Polizeiliche Kriminalstatistik: Brauchbare Kriminalität?

Hannah Espín Grau über die Debatte zur jüngsten Polizeilichen Kriminalstatistik

  • Hannah Espín Grau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Polizei erfüllt die Funktion, die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten und verfügt dafür über entsprechende Kompetenzen. Sie darf in theoretisch engen Grenzen unter anderem festhalten, kontrollieren, durchsuchen, konfiszieren und einsperren. Diese Zwangsmaßnahmen werden durch die latente Gewaltandrohung effektiv, die jeder polizeilichen Tätigkeit innewohnt. Die Polizei leistet also im Kern Gewaltarbeit. Dies rechtfertigt sie, indem sie das Wichtige und Richtige ihrer Arbeit herausstellt, im Kleinen in Einsatzberichten, im Großen aber auch in Tätigkeitsstatistiken wie der Polizeilichen Kriminalstatistik. Diese ist eine Ausgangsstatistik: Die Polizei zeigt damit, dass sie gearbeitet hat und vor allem, dass sie wichtig ist. Denn die Polizei braucht es – so die Überzeugung –, weil es Kriminalität gibt. Sie ist die Institution, die dafür sorgen soll, dass Normverletzungen verhindert oder zumindest geahndet werden. Sie ist die Trennlinie zwischen gesellschaftlichem Naturzustand und Zivilisation – aus dieser Erzählung speist sich ihre Legitimität.

In den vergangenen Tagen war es wie jedes Jahr zur Veröffentlichung der aktuellen Statistik notwendig, dass Kriminolog*innen erklären, was wir alles nicht aus ihr ableiten können. Es ist eine Hellfeldstatistik: Delikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden, tauchen nicht auf. Um sie zu erfassen, braucht es Dunkelfeldstudien. Die Kriminalstatistik ist keine juristische Verlaufsstatistik: Wie es mit den Strafverfahren weiterging, ob die Tatverdächtigen verurteilt wurden, lässt sich nicht sagen. Die Differenzierung in deutsche und nicht-deutsche Tatverdächtige ist an sich problematisch und zudem unscharf: Sie knüpft an eine vermeintliche Andersartigkeit von Menschen ohne deutschen Pass an, wirft dabei Gruppen mit so unterschiedlichen sozialen Lebensrealitäten wie Geflüchtete, Tourist*innen und seit Langem in Deutschland lebende Menschen in einen Topf.

Diesen Hinweisen zur begrenzten Aussagekraft zum Trotz wird von Politiker*innen fast aller Parteien standhaft behauptet, die Sicherheitslage in Deutschland habe sich verschärft. Es brauche daher restriktivere Maßnahmen und insbesondere schnellere Abschiebungen nicht-deutscher Tatverdächtiger. Derartige Rhetoriken zeugen davon, dass die Statistik nicht (nur) missverstanden, sondern darüber hinaus instrumentalisiert wird. Rechte Politik hat Hochkonjunktur und spektrumübergreifend wollen Politiker*innen und Parteien beweisen, dass sie in Deutschland und Europa für (eine bestimmte) Ordnung sorgen.

So werden Gefühle der Unsicherheit, die aus menschgemachten Problemen wie der Mietpreiskrise, der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Erreichung klimatischer Kipppunkte resultieren, umgeleitet in Ressentiments gegen marginalisierte Personen. Diese werden dann einerseits häufiger angezeigt. Andererseits kann – wie wir aus der deutschen Geschichte wissen – eine derart rassistische Rhetorik auch unmittelbar die Sicherheit bestimmter Menschen beeinträchtigen. Nämlich derjenigen, die rassistische Bedrohung und Übergriffe im Alltag, am Arbeitsplatz und auf der Straße erleben; aber auch derjenigen, die im Zuge der Ausweitung polizeilicher Kompetenzen der letzten Jahre zunehmend von Kontrolle und Gewalt betroffen sind, weil sie als nicht-deutsch gelesen werden. Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass derartige Erfahrungen seltener zur Anzeige gebracht werden. Aber auch das ist ein Problem, das wir gesellschaftlich lösen müssen.

Hannah Espín Grau ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Kriminologie und Strafrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Mitautorin der Studie »Gewalt im Amt« (2023, Campus).

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