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Vom Kamerun-Kakao zum Massenprodukt
Deutschland ist der größte Schokoladenexporteur weltweit. Ein Blick in die Handelsgeschichte der Süßigkeit
Hamburg war und ist das süße Zentrum Deutschlands. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Luxusartikel, wurde die Schokolade im Zeitalter der Industrialisierung zu einem »Volksnahrungsmittel«. Vor allem Hamburger Kaufleute profitierten von der aufblühenden Schokoladenindustrie und diese vom hanseatischen Außenhandel. Zwischen 1850 und 1910 wuchsen die jährlichen Einfuhren über den Hamburger Hafen von durchschnittlich 1000 auf rund 50 000 Tonnen Kakao, dem nach Zucker wichtigsten Rohstoff für Schokolade.
Die Speicherstadt, heute ein Touristenmagnet, ermöglichte die Lagerung der empfindlichen Waren aus dem Überseehandel. Durch das Zollanschlussabkommen an das Deutsche Reich 1881 hatte der Senat zudem abgesichert, dass der Hafen, nun als »Freihafen«, im internationalen Handel als zollfreier Umschlagplatz dienen konnte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war auch eine Warenbörse in der Speicherstadt aktiv, an der neben Kaffee auch Kakao gehandelt wurde. Heute ist das architektonisch reizvolle Börsengebäude ein Veranstaltungszentrum.
Friedrich Neumann-Reichardt verlegte angesichts dieser Entwicklung des Kakaohandels 1892 seine Fabrik von Halle in den Hamburger Vorort Wandsbek. Seine Kakao-Compagnie entwickelte sich mit 4000 Beschäftigten zum größten Schokoladenhersteller in Deutschland. Für qualifizierte Arbeitskräfte, die damals ebenso knapp waren wie heute, bot die Compagnie luftige Fabrikationsgebäude, ein Hallenbad und unentgeltliches warmes Mittagessen, schrieb der Sozialwissenschaftler Heiko Möhle (1962–2010) in seinem mittlerweile in fünfter Auflage erschienenem Klassiker über den hanseatischen Kolonialismus »Branntwein, Bibeln und Bananen«. Seinen Kakao bezog die Kakao-Compagnie vor allem aus Portugiesisch- und Britisch-Westafrika.
Aber geliefert wurde auch aus den deutschen Kolonien Togo und Kamerun. Reichardts Kamerun-Kakao wuchs auf großen Plantagen am Kamerunberg. Vertreter der Hamburger Handelsfirmen Woermann und Jantzen & Thormählen – deren Nachfahren zwar nicht mehr im Kakaogeschäft unterwegs sind, aber zum »Stadtadel« gehören – kauften für wenig Geld beträchtliche Landflächen. Der deutsche Gouverneur Jesco von Puttkamer ließ sein Militär widerstrebende Landbewohner drangsalieren. Großbanken, Handelskapital und Industrielle an Rhein und Ruhr investierten daraufhin in neue Plantagen in den »Schutzgebieten«.
Neue technische Verfahren ermöglichten ab dem 19. Jahrhundert eine preiswerte Massenproduktion. Nicht mehr die klassische Trinkschokolade der Mayas stand fortan im Mittelpunkt. Industriell hergestelltes Kakaopulver, Pralinen und vor allem die neuartigen Tafelschokoladen prägten immer mehr den deutschen Markt.
Neben der dafür berühmte Schweiz besitzt auch Deutschland heute viele Schokoladenhochburgen. So ist die deutsche Wirtschaft der größte Exporteur von Schokoladenprodukten weltweit: Etwa eine Million Tonnen Pralinen, Süßigkeiten und Tafeln wurden im vergangenen Jahr produziert. Statistisch betrachtet entspricht diese Menge zweieinhalb Tafeln – pro Kopf und Woche. Der Großteil davon wird allerdings im Ausland vernascht.
Kakao wird überwiegend in Form von ganzen Bohnen und Bohnenbruch über den Hamburger Hafen importiert und erst hierzulande zu Kakaobutter und dann zu Schokolade verarbeitet. In der Bundesrepublik angesiedelte Unternehmen verarbeiten mit den meisten Rohkakao weltweit, über 400 000 Tonnen im Jahr. Dieser kommt die Firmen allerdings zunehmend teuer zu stehen. Da der Ursprung des in Deutschland verarbeiteten Kakaos weitgehend in der Elfenbeinküste und Ghana liegt, spüren auch hiesige Hersteller die Preis-Volten an den Leitbörsen in New York und London. Allerdings macht der Kostenanteil des Rohkakaos an einer Tafel Milchschokolade lediglich etwa ein Zehntel aus. Zugleich konnten die Markenhersteller höhere Preise bei den Verbrauchern durchsetzen. Der Osterhase kostet 20 Prozent mehr als im Vorjahr, hat T-Online herausgefunden. Bei Tafelschokoladen ist der Preisanstieg noch gravierender.
Der wichtigste Schokoladenhersteller in Deutschland ist heute Barry Callebaut. Der in der Öffentlichkeit nahezu unbekannte Konzern mit Hauptsitz in Zürich ist laut Firmenangaben der weltweit führende Hersteller von Schokoladen- und Kakaoprodukten. Barry Callebaut beherrsche »jeden Schritt der Wertschöpfungskette – von der Rohstoffbeschaffung bis hin zur Herstellung der feinsten Schokoladen«, lobt sich die Firma. Produziert werde in 65 Fabriken in über 40 Ländern, darunter Deutschland. Die Halbfertigprodukte landen in den beliebten Markenartikeln von Ferrero (Italien), dem Milka-Produzenten Mondelez (USA) oder der schweizerischen Lindt, die zusammen mit Nestlé als Hersteller und Lieferanten inzwischen den deutschen Markt dominieren.
Übrigens, die Kakao-Compagnie in Hamburg-Wandsbek stellte 1928 ihren Betrieb ein. Nur wenige Meter weiter produzieren heute annähernd eintausend Beschäftigte für Nestlé »süße Weltstars« wie Kitkat, Smarties oder After Eight.
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