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»Ein Glücksfall« im Kino: Der Strich durch die Rechnung
»Ein Glücksfall« ist der erste Film von Woody Allen, den er komplett in französischer Sprache gedreht hat. Ist das nun ein Vor- oder Nachteil?
Nach Paris kam Woody Allen für seinen 50. Film, weil ihm die Stadt Glück gebracht hatte. Denn hier spielte sein »Midnight in Paris« von 2011. Skurrile nächtliche Zeitreisen in einem Taxi durch ein Paris von Anfang des 20. Jahrhunderts – eine avantgardistische Künstlerstadt geprägt von Picasso, Hemingway oder Gertrude Stein. Der Film wurde zum großen Erfolg – der vorerst letzte für Woody Allen. In diesem Film verbanden sich noch einmal auf federleichte Art Aberwitz und Poesie, natürlich auch die Kritik des amerikanischen Zeitgeistes, dessen Oberflächlichkeit und pseudopatriotische Militanz Allen zuwider sind. Wegen seiner altmodischen Restbestände liebt er Europa.
Auch in den letzten zehn Jahren kam regelmäßig pro Jahr ein neuer Allen-Film heraus, in denen der inzwischen 88-jährige Regisseur das selbst erfundene Genre des Stadtneurotiker-Films immer wieder variierte. Es waren durchaus sehenswerte darunter wie »Blue Jasmin« oder »Rifkin’s Festival«, denen jedoch irgendwie das Außergewöhnliche (die filmische Unbedingtheit früherer Werke) fehlte, vor allem natürlich Woody Allen selbst als Hauptdarsteller. Denn vor der Kamera sieht man ihn kaum noch. Aber will man Allen am Ende eines langen ungemein produktiven Lebens als Regisseur ernsthaft vorwerfen, dass er nun vorrangig im Modus der Melancholie agiert?
»Ein Glücksfall« (im Original: »Coup de chance«) ist der erste Film Allens, den er komplett in französischer Sprache gedreht hat. Aber ist das nun ein Vor- oder Nachteil? Am Ende könnte der Film allzu sehr danach aussehen, dass er für den Regisseur in einer Fremdsprache gedreht wurde. Tatsächlich entgeht »Ein Glücksfall« dieser Gefahr nicht ganz, ein Woody-Allen-Film im allzu vorsätzlich französisch-romantischen Stil zu werden. Aber wer ist nicht bereit, Allen ein paar Ungeschicklichkeiten im Detail zu verzeihen, die ihn offenbar immer weniger interessieren? Ihm geht es um die große Linie seiner Filme, die er – alte Männer haben keine Zeit – dann möglichst zügig realisiert. Vielleicht hat ihn auch die Erfahrung gelehrt, dass die Fehlerquote nicht geringer wird, wenn man umständlicher agiert.
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Natürlich hat Allen auch das Drehbuch selbst geschrieben. Das gibt er bekanntlich nicht gern aus der Hand, auch nicht den Schauspielern, die wissen wollen, was sie hier eigentlich spielen sollen. Das werden sie schon noch erfahren, denn auch für das wirkliche Leben bekommt man schließlich keine Betriebsanleitung in die Hand. Ist das Ende vom Schicksal vorbestimmt oder reiner Zufall?
Jetzt kommen wir dem Thema des Films schon näher. In einem wunderbar herbstlich anmutenden Paris (Kamera: Vittorio Storaro) trifft Fanny, die in einer Galerie arbeitet, Alain auf der Straße. Beide sind zusammen zur Schule gegangen und haben sich dann aus den Augen verloren. Er ist Schriftsteller geworden, aber der Erfolg ist bislang ausgeblieben. Das Manuskript seines neuen Romans, der ihm schwerfällt, hat er mit hierhergebracht, denn wo, wenn nicht in Paris, lassen sich scheinbar nicht vollendbare Werke doch noch vollenden?
Etwas vom längst verblassten Gestus aus »Ein Amerikaner in Paris« scheint sich einzustellen. Die beiden, die sich da zufällig treffen, sind spielerisch gestimmt. Mal sehen, was passiert – ist es nicht schön, einmal so zu tun, als sei man ungebunden und kann ungezwungen agieren? Und schon bahnt sich eine Affäre zwischen ihnen an, denn Alain war immer schon in Fanny verliebt, was er ihr jetzt zu ihrer Verwunderung gesteht. Wie seltsam das Leben doch spielt! Als Zuschauer allerdings hat man von der ersten Minute ihres Zusammentreffens an damit gerechnet.
Läuft alles so vorhersehbar ab, wie es zu vermuten ist? Nein, die Geschichte, die sich Woody Allen ausgedacht hat, ist nicht ohne Raffinesse und greift auf »Match Point«-Rücksichtslosigkeiten zurück. Das Leben der Oberschicht ist eben auch nicht weniger kriminell als das anderer organisierter Banden. Im Off bekommen wir etwas aus dem Selbstverständnis dieser Kreise zu hören, die man besser nicht stört: »Zu sexy gibt es nicht, genauso wenig wie zu reich.«
Das entspricht genau dem Selbstverständnis von Fannys Ehemann Jean, ein smarter Schönling, für den die Maximierung von Geldbesitz offenbar kein Problem ist. Hinter vorgehaltener Hand allerdings teilt man sich auf den teuren Partys mit, dass sein Geschäftspartner vor einiger Zeit unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Aber dem smarten Jean war nichts nachzuweisen. Als Fanny ihn einmal direkt fragt, was genau er beruflich mache, antwortet er salomonisch, er helfe reichen Leuten dabei, noch reicher zu werden. Das klingt verdächtig, doch wer im Überfluss lebt (auch dem erotischen mit Ehemann und Geliebtem zugleich), der denkt nicht weiter daran.
Doch eines Tages ist Alain spurlos verschwunden, und Fanny reagiert beleidigt. Dann aber beginnt sie sich doch zu fragen, was ihr Mann damit zu tun haben könnte. Die Geschichte, deren Ende natürlich nicht verraten werden darf, dreht sich noch einige Male – aber irgendwie bekommt der Gestus der immer aberwitziger werdenden Story doch etwas unübersehbar Pomadiges. Der Rhythmus stimmt nicht, die Schauspieler scheinen neben sich zu stehen. Woher kommt das? An Allens eleganter und dabei bitterböser Geschichte liegt es wohl nicht. An seiner eher lässigen Art, Regie zu führen, auch nur zu einem geringeren Teil.
Man muss es wohl deutlich sagen: Das durchaus harmlos wirken sollende Hauptdarsteller-Trio ist tatsächlich harmlos, viel zu harmlos. Kein doppelter Boden zeigt sich in ihrem Spiel, kein Geheimnis bei Lou de Laâge als Fanny, Melvil Poupaud als Jean und Niels Schneider als Alain. Sie wirken wie hübsche Abziehbilder, die in der Szene platziert werden, aber selber nichts bewegen. Das ist schade, denn so blockiert auch die im Buch angelegte entscheidende Variable: das unvorhersehbare Zusammentreffen von Zufall und Notwendigkeit.
Immerhin eine philosophische Dimension, die den ausgedachten »Plot« wieder in den zeitlichen Fluss der Dinge stellt. Denn Jeans Lebensmaxime ist: Zufall gibt es nicht, wenn sich die Dinge ungünstig zu entwickeln beginnen, dann greift man eben entschlossen ein und zwingt sie wieder in die Richtung, in die man sie haben will. Ein Macher ohne Skrupel. Notfalls bedient er sich derer, die das erledigen, was man gemeinhin die »Drecksarbeit« nennt. Auf diese Weise ist Jean weit gekommen im Leben, zu viel Geld, zu Ansehen und einer schönen Frau.
Aber was hat er übersehen, was macht ihm einen Strich durch die Rechnung? Der Zufall, auf den Allen hier kraft seiner Lebenserfahrung besteht. Ohne den Zufall wäre alles im Voraus planbar und mit viel Geld und rücksichtsloser Gewalt durchsetzbar. Ist es aber nicht, zum Glück!
Hoffen wir, dass Allen noch einen 51. Film dreht, vielleicht doch wieder mit ihm selbst in der Hauptrolle. Denn noch fehlt ein würdiger Abschluss seiner großen Laufbahn, einer, der wirklich subtil und bitterböse zugleich ist. Aber, wie haben wir hier gelernt: Wer einen Plan macht, sollte die unvorhersehbare Wirkung von Zufällen nicht aus den Augen verlieren. Woody Allen mit seiner messerscharfen Intelligenz braucht man das natürlich nicht zu sagen. Aber wer kann es spielen?
»Ein Glücksfall«, Frankreich 2023. Regie und Buch: Woody Allen. Mit: Lou de Laâge, Valérie Lemercier, Melvil Poupaud, Niels Schneider, Guillaume de Tonquédec, Anne Loiret. 93 Min. Kinostart: 11. April.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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