VW-Werk in Tennessee: Meilenstein für US-Autogewerkschaft

VW-Arbeiter sagen Ja zur Gewerkschaft. UAW gewinnt Abstimmung in VW-Werk in Tennessee

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 4 Min.
Durch die Abstimmung dringt die UAW in eine Region vor, die Gewerkschaften gegenüber besonders feindlich eingestellt war.
Durch die Abstimmung dringt die UAW in eine Region vor, die Gewerkschaften gegenüber besonders feindlich eingestellt war.

Es war ein Sieg mit Ansage: Nach dem aufsehenerregenden Erfolg im Arbeitskampf gegen die US-Autokonzerne General Motors, Ford und Stellantis hatte Shawn Fain, Chef der US-Automobilgewerkschaft (UAW) angekündigt, man wolle sich als Nächstes die Werke ausländischer Hersteller in den USA vornehmen. Denn anders als bei den »Detroit Three«, deren Belegschaft die UAW seit den 1930er Jahren repräsentiert, hatte die Gewerkschaft dort bisher noch nirgends einen Fuß in die Tür bekommen.

Seit Freitag ist das anders: Im VW-Werk Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee entschied sich bei einer Urabstimmung eine überwältigende Mehrheit der Beschäftigten dafür, sich künftig von der UAW repräsentieren zu lassen. Das Ergebnis fiel mit 2628 zu 985 Stimmen mehr als deutlich aus und ist in mehrerer Hinsicht historisch: Nicht nur organisiert die UAW damit die erste Fabrik eines ausländischen Herstellers, sie dringt damit auch in eine Region vor, die Gewerkschaften gegenüber bisher besonders feindlich eingestellt war.

Denn anders als im Mittleren Westen war die Präsenz von Gewerkschaften in der Autobranche wie auch in anderen Industriebetrieben in den Südstaaten der USA bisher äußerst schwach. Einzelne Fabriken im Süden sind zwar gewerkschaftlich organisiert, bilden aber die absolute Ausnahme. Das VW-Werk in Chattanooga könnte nun zu einem Brückenkopf erfolgreicher Organisierung im Süden werden.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

VW hatte den Bau des Werks in Tennessee 2008 angekündigt und dafür vom Bundesstaat, der Bundesregierung und der Kommunalpolitik 577 Millionen US-Dollar an Subventionen eingestrichen. Seit 2011 produziert der Konzern dort PKWs für den nordamerikanischen Markt, zunächst den Passat, später den SUV Atlas und das Elektroauto ID.4. Volkswagen zog es wie andere ausländische Hersteller aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus in die Südstaaten.

Anders als seine Konkurrenten wollte VW aber Gewerkschaften nicht um jeden Preis aus seinen Werken fernhalten: 2014 hielt die UAW im Werk Chattanooga sogar mehr oder weniger auf Einladung des Konzerns eine Urabstimmung über die Anerkennung als Hausgewerkschaft ab. Der Grund: VW wollte seine Strukturen zur betrieblichen Mitbestimmung weltweit vereinheitlichen und auch in Chattanooga einen Betriebsrat nach deutschem Vorbild gründen. Das US-Arbeitsrecht macht es allerdings schwer, solche Mitarbeitervertretungen ohne die Zusammenarbeit mit einer Gewerkschaft zu etablieren.

Für die UAW ergab sich somit die – nach damaliger Auffassung – einmalige Chance, auch bei einem ausländischen Hersteller Fuß zu fassen. Doch die Beschäftigten lehnten die Initiative mehrheitlich ab. Zu groß waren die Vorbehalte in dem neuen Werk gegenüber Gewerkschaften, mit denen man kaum Erfahrungen hatte. Job- und Standortsicherheit gingen für viele vor. Das Ergebnis wurde als Zeichen gedeutet, dass die US-Industriegewerkschaften früher oder später dem Untergang geweiht seien. »Wenn die UAW hier nicht gewinnen kann, wo dann?«, fragte das Wirtschaftsmagazin »Bloomberg« nach der Abstimmung von 2014, sichtlich erfreut. Das Werk in Chattanooga mit seinen über 4000 Beschäftigten blieb der einzige VW-Standort außerhalb Chinas ohne Betriebsrat.

2019 nahm die UAW einen weiteren Anlauf, das Werk in Chattanooga zu organisieren, dieses Mal ohne Unterstützung des VW-Managements. Auch diese Initiative scheiterte – wenn auch das Ergebnis mit 52 zu 48 Prozent deutlich knapper ausfiel als 2014. Nach ihrem erfolgreichen Arbeitskampf bei den drei großen US-Autokonzernen schien die Zeit reif für einen dritten Versuch – und dieses Mal konnte die Gewerkschaft die VW-Beschäftigten in Chattanooga überzeugen. Das Positivbeispiel der deutlichen Lohnerhöhungen, insbesondere für Leiharbeiter*innen und Teilzeitbeschäftigte, hat sich offenbar bis nach Tennessee herumgesprochen. Die alte Skepsis gegenüber Gewerkschaften ist verflogen.

»Jetzt, wo es offiziell ist, kann ich mich entspannt zurücklehnen«, so Robert Crump, der seit zwölf Jahren bei VW arbeitet, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. »Das ist ein wirklich gutes Gefühl«, sagt Crump, der dieses Jahr zum dritten Mal für die UAW gestimmt hat.

»Ihr alle habt das Wichtigste getan, was jemand aus der Arbeiterklasse tun kann: Aufstehen«, bekräftigte UAW-Chef Fain die VW-Beschäftigten nach Bekanntgabe der Ergebnisse. Fain kündigte Kampagnen in weiteren Autofabriken in den Südstaaten an. Am 13. Mai steht in einem Mercedes-Werk in Alabama bereits die nächste Urabstimmung an.

Bei der diesjährigen Abstimmung in Chattanooga verhielt sich das VW-Management offiziell neutral. Anders die republikanischen Gouverneure von sechs Südstaaten, die im Vorfeld an die Beschäftigten appellierten, gegen die UAW zu stimmen: »Wir können die Auswirkungen des Streiks gegen die Detroit Three bereits beobachten: Diese Automobilhersteller überdenken ihre Investitionen und wollen Arbeitsplätze abbauen«, hieß es in ihrer Erklärung. »Die Unternehmen in unseren Staaten in diese Lage zu bringen, ist das letzte, was wir brauchen«, so die Gouverneure. Die VW-Beschäftigten in Chattanooga sehen dies offenbar anders.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.