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Serie »Ripley«: Ästhetik der Ungleichheit
Die Serie »Ripley« ist nicht nur umfangreicher als der Kinofilm von 1999, sondern ein Meisterwerk der Verbindung von Schönheit mit Spannung und Tiefe
Der Weg nach ganz oben ist für Menschen von weit unten lang und beschwerlich. Das gilt nicht für Dickie Greenleaf (Johnny Flynn), versteht sich. Der Spross eines New Yorker Großreeders blickt von seiner Luxusvilla hinunter aufs Mittelmeer, muss jedoch offenbar nie selbst hinaufsteigen. Ganz im Gegensatz zu Tom Ripley (Andrew Scott). Der Trickbetrüger müht sich zu Beginn dieser fabelhaften Netflix-Serie die Treppen zu Dickies Domizil erst aufwärts, dann abwärts, bergan, bergab. Immer und immer wieder.
Es ist ein schweißtreibender Kampf gegen die kapitalistische Höhendifferenz, den er mit sich und seinem Ehrgeiz austrägt. Schließlich könnte es sich lohnen: Beauftragt von Dickies Vater soll Tom dessen Sohn überreden, sein Lotterleben als alimentierter Tunichtgut aufzugeben und heimzukehren. Für Tom bedeutet das: erster Klasse nach Italien. Honorar und Spesen inklusive. Ein verlockendes Angebot für jemanden, der sonst Otto Normalverbraucher um Kleinbeträge erleichtert.
Und eins, das Cineasten vertraut vorkommen dürfte: Als Anthony Minghella Patricia Highsmiths Thriller »Der talentierte Mr. Ripley« 1999 verfilmte, schlidderte Matt Damon beim Versuch, jemand Besseres zu sein, von einer Katastrophe zur nächsten. Zwei Jahre nach seinem Mafia-Epos »The Irishman« schickt Steven Zaillion nun den noch viel talentierteren Andrew Scott zurück in die Swinging Sixties. Und man fragt sich: Kann das Fernsehen dem Roman etwas abgewinnen, das dem Kino verborgen blieb?
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Antwort: Es kann. Mehr noch: Es verlängert die Spielfilmlänge nicht nur auf achtmal 30 bis 60 Minuten, sondern zur vielleicht besten Fiktion 2024, wenn nicht aller Zeiten. Denn »Ripley«, so heißt die Serie in aller Kürze, gelingt nahezu Einmaliges: Dramaturgischer Tiefgang und schauspielerische Brillanz, gepaart mit ästhetischer Vollkommenheit und erzählerischer Stringenz, die trotz hinlänglich bekannter Story zum Zerreißen fesselt.
Dass der vermeintliche Studienfreund des Hobby-Malers Dickie plant, in dessen Rolle zu schlüpfen, erschließt sich nämlich schon früh, nimmt der Erzählung aber nichts von ihrer Spannung. Bis dahin aber muss Ripley Treppensteigen. Um fremdes Vertrauen zu gewinnen, quartiert er sich in dessen Haus himmelhoch über Neapel ein und wird vom Besucher zum Freund, der seinen Gastgeber so virtuos manipuliert, dass weder Dickie noch seine Freundin Marge (Dakota Fanning) etwas davon bemerken.
Wo Matt Damon seinen Eindringling als Impulstäter spielt, der eher zufällig in die Eskalationsspirale gerät, bleibt Showrunner Zaillion somit der Buchvorlage näher und kann sich dabei auf seinen Hauptdarsteller verlassen. In dessen Figur skizzierte Highsmith vor 70 Jahren eine Klassengesellschaft, die so hermetisch verriegelt ist, dass man ihr nur auf krummem Weg – oder endlos geschwungener Wendeltreppe – aufwärts entkommen kann. Und diesen Eifer spielt Andrew Scott mit einer unsichtbaren Vielschichtigkeit, die sprachlos macht.
Von argloser Naivität bis zur maliziösen Infamie muss er nur zwei, drei Gesichtsmuskeln bewegen und variiert sein Minenspiel damit in einer Sekunde mehr als ein Heino Ferch in seiner gesamten Karriere. Die eigentlichen Stars sind allerdings gar nicht im Bild: Robert Elswitt und Jeff Russo. Während der Kameramann jede seiner schwarz-weißen Einstellungen zum Gemälde macht, das für sich genommen schon ins Filmmuseum gehört, legt der Komponist einen Soundtrack darüber, der gleichermaßen eindrücklich und beiläufig ist.
In seiner unaufdringlichen Detailversessenheit, die oft über Minuten hinweg Schnappschüsse der Umgebung zu machen scheint, erinnert »Ripley« dadurch an Meisterwerke von »Lost in Translation« bis »Smoke«, in denen die Optik inhaltliche Aufgaben übernimmt, ohne sie zu ersetzen. So kreiert Zaillion das atemberaubende Stadt-Land-Fluss-Porträt einer eleganten Ära, deren visuelle Schönheit anmutig mit der sozialen Ungleichheit ringsum kontrastiert und beides damit zur Formvollendung führt. Doch obwohl hier jedes einzelne Bild heillos überfrachtet wirkt, bettelt keines davon je um Bedeutung.
Das Herausragende einer einzigartigen Inszenierung aber besteht darin, dass die Sechzigerjahre hier zu keiner Zeit kostümiert wirken – als würde Netflix Super-8-Filme jener Jahre digitalisieren, anstatt sie nachzustellen. Für den Deutschen Louis Hofmann ist es da die größte Ehre, an der Seite von John Malkovich mitspielen zu dürfen – und sei es auch nur am Rande. Wobei »Ripley« für alle Beteiligten das Beste sein dürfte, was sie von ihrer Karriere erwarten dürfen. Nur bei Andrew Scott darf man sich da nicht zu sicher sein. Er zählt zwar schon jetzt zu den Größten unserer Zeit, hat sein Potenzial aber noch nicht annähernd ausgeschöpft.
Verfügbar auf Netflix
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