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Saleh: »Die Berliner wollen das 29-Euro-Ticket«

SPD-Landesvorsitzender Raed Saleh über den parteiinternen Wahlkampf, das 29-Euro-Ticket und Enteignungen

Will es nochmal wissen: Raed Saleh kandidiert erneut für den SPD-Landesvorsitz
Will es nochmal wissen: Raed Saleh kandidiert erneut für den SPD-Landesvorsitz

Herr Saleh, Sie sind jetzt seit 2012 Fraktionsvorsitzender der SPD im Abgeordnetenhaus und seit 2020 auch Parteivorsitzender. Was ist Ihr Fazit nach zwölf Jahren?

Berlin ist insgesamt sozialer und gerechter geworden. Berlin ist das einzige Bundesland, das es geschafft hat, Bildung von der Kita bis zu Hochschule komplett gebührenfrei zu machen. In Brandenburg zahlen Eltern für die Kita bis zu 200 Euro im Monat. Das ist echt ein Standortfaktor für junge Familien. Die Gebührenfreiheit bedeutet, dass sich die Leute die Stadt weiter leisten können. Wir haben die Wasserbetriebe in die öffentliche Hand geführt und dafür gesorgt, dass die Preise konstant geblieben sind. Und bald werden wir auch das Gasnetz zurückholen.

Die Wähler scheinen das nicht zu honorieren. Seit 2011 hat die SPD bei jeder Wahl Stimmen verloren und sich in dieser Zeit insgesamt etwa halbiert.

Richtig waren diese Schritte trotzdem. Die Sozialdemokratie war in dieser Zeit bundesweit in schwierigen Fahrwassern.

Interview

Raed Saleh ist Fraktions- und Parteivorsitzender der Berliner SPD. Der Unternehmer gehört seit 2006 dem Abgeordnetenhaus an. Seit 2012 führt er dort die SPD-Fraktion, seit 2020 ist er neben Franziska Giffey Vorsitzender des SPD-Landesverbands. Aktuell kandidiert er gemeinsam mit der Marzahn-Hellersdorfer Bezirksverordneten Luise Lehmann erneut für den SPD-Landesvorsitz.

Die Bundestagswahl vor zweieinhalb Jahren hat die SPD doch gewonnen.

Die Abgeordnetenhauswahl, die 2021 parallel lief, haben wir doch auch gewonnen. Aber gerade wird die SPD im Bund bei 14 Prozent gemessen und in Berlin bei 16 bis 17 Prozent. Das ist ein verdammt schwerer Stand. Viele Menschen haben das Bauchgefühl, dass wir nicht mehr ihre Sprache sprechen, nicht mehr an ihrer Seite sind. Wir müssen das, was wir erreicht haben, besser kommunizieren, um Vertrauen zurückzubekommen. Es geht aber auch immer darum, sozialdemokratische Politik weiterzuentwickeln und unsere gemeinsame Geschichte weiterzuerzählen.

Als Partei- und Fraktionsvorsitzender ist Kommunikation doch Ihre Aufgabe.

Ich glaube, wir müssen alle besser werden. Wir brauchen bundesweit bessere Kommunikation. Von der Ampelkoalition kriegt man nur Streit mit, das hilft doch niemanden. Der konstante Streit bei Rot-Grün-Rot damals hat auch nicht weitergeholfen.

Anscheinend hinterlässt die Pleitenserie auch bei vielen Parteimitgliedern Spuren. Wenn man aktuell mit Sozialdemokraten spricht, ist der vorherrschende Tenor: Hauptsache nicht weiter so. Dabei sind Sie doch von Kandidaten für den SPD-Landesvorsitz derjenige, der für Kontinutität steht.

Eher Kontinuität und Aufbruch. Ich kandidiere ja nicht alleine, sondern gemeinsam mit Luise Lehmann. Ich bringe Erfahrungen mit, die auch innerhalb der Partei geschätzt werden. Und Frau Lehmann steht für das Neue, für den Aufbruch. Sie hat einen ganz frischen Blick, auch auf viele innerparteiliche Fragen. Die Rückmeldung, die wir bekommen, ist, dass gerade diese Mischung geschätzt wird, auch zwischen jemanden, der für die schwarz-rote Koalition gestimmt hat und einer Gegnerin der Großen Koalition.

War Frau Lehmann denn die einzige Kandidatin für die gemeinsame Kandidatur?

Ja. Ich kenne sie schon sehr lange und wir hatten schon über viele Monaten miteinander gesprochen. Es hat sich dann so ergeben, dass wir das gemeinsam entschieden haben. Sie wird in der Partei sehr geschätzt für ihre ehrliche Art und für die Leidenschaft, mit der sie für Themen kämpft. Sie ist ja Ärztin und Gesundheitspolitik liegt ihr am Herzen. Das ist ein ganz wichtiges Feld für sozialdemokratische Politik.

Jetzt wird der SPD-Landesvorstand neu gewählt, aber offen bleibt dann noch immer, wer die Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl 2026 übernimmt. Franziska Giffey hat schon gesagt, dass sie sich das vorstellen kann. Würden Sie das unterstützen?

Die SPD braucht jetzt die volle Konzentration darauf, wie wir die Partei wieder aufrichten. Wir haben konkrete Ideen, wie wir die Partei vor der Abgeordnetenhauswahl mehr einbinden können, zum Beispiel mit einer Abfrage an der Parteibasis über das Wahlprogramm. Dieser Visionsprozess ist jetzt die Priorität, Spekulationen über die Spitzenkandidatur brauchen wir aktuell nicht.

Können Sie es sich denn selbst vorstellen? 2014 haben Sie ja schon mal versucht, Regierender Bürgermeister zu werden.

Ging ja nicht gut aus (lacht). Wir sind gerade weltweit im Krisenmodus. Das macht auch vor Berlin nicht halt. Das Wichtige ist jetzt, dass wir als Regierungsfraktion auf diese Krisen Anworten formulieren. Diese Verantwortung haben wir gegenüber den Berlinerinnen und Berlinern. Wer jetzt schon über die Spitzenkandidatur spekuliert, hat den Schuss nicht gehört.

Nicht wenigen Sozialdemokraten kann die Wahl wohl gar nicht schnell genug kommen. Von der Koalition bekam man zuletzt ja vor allem den Streit um die Pauschalen Minderausgaben im Haushalt mit.

Ich finde, die Koalition geht respektvoll miteinander um. Wenn Sie von Streit sprechen, schauen Sie doch, wie es in der letzten Koalition lief. Glauben Sie mir, wir streiten schon, aber nach innen. Die Berlinerinnen und Berliner haben den öffentlichen Streit satt. Wir müssen nicht in der Öffentlichkeit übereinander schimpfen, wir können uns intern austauschen.

Ist das nicht intransparent? Seit Monaten wird gesagt, dass gespart werden muss, aber niemand will sagen, wo. Wenn man mit öffentlichen Einrichtungen spricht, sind viele verunsichert, weil sie nicht wissen, wie viel Budget sie zukünftig haben werden.

Das wäre doch nicht anders, wenn wir jetzt auf offener Bühne streiten würden. Damit ist doch niemanden geholfen. Im Gegenteil: Im Dezember hieß es noch, dass zwei Milliarden Euro gekürzt werden müssen. Am Ende hat dann die Nachberechnung des Haushalts gezeigt, dass es 700 Millionen Euro weniger sind. Darum sage ich: Geduld ist eine Tugend. Man muss einen Gesamtblick behalten und am Ende einen Plan präsentieren, der vor allem einem Grundsatz folgt: Es darf keinen sozialen Kahlschlag geben.

Andere haben ja durchaus schon gesagt, wo Sie sich Einsparungen vorstellen könnten. Ihre Konkurrenten im Rennen um den Landesvorsitz, Kian Niroomand und Jana Bertels, haben zuletzt Zweifel am 29-Euro-Ticket geäußert. Jetzt sagen Ihr Koalitionspartner, die Opposition und auch Teile Ihrer eigenen Partei, dass man lieber das Deutschlandticket rabattieren sollte.

Aber die Berliner wollen das 29-Euro-Ticket! 73 Prozent haben sich dafür ausgesprochen. Man darf auch nicht vergessen, dass das 49-Euro-Ticket bald teurer wird. Wir verfolgen doch seit Jahren die Vision eines günstigen öffentlichen Verkehrs. Es gibt sehr viele Menschen in dieser Stadt, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Da geht es nicht nur um Arme, auch Leuten aus der hart arbeitenden Mittelschicht gehören dazu. Das 29-Euro-Ticket war eines unserer zentralen Wahlversprechen. Es wäre respektlos, das jetzt einfach wieder abzuräumen. Die Leute brauchen Entlastung. Wer das nicht sieht, hat diese Stadt nicht verstanden. Ich finde das auch ironisch, denn dieselben Kandidaten fordern immer wieder, dass Parteitagsbeschlüsse eingehalten werden. Das 29-Euro-Ticket haben wir mehrere Male einstimmig bei Parteitagen beschlossen.

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Manche in Ihrer Partei würden auch lieber gar nicht sparen und stattdessen alternative Finanzierungswege finden, etwa indem landeseigene Gesellschaften mehr Kredite aufnehmen, und über ein Darlehensprogramm.

Ich denke, man muss da genau aufpassen. Mehr Kredite bei den Landeseigenen ist auch jetzt schon geplant. Aber ich warne davor, dass diese alternativen Finanzierungswege am Ende den Einstieg in eine Privatisierung darstellen. Deswegen will ich eine Privatisierungsbremse in der Verfassung, damit die öffentlichen Güter auch für kommende Generationen erhalten bleiben. Ich will nicht, dass wir jetzt die Tore öffnen für teure Public-Private-Partnership-Modelle. Da zahlen am Ende nur die kommenden Generationen die Zeche.

Vor der Industrie- und Handelskammer hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Public-Private-Partnership-Programme vor Kurzem als goldenen Weg aus der Haushaltskrise gepriesen, zum Beispiel beim Bau von Schwimmbädern.

Wir wollen kein PPP in dem Sinne, dass das Land Berlin am Ende abgeschöpft wird. Wenn es Modelle gibt, wo man sagen kann, dass es einen befristeten Rahmen hat, kann man darüber reden. Aber wenn Kai Wegner das meint, was ich ahne, kann ich ihm nur sagen: Lieber Kai, dafür hast du den falschen Koalitionspartner.

Werden Sie das denn auch durchhalten? Wenn man die Berichterstattung verfolgt, kriegt man den Eindruck, dass sich in der Koalition meistens die CDU durchsetzt.

Bei der CDU hört man genau das Gegenteil. Gucken Sie doch auf den Religionsunterricht, den die CDU groß angekündigt hat. Der kommt jetzt nur als Wahlpflichtfach. Auf der anderen Seite haben wir maßgeblich dafür gesorgt, dass das Wahlalter mit 16 Jahren – eine ursozialdemokratische Forderung – durchgesetzt wurde. Die CDU wollte den Winterabschiebestopp abschaffen, allen voran Kai Wegner selbst. Ohne uns kann er das aber nicht umsetzen. Heute gibt es immer noch einen Winterabschiebestopp. Soll ich Ihnen noch mehr Beispiele auflisten?

Selbst Abgeordneten fällt es im Gespräch häufig schwer, große Erfolge der Koalition zu benennen.

Wissen Sie, ich bin kein Freund der großen Koalition. In meinem Heimatverband Spandau habe ich damals die erste rot-rot-grüne Koalition in Berlin in die Wege geleitet. Große Koalitionen müssen die Ausnahme bleiben. Wir haben aber einen Koalitionsvertrag und den arbeiten wir ab. Die Leute wollen, dass Politik funktioniert und dafür sorgen wir.

Die Wahrnehmung der Koalitionspartner ist offenbar auch sehr unterschiedlich. Als der Senat vergangene Woche den Entwurf für das neue Hochschulgesetz beschlossen hat, hat Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) danach verkündet, dass es nur um Gewalttäter ginge. Auf der Webseite der CDU stand dagegen wenige Stunden später, es ginge darum, extremistische Studierende zu exmatrikulieren.

Ich bin da bei Frau Czyborra. Die CDU ist eine Partei, die sich manchmal in Law-and-Order-Vorstellungen verliert, die mit der Realität der Stadt nichts zu tun haben. Manchmal schießen sie über das Ziel hinaus. Eine Gesinnungsprüfung an den Unis wird es mit uns nicht geben.

Abwegig ist die CDU-Interpretation aber nicht. Im Entwurf ist ja nicht eingegrenzt, wer als Gewalttäter gilt.

Wir schauen uns den Entwurf genau an. Unsere Fraktion nickt nicht einfach nur ab, was vom Senat kommt. Sollte hier eine Korrektur oder eine Präzisierung notwendig sein, dann wird die auch kommen.

Uneinigkeit herrscht auch beim Thema Enteignung von Wohnraum. Die Initiative hinter dem Volksentscheid hat jetzt angekündigt, einen Gesetzesvolksentscheid auf den Weg bringen zu wollen. Haben Sie schon überlegt, wie Sie abstimmen werden?

Wir haben in der Koalition ja ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vereinbart. Eine Enteignung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss am Ende ein Ziel verfolgen. Kannst du mit einer Enteignung am Ende die Mieten konstant halten? Ich habe da Zweifel. Ich glaube nachwievor, dass der beste Eingriff in den Wohnmarkt der Mietendeckel ist. Da muss jetzt vom Bund etwas kommen.

Warum dann überhaupt ein Rahmengesetz? Viele Juristen halten das ja auch für unnötig.

Es geht ja nicht nur um Wohnungen. Da geht es auch um den Energiesektor und Daseinsvorsorge. Mit einem Enteignungsrahmengesetz kriegen wir ganz andere Möglichkeiten, um in den Markt einzugreifen. Haben Sie die Bilanzen der großen Unternehmen aktuell gesehen? Das ist doch irre. Mitten in der Krise werden die immer reicher. Mit einem Enteignungsrahmengesetz können wir sagen: Lieber großer Energiekonzern, du machst so und so viele Milliarden Gewinne. Das geht nicht, folgende maximale Gewinne sind möglich.

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