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Hawaii und die Nato: Schlupfloch im Pazifik
Experten plädieren dafür, Hawaii unter den Schirm der Nato zu stellen
32 Länder sind Teil der Organisation des Nordatlantikvertrages – kurz: Nato. Darunter sind neben Deutschland auch Frankreich, Großbritannien, Kanada oder die USA. Schweden ist der neueste Zuwachs in der Sicherheitsallianz, bei der sich die teilnehmenden Länder verpflichten, sich gegenseitig zu verteidigen, falls jemand »in Europa oder Nordamerika« angegriffen wird.
Doch obwohl die USA Teil der Nato sind, war der US-Bundesstaat Hawaii aufgrund seiner Lage im Pazifischen Ozean (und nicht im Nordatlantik) bisher ausgeschlossen. Neben der kollektiven Verteidigung – dem theoretischen Herzstück der Allianz – spielt aber auch die Abschreckung potenzieller Angreifer eine große Rolle. Und nachdem nicht mehr nur Russland als Gefahr für den Westen gilt, sondern zunehmend auch das erstarkende Chinas zum Feindbild wird, plädieren immer mehr außenpolitische Experten dafür, Hawaii trotz seiner geographischen Lage im Pazifik mit in die Nordatlantische Sicherheitsallianz einzubeziehen.
Hintergrund dafür ist, dass Peking den Inselstaat Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohnern als abtrünnige Provinz betrachtet, die über kurz oder lang wieder in den Schoß der Mutter zurückkehren soll – unter Umständen auch mit militärischem Druck. Käme es dadurch zu einem Konflikt mit den USA, so könnte dies zu Angriffen auf Hawaii führen. In dem Urlaubsparadies haben die USA mit Pearl Harbor einen großen Marinestützpunkt, der auch im Zweiten Weltkrieg bereits im Visier von Angreifern war, in diesem Fall Japan. Den Japanern gelang es 1941, bei einem Angriff einen Großteil der US-amerikanischen Pazifikflotte auszuschalten. Dies bewirkte den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Auch das Hauptquartier des Indopazifischen Kommandos der Vereinigten Staaten nordwestlich von Honolulu könnte potenziell ein Ziel für einen militärischen Gegner sein. Als oberste Kommandodienststelle hat es den Befehl über die gesamten, regulär in der Region stationierten Truppen der USA.
Angriff auf Pearl Harbor ist der Präzedenzfall
Sollte Hawaii erneut angegriffen werden, so wären andere Nato-Mitglieder derzeit nicht dazu verpflichtet, die USA militärisch zu unterstützen. Im Gespräch mit CBS News betonte John Hemmings, Direktor der Denkfabrik Pacific Forum, dass eine Ausweitung der Nato auf Hawaii deswegen »ein Element der Abschreckung« hinzufügen würde, das dazu beitragen könnte, eine chinesische Invasion in Taiwan zu verhindern. Hemmings sprach sich zudem dafür aus, dass der Artikel 5 auch Guam, ein nicht eingemeindetes US-Territorium, das nördlich von Papua-Neuguinea und über 6000 Kilometer westlich von Hawaii liegt, abdecken sollte. Die Insel, die sich in der Vergangenheit immer wieder nordkoreanischen Drohungen ausgesetzt sah, beheimatet wichtige US-Luftwaffen- und Marinestützpunkte, darunter die Andersen Air Force Base, von der aus die USA ihre B-1-, B-2- und B-52-Bomber über den Indopazifik starten können. Die seit 1898 zu den USA gehörende Insel wurde 1941, kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor, von den Japanern erobert. Sie sollte bis Juli 1944 in deren Gewalt bleiben.
Auch Jakub Janda, Direktor der Denkfabrik European Values Center for Security Policy in Prag, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X, dass die Europäer es ihren »amerikanischen Freunden anbieten« sollten, den kollektiven Verteidigungsschirm der Nato auf Hawaii und Guam auszudehnen und sicherzustellen, »dass jeder chinesische Angriff dort eine gemeinsame Reaktion von 32 Verbündeten auslöst«. Denn würde China Taiwan angreifen, so besteht laut Janda »die militärische Notwendigkeit«, Guam als US-Militärstützpunkt zu eliminieren. »Wenn China Guam angreift, das unter dem Dach der Nato steht, wird es den Europäern schwer fallen, Peking nicht hart zu sanktionieren.«
Erweiterung würde Bündnis »stärken«
Laut Alan Mendoza, der den Think-Tank der Henry Jackson Society in London leitet, würde eine Ausweitung von Artikel 5 auf Hawaii das westliche Bündnis kräftigen. »Da die freie Welt erneut bedroht ist, sollten alle Maßnahmen gefördert werden, die die Beziehungen zwischen freien und demokratischen Ländern stärken«, sagte er dem US-Magazin »Newsweek«. Letzteres könnte sich vor allem im Hinblick auf die anstehenden Wahlen in den USA als essenziell herausstellen. Denn Donald Trump, aller Voraussicht nach der republikanische Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im Herbst, drohte bereits, er werde im Falle eines Wahlsieges Russland »ermutigen«, mit Bündnismitgliedern, die die festgelegten finanziellen Beiträge nicht einhalten, »zu tun, was zum Teufel« es wolle.
Ein Sprecher des US-Außenministeriums bestätigte gegenüber dem US-Sender CNN zwar, dass Hawaii nicht unter Artikel 5 fällt, sagte jedoch, dass Artikel 4 jede Situation abdecken sollte, die Hawaii betreffen könnte. Dieser besagt, dass Mitglieder sich beraten werden, wenn »die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind«. Eine Vertragsänderung zur Einbeziehung Hawaiis werde wohl kaum einen Konsens finden – so der Sprecher – da andere Mitglieder ebenfalls Gebiete außerhalb der in Artikel 5 festgelegten Grenzen hätten. Beispielsweise beteiligte sich die Nato nicht am Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien im Jahr 1982, nachdem argentinische Truppen auf den Falklandinseln (Islas Malvinas), einem umstrittenen britischen Territorium im Südatlantik, einmarschiert waren.
Luis Simon, Direktor des Forschungszentrums für Sicherheit, Diplomatie und Strategie an der Brussels School of Governance in Belgien, verwies in diesem Zusammenhang jedoch auf die Reaktion des Bündnisses nach den Anschlägen vom 11. September. Auch im Falle eines Angriffs auf Hawaii oder Guam würde er erwarten, »dass die Vereinigten Staaten versuchen, eine Koalition der Willigen zusammenzustellen, an der vor allem – aber sicherlich nicht ausschließlich – regionale Verbündete beteiligt« wären.
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