- Politik
- Wirtschaftswende
FDP-Plan: Ein wirtschaftsliberales Wunschkonzert
12-Punkte-Plan der FDP sorgt für neuen Streit in der Ampel-Koalition
Die FDP treibt ihre Koalitionspartner seit zweieinhalb Jahren vor sich her und setzt immer wieder ihre Agenda durch. Das hat ihr jedoch in Sachen Popularität nichts genützt. Vielmehr schrammt sie in Umfragen seit Monaten an der Fünf-Prozent-Hürde entlang. Bei der Bundestagswahl 2021 war sie noch auf 11,4 Prozent der Stimmen gekommen. Angesichts dessen tritt die FDP-Spitze nun die Flucht nach vorn – oder aus der Koalition – an. Denn die Beschlussvorlage für den Bundesparteitag am kommenden Wochenende, die das FDP-Präsidium am Montag absegnete, liest sich wie ein neoliberales Wünsch-dir-was.
Für die angeblich nicht sonderlich leistungsbereiten Normalbürger sieht die Vorlage ein Streichprogramm unter dem Motto »Arbeitskräfte mobilisieren« vor. Die Rente mit 63 und Vorruhestandsregelungen sollen fallen, um »das wertvolle Know-how und die Arbeitskraft älterer Menschen länger zu sichern«. Ein weiterer Punkt: Flexibilisierung von Arbeitszeiten.
Vor allem aber will man zurück zu einem schärferen Sanktionsregime gegenüber Bürgergeldbeziehern und fordert eine »sofortige Leistungskürzung von 30 Prozent«, sobald jemand »zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt«. Zudem müsse der »verfassungsrechtliche Spielraum für verschärfte Sanktionen bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen« ausgenutzt werden.
Derzeit dürfen bei der ersten Pflichtverletzung maximal 10 Prozent der Leistungen für einen Monat gestrichen werden. Danach greift zunächst eine 20-Prozent-Kürzung, ehe die Leistung zeitweilig um bis zu 30 Prozent reduziert werden kann. Den jüngsten Koalitionsbeschlüssen zufolge darf »hartnäckigen« Verweigerern für maximal zwei Monate der volle Regelsatz gestrichen werden, nicht jedoch die Kosten der Unterkunft.
Auf der anderen Seite wollen die Liberalen die Wirtschaft durch »Bürokratieabbau« und Steuergeschenke »entfesseln«. Die Streichung von Subventionen für Ökostrom einerseits und die Zulassung der klimaschädlichsten Form der Energiegewinnung überhaupt, nämlich der Schiefergasförderung (Fracking), soll eine Senkung der Energiepreise bewirken.
Durch die vollständige Streichung des Solidaritätszuschlags, den seit Langem nur noch die reichsten 10 Prozent der Bürger zahlen müssen, will die FDP »Unternehmen sowie Leistungsträgerinnen und Leistungsträger jährlich um etwa zwölf Milliarden Euro spürbar entlasten«. Gleichzeitig hält die Partei strikt an der Einhaltung der sogenannten Schuldenbremse fest und sperrt sich gegen staatliche Investitionsprogramme für Klimaschutz und Infrastruktur.
Weiter will die FDP das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen, das große Unternehmen für die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in Zulieferbetrieben im Ausland in die Verantwortung nimmt. Weil die Liberalen dies unzumutbar finden, sorgten sie auch dafür, dass Deutschland das EU-Lieferkettengesetz ablehnte. Es wurde dennoch beschlossen. Bis zu dessen Umsetzung in nationales Recht will die FDP nun aber das bereits geltende deutsche Gesetz aussetzen. Darüber hinaus sollen nach dem Willen der FDP später bei der Umsetzung der EU-Richtlinie »sämtliche Spielräume genutzt werden, um die Belastungen für die Wirtschaft zu begrenzen«. Gemeint sind »enorme Bürokratiekosten und unkalkulierbare Haftungsrisiken«.
Führende Sozialdemokraten reagierten mit scharfer Kritik auf die Forderungen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, sie seien »ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit«. SPD-Chef Lars Klingbeil betonte gegenüber »Bild« mit Blick auf die Rente mit 63: »Wer 45 Jahre lang in Krankenhäusern, Kitas oder auf dem Bau für unser Land schuftet, hat ein Recht auf eine abschlagsfreie Rente. Das bleibt.«
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte am Montag in Berlin, der Abbau von Arbeitnehmerrechten oder das Kürzen von Renten habe »mit Wirtschaftskompetenz wenig zu tun«. Er halte die Vorschläge »eher für Parteitagsfolklore der FDP, denn das wird ja nicht Wirklichkeit werden in der Regierungskoalition«. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte dem »Tagesspiegel«, die SPD lasse »nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird«. Er verwies auf den Koalitionsvertrag, an den sich auch die FDP halten müsse.
Ähnlich äußerte sich auch der Ko-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour. Er gab sich jedoch betont gelassen. »Die Koalition arbeitet, und das wird sich nicht ändern, weil es Parteitagsbeschlüsse gibt«, sagte er am Montag in Berlin.
Derweil spricht CSU-Chef Markus Söder mit Blick auf das FDP-Papier von einer »Scheidungsurkunde für die Ampel«. Ähnlich äußerte sich Sahra Wagenknecht. Kanzler Olaf Scholz solle dem Parlament die Vertrauensfrage stellen und der Bundestag »den Weg für Neuwahlen am 1. September frei machen«, forderte die Gründerin und Vorsitzende der nach ihr benannten Partei BSW.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Gruppe Die Linke im Bundestag, Christian Görke, machte unterdessen darauf aufmerksam, dass die FDP-Vorschläge nicht nur eine »sozialpolitische Katastrophe« seien, sondern auch »fatal für die Wirtschaft, da man so die Gesamtnachfrage reduziert«. »Die Ärmsten geben schließlich jeden Cent direkt wieder aus, die Reichen nicht.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.