- Politik
- Wirtschaftskrise
Kuba: Krise als Dauermodus
Schon vor den energieintensiven Sommermonaten häufen sich auf Kuba Stromausfälle und Versorgungsengpässe
Die Sozialproteste, die vor einem Monat aus dem Osten Kubas gemeldet wurden, waren kleiner, als es die internationale Berichterstattung vermuten ließ. Doch die Versorgungslage auf der Karibikinsel bleibt katastrophal. Am letzten Märzwochenende stand in Havanna plötzlich ein Großteil der gelben Minibusse still. »In den letzten 48 Stunden gab es Schwierigkeiten mit der Kraftstoffversorgung für die Fahrzeuge, sodass es nicht möglich war, die Strecken in den festgelegten Routen zu befahren«, teilte die Betreiberfirma Taxis-Cuba in den sozialen Netzwerken mit. Die im Volksmund »Gazellen« genannten Busse sind Eigentum des Staates, werden aber an private Fahrer vermietet, die damit feste Routen zu staatlich gedeckelten Fahrpreisen bedienen. Sie decken einen wichtigen Teil des öffentlichen Nahverkehrs ab. Laut staatlichen Medien bewegen sich dank der Kleinbusse täglich durchschnittlich 1,4 Millionen Menschen in Havanna.
Der Treibstoffmangel hat aber nicht nur Auswirkungen auf den öffentlichen Nahverkehr. Auch für Kubas Wärmekraftwerke sowjetischer Bauart und die Dieselgeneratoren, die vornehmlich zur Stromerzeugung genutzt werden, fehlen immer wieder Brennstoffe. Der geplante Ausbau erneuerbarer Energien hinkt dagegen weit dem Plan hinterher. Zum Teil stundenlange Stromausfälle gehören daher für viele Kubaner wieder zum Alltag – vor allem im Osten des Landes. Das kubanische Fernsehen hat wegen der häufigen Blackouts sogar sein Programm angepasst. Episoden von Seifenopern und Baseballspiele werden bis zu dreimal wiederholt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Grundnahrungsmittel sind knapp
Neben der Stromkrise gibt es Probleme mit der staatlichen Grundversorgung mit Lebensmitteln über die Libreta de Abastecimiento, sogenannte Rationierungsheftchen. Ende Februar wurde bekannt, dass Kuba erstmals überhaupt beim Welternährungsprogramm der UN um Hilfe nachgesucht hat, um die Milchversorgung für Kleinkinder sicherzustellen. Auch die Versorgung mit Weizenmehl für Brot bereitet Sorgen. Laut der Ministerin für Binnenhandel, Betsy Díaz Velázquez, gibt es derzeit nur eine einzige Mühle im Land, die Mehl produziert – zu wenig, um die Nachfrage zu decken.
Auch Produkte wie Kaffee, Speiseöl oder Fleisch bereiten seit Monaten Sorgen. Anfang April wurden über die Libreta fehlende Rationen aus dem Vormonat ausgegeben; die Verteilung der Produkte für April verzögert sich derweil um Tage, wenn nicht Wochen. »Die Nachfrage nach dem Grundnahrungsmittelkorb ist nach wie vor beträchtlich, wobei allein beim Reis monatlich mehr als 34 000 Tonnen nachgefragt werden«, so Díaz Velázquez in staatlichen Medien. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Getreidesorten, die in hohem Maße von Importen abhängig sind und von denen mehr als 3000 Tonnen pro Monat benötigt werden.
Derzeit gibt es über die Libreta monatlich sieben Pfund Reis, ein halbes Dutzend Eier, ein Pfund Bohnen; die zehn Pfund Hühnchen pro Haushalt werden seit September nicht mehr verteilt, Speiseöl oder Kaffee gibt es in unregelmäßigen Abständen. Für viele Kubaner ist aber selbst eine derart geschrumpfte Libreta angesichts der hohen Inflation nach wie vor eine wichtige Hilfe, um über den Monat zu kommen. Ein Monatsgehalt im Staatssektor, wo immer noch etwa 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung beschäftigt sind, reicht derweil kaum aus, um einen 30er-Karton Eier zu bezahlen.
Díaz Velázquez wies ihrerseits darauf hin, dass die Verteilung der Grundgüter durch die mangelnde Verfügbarkeit von Treibstoff und Transportmitteln beeinträchtigt ist. Die US-Blockade und vor allem Kubas Listung als terrorunterstützender Staat durch Washington schränken den Zugang des Landes zu Finanzierung ein, wie die Regierung immer wieder betont. Dies erkläre die Instabilität bei der Lieferung von Lebensmitteln wie Reis, Kaffee oder Zucker.
Der stellvertretende Außenhandelsminister Oscar Pérez-Oliva Fraga wies darauf hin, dass sich allein im Jahr 2023 fünf internationale Banken ohne Vorankündigung weigerten, Transaktionen im Zusammenhang mit dem Kauf von Grundnahrungsmitteln auszuführen. »Diese Verweigerungen führten zu einer Verzögerung von 40 bis 105 Tagen bei der Lieferung von Produkten nach Kuba«, sagte er. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Kubas Landwirtschaft zu wenig produziert. Ein Großteil der Lebensmittel muss importiert werden. Präsident Miguel Díaz-Canel erklärte kürzlich, dass das Land mehr als 230 Millionen US-Dollar monatlich für den Kauf von Nahrungsmitteln für die Bevölkerung aufbringen muss.
Der Mangel an Grunderzeugnissen, die galoppierende Inflation, häufige Stromausfälle und die teilweise Dollarisierung der Wirtschaft haben in den letzten Jahren zu einer beispiellosen Auswanderungswelle und sozialer Unzufriedenheit geführt. Mitte März kam es im Osten des Landes zu vereinzelten Straßenprotesten. Vor allem in Santiago de Cuba und Bayamo gingen mehrere Hundert Menschen auf die Straße, um gegen die katastrophale Versorgungslage und bis zu 18 Stunden lange Stromabschaltungen zu protestieren. Rufe nach »Strom und Essen« (»Corriente y Comida«) waren zu hören.
Besorgniserregend ist, dass es bereits im März zu so massiven Stromausfällen kommt. Denn in den heißen Sommermonaten steigt der Strombedarf gewöhnlich wegen des Einsatzes von Klima- und Kühlanlagen, und der staatliche Stromversorger UNE hat bereits »recht umfangreiche« Wartungsarbeiten in zwei seiner sieben in Betrieb befindlichen Kraftwerke angekündigt.
Um der akuten Versorgungskrise zu begegnen, werden derzeit überall in Havanna – in anderen Teilen des Landes dürfte es ähnlich sein – Lkw-Ladungen an Gemüse und Knollenfrüchten zu staatlich gestützten Preisen ausgegeben. Anfang April traf zudem ein Öltanker mit der ersten Ladung russischen Rohöls seit einem Jahr ein, 650 000 Barrel; für wenige Tage später wurde ein weiteres Schiff mit 40 000 Tonnen Diesel auf der Insel erwartet.
Damit sind auch die gelben Minibusse auf Havannas Straßen zurückgekehrt. An ihnen verdeutlicht sich zugleich das Dilemma der kubanischen Wirtschaft: Fahrpreise zwischen 5 und 15 Pesos (1,4 bis 4,3 Eurocent) machen angesichts teuer importierter Ersatzteile und Benzins kostendeckendes Wirtschaften unmöglich. Gleichzeitig ist ein großer Teil der Bevölkerung wegen des starken Preisauftriebs auf die subventionierten Verkehrsmittel angewiesen.
Stabilisierungspläne der Regierung
Um das gewaltige Staatsdefizit und die schwere Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, hat die kubanische Regierung Ende des Jahres ein Maßnahmenpaket zur makroökonomischen Stabilisierung inklusive Subventionsabbau und Tariferhöhungen auf breiter Front angekündigt. Die einzelnen Maßnahmen sollen nach und nach umgesetzt werden. Bereits zum Jahreswechsel traten Steuer- und Zollerhöhungen für den kubanischen Privatsektor in Kraft. Anfang März wurde die 400-prozentige Preiserhöhung bei Benzin umgesetzt. Gleichzeitig wird an ausgewählten Tankstellen Kraftstoff nur noch gegen US-Dollar verkauft.
Wie von Ökonomen erwartet, hat dies den kubanischen Peso (CUP) gegenüber dem US-Dollar weiter abgewertet – mit entsprechenden Konsequenzen für die Kaufkraft staatlicher Einkommen. Auch die Tarife für Strom, Wasser und andere Dienstleistungen wurden zum Teil drastisch erhöht. Zudem sollen die allgemeinen Subventionen für Grundnahrungsmittel neu aufgestellt werden – von einem Modell, das Produkte subventioniert, zu einem Modell, das sozial schwache Gruppen unterstützt. Einen Zeitplan gibt es dafür aber offiziell noch nicht.
Darüber hinaus wurden bei einer größeren Kabinettsumbildung Anfang Februar mehrere Ministerposten neu besetzt. Für Aufsehen sorgte vor allem die Entlassung von Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández, der dieses Ressort seit 2018 leitete und auch stellvertretender Premierminister war. Sein Ministeramt übernahm der bisherige Chef der kubanischen Zentralbank, Joaquín Alonso Vázquez. Später wurde bekannt, dass gegen Gil wegen Korruption ermittelt wird. Ihm werden laut einer offiziellen Regierungsmitteilung »schwere Fehler bei der Ausübung seines Amtes« zur Last gelegt. Welche Vorwürfe genau erhoben werden, wurde nicht mitgeteilt. Als Minister war Gil einer der Hauptverantwortlichen der Wirtschafts- und Sozialreformen der letzten Jahre; seit Monaten stand er in der Schusslinie wegen der als gescheitert betrachteten Währungsneuordnung und der schweren Versorgungskrise.
Unterdessen bleibt der internationale Kontext von großer Unsicherheit geprägt. Eine Welt voller militärischer Konflikte ist nicht das beste Szenario für einen kleinen Inselstaat wie Kuba, der in hohem Maße vom Weltmarkt abhängig ist. Die immer realer werdende Möglichkeit, dass Donald Trump der nächste US-Präsident sein wird, lässt nichts Gutes erwarten.
Aber auch die Regierung Joseph Biden hat keinen Wandel in der Kuba-Politik vollzogen – im Gegenteil. Das Repräsentantenhaus verabschiedete kürzlich eine Resolution, die es ausdrücklich verbietet, Mittel aus dem »Fonds zur Förderung der Demokratie in Kuba« für Projekte im Zusammenhang mit dem kubanischen Privatsektor zu verwenden. Politik Washingtons scheint es, alle Bereiche der kubanischen Wirtschaft zu strangulieren und damit auch das System der öffentlichen sozialen Grundversorgung auf der Insel zu zerstören, wie kubanische Regierungsvertreter in Hintergrundgesprächen sagen.
Viele Menschen verlieren angesichts der multidimensionalen Krise und fehlender Perspektive auf Besserung die Hoffnung und wandern aus. Fatal für ein Land mit einer ohnehin alternden Bevölkerung, denn es sind vor allem junge, gut ausgebildete Leute, die Kuba emigrieren.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.