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Indiens soziale Kluft wird nicht kleiner

Die hohen Wachstumsraten gehen mit viel prekärer Beschäftigung einher

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war vor allem das beachtliche Wirtschaftswachstum in seiner Heimatregion Gujarat, das Narendra Modi von der hindunationalistischen BJP seinen ersten nationalen Wahltriumph 2014 bescherte. »Genau das wollen wir auch«, hatten sich damals viele bei der Stimmabgabe gesagt. Fünf Jahre später war es ähnlich. Vor allem die wirtschaftlichen Versprechen zogen bei den Wähler*innen, mochten auch parallel so manche gesellschaftspolitischen Entwicklungen unter der hindunationalistischen Regierung verstörend wirken. Tatsächlich kann Modi auf Fakten verweisen, die den enormen Boom der vergangenen zehn Jahre unterstreichen. Milliardensummen wurden und werden in neue Flughäfen und Highways investiert, bestehende modernisiert. Auch die eher behäbige Eisenbahn als größter Staatsbetrieb weist etliche mit reichlich Öffentlichkeitswirksamkeit eingeweihte neue Schnellbahnstrecken vor. Zudem haben rund 20 Metropolen ein Metro-Netz – oder sind dabei, ein solches aufzubauen.

Im letzten Quartal 2023 legte Indiens Wirtschaft um 8,4 Prozent zu. Damit steht das Land klar an der Spitze der G20-Staaten, wo sich selbst der rapide Boom beim Rivalen und Nachbarn China deutlich abschwächt und nur noch eine Vier vor dem Komma zeigt. Momentan landet Indien auf Platz fünf der größten Volkswirtschaften, könnte laut aktuellen Prognosen schon 2027 auf Rang drei aufsteigen. Für das laufende Jahr hat gerade der Internationale Währungsfonds seine Prognose auf 6,8 Prozent angehoben.

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Wirtschaftswunder schafft zu wenig neue Arbeitsplätze

Unter anderem mit dem Versprechen weiteren Ausbaus der Infrastruktur, Schaffung neuer Jobs und Ausweitung der Sozialprogramme geht Modi auf Stimmenfang. Dabei ist gerade die Arbeitsplatzfrage eine der Schwachstellen beim Blick hinter die Statistiken. Zwar seien 2014 bis 2022 insgesamt 12,5 Millionen neue Stellen geschaffen worden, hatte im Vorjahr Arbeitsminister Bhupender Yadav voller Stolz verkündet. Nötig wären aber jährlich wegen des Bevölkerungswachstums deutlich mehr. Von »Indiens Beschäftigungskrise« spricht deshalb auch der aktuelle Jahresbericht 2024 der Internationalen Arbeitsorganisation. Job-Wachstum gebe es nennenswert sowieso erst seit 2019, heißt es dort, die Jugendarbeitslosigkeit habe sich zuvor von 5,7 auf 17,5 Prozent verdreifacht. Vollwertige Arbeitsverträge seien seit 2018 sogar rückläufig, und 82 Prozent aller Beschäftigten arbeiten weiter im informellen Sektor, sehr oft auf Tagelöhnerbasis. Dem anhaltenden »Wirtschaftswunder« fehlt damit ein substanzieller Faktor, um insbesondere all jene jungen Leute, die im bevölkerungsreichsten Land der Welt alljährlich neu auf den Arbeitsmarkt drängen, mit einem existenzsichernden Job zu versorgen.

Viele Milliardäre, Millionen Arme

In der aktuellen Milliardärsliste des Forbes-Magazins stehen 200 Namen von Superreichen aus Indien, die drittgrößte nationale Gruppe – im Vorjahr waren es »nur« 169. Während Mukesh Ambani, Chef des Mischkonzerns Reliance, und der als besonderer Modi-Vertrauter äußerst umstrittene Gautam Adani (Adani Group) die beiden Spitzenplätze einnehmen, beträgt allein das Gesamtvermögen dieses überschaubaren Personenkreises über eine Billion US-Dollar. Demgegenüber sind knapp zwei Drittel der indischen Gesamtbevölkerung weiterhin auf die subventionierten Angebote von Reis und anderen Grundnahrungsmitteln in den speziellen PDS-Shops angewiesen – das im Umfang weltgrößte Sozialsystem.

An die weit verbreitete Armut erinnert in einem aktuellen Aufsatz unter anderem der renommierte indisch-amerikanische Ökonom Ashoka Mody. »Indiens Arme lassen sich nicht einfach hinwegwünschen«, heißt es schon im Titel seiner Betrachtung, in dem er auf eine akkurate Analyse der tatsächlichen Lebensverhältnisse drängt, statt sich an fragwürdigen Zahlenkonstrukten festzuhalten. Denn gerade die Angaben, wie groß Indiens Armutsproblem immer noch ist, variieren stark. Viele Statistiken legten dabei keine existenzsichernden Einkommenshöhen der Familien zugrunde, die zudem bekanntermaßen nach ländlichen Gebieten und den großen Städten differieren, betont Mody. Statt zwischen 15 und 20 Prozent, wie meist angegeben, liege der Anteil der Armen damit real bei 30 bis 40 Prozent auf dem Lande und sogar 40 bis 60 Prozent bei der urbanen Bevölkerung. Für Mody steht fest: Indiens aktuelles Wachstumsmodell basiert auf den Interessen großer Unternehmen und einer Gruppe sehr reicher Inder.

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