen unbewohnbar. Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Inflation lag im letzten Monat bei über 60 Prozent. Wir wollen diese Probleme angehen. Auch wenn uns bewusst ist, dass wir um ausreichend Wohnungen zu schaffen, mehr als eine Amtsperiode brauchen. Als erstes wird es ein kostenloses Frühstückspaket für die Schulkinder, die hungrig zu Schule kommen, sowie weitere kostenlose Essensangebote geben.
Als im letzten Jahr Erdoğan ein weiteres Mal die Präsidentenwahl gewann, war die Enttäuschung bei der Opposition groß. Wie hat Ihre Partei diese Niederlage aufgearbeitet?
Es gab einen mehrmonatigen Diskussionsprozess mit unseren Anhängern und Mitgliedern. Dabei wurde kritisiert, dass wir nicht mit einem eigenen Kandidaten angetreten sind. Die Menschen hatten kein Vertrauen in den Präsidentschaftskandidaten der kemalistischen CHP. Ihnen sind die Regierungen, an denen die CHP beteiligt war, noch in Erinnerung. Auch in dieser Zeit gab es große Repression gegen die kurdische Bevölkerung. Außerdem wurde die mangelnde Einbindung der Basis angesprochen. Als Ergebnis dieses Aufarbeitungsprozesses wurden im Dezember 2023 regionale Vorwahlen durchgeführt, auf dieser Grundlage werden die Kandidierenden von regionalen Ausschüssen bestimmt. Nahe Verwandte von diesen Ausschussmitgliedern dürfen nicht kandidieren.
Wird es eine faire Wahl geben?
Die Wahlen waren in unserer Region nie fair. Seit den 1990er Jahren, seit es eine kurdische Partei gibt, werden die Wahlen in unserer Region behindert. Kurze Zeit vor der Wahl sind an die 50 000 Soldaten und Polizisten in verschieden kurdischen Provinzen angemeldet worden. Das ist juristisch nicht korrekt. Aber die Interventionen unserer Anwälte wurden zurückgewiesen. Erdoğan sorgt auch dafür, dass Flüchtlinge aus Syrien, die ihm politisch nahestehen, schnell türkische Pässe bekommen. Das betrachten wir als eine Manipulation der Wahl.
Was erwarten Sie von Europa?
Die Europäische Union will die Regionen fördern. Aber in unserer Region wird auf kommunaler Ebene die demokratische Entscheidung der Bürger mit Füßen getreten. Wir erwarten von der EU und den europäischen Regierungen, dass sie protestieren, wenn das Ergebnis der demokratischen Wahlen im kurdischen Südosten der Türkei nicht akzeptiert wird.
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