Wenn die Babyboomer in Rente gehen

In den nächsten zehn Jahren müssen bundesweit 20 Prozent des Pflegepersonals ersetzt werden

Vielleicht kommen bis zum 31. Mai doch noch geeignete Reformvorschläge für die Pflege als Gesamtsystem – vorgesehen hat die Bundesregierung das eigentlich. Ansonsten sehen Wissenschaftler und Kassenvertreter schwarz: »Das Versprechen, die Pflegeversicherung bis zum Ende der Legislaturperiode finanziell zu stabilisieren, ist unter den jetzigen Bedingungen nicht zu halten.« Diese Aussage traf DAK-Vorstand Andreas Storm am Dienstag bei der Vorstellung des diesjährigen Pflegereports der Krankenkasse in Berlin. Nach seinen Worten steht die solidarische Pflegeversicherung absehbar spätestens zu Beginn des nächsten Jahres vor einer so großen Finanzierungslücke, dass diese dann automatisch durch eine Erhöhung der Beitragssätze geschlossen würde.

Die Ursachen für diese Entwicklung liegen auf der Hand. Die Bundesregierung hat eigene Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch nicht umgesetzt: Fünf Milliarden Euro an Vorleistungen aus der Pflegekasse für Pandemiemaßnahmen wurden bislang nicht zurückgezahlt. Gerade jüngst wurde ein jährlicher Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro ersatzlos gestrichen. Würden diese Gelder kommen, wäre die Pflegekasse bis 2026 finanziell stabilisiert – aber danach sieht es nicht aus. Zusätzlich müssen versicherungsfremde Leistungen gestemmt werden, unter anderem die (geringe) soziale Absicherung von pflegenden Angehörigen oder die Pflegeausbildung, noch einmal ein Milliardenbetrag.

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Die Finanzen sind nicht die einzige Sorge beim Thema Pflege: Zusätzlich geht es um die Herausforderungen, die sich in den nächsten Jahren daraus ergeben, dass eine der größten Alterskohorten hierzulande, die Babyboomer, sich in die Rente verabschiedet. Gleichzeitig wächst, wenn auch leicht zeitversetzt, die Zahl derjenigen, die Unterstützung im Alter brauchen – die Gruppe der Letzteren von 5,2 Millionen Menschen 2022 auf etwa 7,5 Millionen Menschen 2050.

Von den 1,14 Millionen professionell Pflegenden in Deutschland (ohne Krankenhäuser) erreichen fast eine Viertelmillion in den nächsten zehn Jahren das Renteneintrittsalter. Im Schnitt müssen je Bundesland etwa 20 Prozent des Personals ersetzt werden; dieser Bedarf variiert zwischen 19,7 Prozent in Sachsen und 26,5 Prozent in Bremen.

Das Problem verschärft sich dadurch, dass nicht genug Absolventinnen und Absolventen von Pflegeschulen nachrücken. In einigen Bundesländern werden schon Ende des Jahrzehnts Kipppunkte erreicht, wenn mehr Personal in den Ruhestand geht, als Nachwuchs in den Beruf einsteigt. Unter anderem wird das in Bremen und Bayern 2029 der Fall sein, wie Thomas Klie vom Institut AGP Sozialforschung berichtet, der zugleich Autor des Pflegereports ist.

Klie betont, dass es sich bei der Pflege um einen sehr lokal geprägten Arbeitsmarkt handelt: »20 Kilometer oder 20 Fahrminuten Entfernung zum Arbeitsort werden akzeptiert. Insofern reichen Ausbildungszentren nur in Ballungsgebieten nicht aus.« So ist es für Klie nicht überraschend, dass sich die Situation etwa innerhalb Bayerns sehr unterschiedlich darstellt. Ein spezielles Problem des Freistaats ergebe sich daraus, dass hier in der Vergangenheit zu wenig ausgebildet wurde und auch zu wenig Lehrkräfte vorhanden waren: »Bayern war das letzte Bundesland, dass den Studiengang Pflegepädagogik ermöglicht hat.«

Vor Hoffnungen auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland warnte Klie: Laut Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO dürften Pflegeprofis ohnehin nur noch aus der Türkei, Vietnam und den Philippinen abgezogen werden, jedoch nicht zum Beispiel aus Balkanstaaten oder gar Mexiko, wie es Praxis ist.

Vielmehr müsse die Pflege als Beruf für in Deutschland Lebende attraktiv gemacht werden, durchaus auch für Menschen, die bereits hierher eingewandert sind. Es gehe eher weniger um die zügige Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland als um Probleme beim Erwerb der nötigen Deutschkenntnisse schon für die Ausbildung. Für diese müsse es Lösungen geben.

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