Sonneborn vergeht das Lachen

Eigentlich wollte Martin Sonneborn im EU-Parlament nur abstuhlen und nichts tun. Nun hat er ein zweites Buch über seine Zeit in Brüssel geschrieben

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 5 Min.
Martin Sonneborn: fraktionslos und auch sonst ziemlich allein im Parlament
Martin Sonneborn: fraktionslos und auch sonst ziemlich allein im Parlament

Das hat Martin Sonneborn jetzt davon. Anstatt sich als Abgeordneter im Europaparlament – wie damals im Wahlkampf angekündigt – zurückzulehnen, hat er sich richtig mit EU-Politik beschäftigt. Er wollte sich auskennen, um Leute über die Abläufe der Brüsseler Politik aufzuklären. Und am Ende seiner zweiten Legislaturperiode, über die er in seinem neuen Buch schreibt, kommt er zu einer harten Analyse.

Brüssel, das heißt »vorbestrafte Staatspräsidenten, korrupte Kommissare, Abgeordnete mit Handtaschen voller Bargeld, Milliarden-Verträge, die per SMS ausgehandelt werden. Und eine Politik, die weniger für 450 Millionen als für 450 Millionäre gemacht wird.« So schreibt der Politiker der Partei bereits im Vorwort. Einen womöglich vorhandenen Glauben an integre, kompetente Politiker*innen in Brüssel und Straßburg will der Europa-Parlamentarier einem gleich zu Beginn nehmen.

Im weiteren Verlauf kann man auch in seinem neuen Buch »Herr Sonneborn bleibt in Brüssel« über die laufende Legislaturperiode 2019 bis 2024 viel über EU-Politik lernen und schmunzeln. Unterhaltsam ist es allemal, wie seine Assistentin und er das für Hunderttausende Euro Steuergeld umgebaute Büro eines ahnungslosen CDU-Abgeordneten besichtigen. Oder er Champagner und Sahnetörtchen bei einer Feier des neuen Vizepräsidenten schnorrt.

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Die Aufklärungsarbeit über mutmaßlich inkompetente oder korrupte Politiker*innen kommt zwar wie im ersten Buch über seine erste Legislaturperiode in Anekdoten verpackt daher. Aber Sonneborn ist ernster geworden. Schließlich hat er sich bei Erscheinen des neuen Buches bereits über neun Jahre die EU in Brüssel und Straßburg angeschaut. Jetzt tritt die Aufklärungsarbeit mehr in den Vordergrund als der Humor. Nicht nur im Buch, auch in seinen Internetvideos lässt sich das beobachten.

Das kann auch daran liegen, dass es in der Brüsseler Politikblase wenig Verbündete für die humoristische Herangehensweise zu geben scheint. Fast zehn Jahre unlustige Typen um einen herum, steckt nicht einmal Sonneborn als der ewige Satiriker so einfach weg. Die informativen Schlagabtausche über designierte EU-Kommissarinnen oder Parlamentskolleg*innen führt er im Buch oft mit seinen zwei treuen Weggefährten. Sein Büroleiter und Rechtsberater Dustin Hoffmann und eine namenlos bleibende »europapolitische Beraterin«. Sein Kollege als Satiriker und Abgeordneter Nico Semsrott hatte die Partei wegen Rassismusvorwürfen gegen Sonneborn im Januar 2021 verlassen.

Falls man sich fragt, wie Sonneborn im Nachhinein über diese Vorwürfe gegen ihn denkt, kann man auch das nachlesen. Der Satiriker hatte auf Twitter ein Foto von sich veröffentlicht, auf dem er ein T-Shirt mit einem Spruch in Anspielung auf Donald Trumps Anti-China-Kurs trägt. Darauf waren einige »R« durch ein »L« ersetzt worden (in Anspielung daran, dass angeblich viele Asiat*innen kein »R« aussprechen können). Viele Nutzer*innen sahen in dem Tweet anti-asiatischen Rassismus.

Im Buch schreibt Sonneborn, was damals bereits in seiner Entschuldigung durchklang: Er hält es weiterhin für einen – zugegeben misslungenen – Witz und tut die Rassismusvorwürfe als Empörung vorrangig junger Leute ab. Dazu zitiert er ein Spiegel-Interview mit ihm von damals, in dem er fordert, »dass sich nicht jede Kleinstgruppe zum Nabel der Welt deklariert«. Es gehe schließlich um den Kampf gegen soziale Ungleichheit. Rassismus ist für Sonneborn also ein Wehwehchen im Vergleich zum Kampf gegen den Kapitalismus. Ob der Vorfall und sein Umgang damit Auswirkungen auf sein Wahlergebnis haben, wenn Sonneborn wieder kandidiert, wird sich im Juni bei den Europawahlen zeigen.

So witzig oder umstritten ihn die Leute in Deutschland finden, so wenig dürften ihn seine europäischen Amtskolleg*innen aus den anderen EU-Ländern verstehen: Seine Reden, allesamt im Buch abgedruckt, hält er im Straßburger Parlament stets auf Deutsch. Die Simultan-Dolmetscher*innen kommen bei seinem Stil kaum hinterher. (Zu Angela Merkel im Jahr 2020: »Wenn ich richtig las, planen Sie, das Coronavirus mit viel Geld zu ersticken; übrigens etwas, das der EU mit dem nicht minder schäbigen Viktator Orbán leider nicht geglückt ist.«). Dass der Witz bei den Übersetzungen wohl nicht transportiert wird, thematisiert Sonneborn selbst. Aber belässt es dabei und kommt nicht etwa zu dem Schluss, auf Englisch zu sprechen.

Genauso unbeirrt bleibt er auch an seinen politischen Herzens-Themen der ersten fünf Jahre in Brüssel dran: Er kritisiert den Umgang Aserbaidschans mit der Enklave Bergkarabach und fordert die offizielle Anerkennung Bergkarabachs als Republik. Er erzählt von seiner Aktion mit der Linke-Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, den Wikileaks-Gründer Julian Assange für den Friedensnobelpreis zu nominieren. Und seine Partei und er wollen entgegen den Versuchen der SPD und CDU die Einführung einer Sperrklausel bei den Europawahlen verhindern. Ernste Themen also, die über die Sauf-Witze und Bier-Zentriertheit so manch anderer Partei-Mitglieder hinausgehen.

All das ist in kurze Texte gepackt, chronologisch geordnet und mit jeweiligem Ortsnamen von Brüssel bis Bergkarabach versehen. Einen beträchtlichen Teil der 432 Seiten machen Kommentare aus dem Internet aus sowie Zeitungsberichte über ihn und Auszüge aus Interviews, die er gegeben hat. Bei dieser Sammlung an Medien setzen Sonneborn und der Verlag auf den selben Aufbau wie in seinem ersten Brüssel-Buch, das in der Spiegel-Bestsellerliste landete. Das könnte so wirken, als ob Sonneborn sich beim Aufschreiben nicht viel Mühe gegeben hat. Aber in den Zeilen stecken so viele Erzählungen, Situationen und Aktionen, dass klar wird: Sonneborn ist wirklich engagiert als Politiker.

Martin Sonneborn: »Herr Sonneborn bleibt in Brüssel«, KiWi, geb., 432 S., 20 €.

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