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Maßregelvollzug in Berlin: Grundrechte nicht gewährleistet
Der Chefarzt der Klinik kündigt wegen Unvereinbarkeit von Versorgungslage und Gewissen
Nun zieht er die Reißleine: Sven Reiners, ärztlicher Leiter des Maßregelvollzugs in Berlin, hat gekündigt. Dies war am Freitag bekannt geworden. Seit 2011 war er in der psychiatrischen Einrichtung tätig und hatte vor drei Jahren deren Leitung übernommen. In den vergangenen Jahren war die Klinik schon mit katastrophaler Versorgungssituation der Patienten und Überlastung der Angestellten aufgefallen. »Die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere aber die letzten zwölf Monate, haben zu Zuständen geführt, die ich in keinerlei Hinsicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren kann«, sagte Reiners dem RBB am Samstag.
Zurzeit gibt es eine 25-prozentige Überbelegung der planmäßig 549 Plätze an den zwei Standorten des Krankenhauses des Maßregelvollzugs (KMV), wie die Senatsverwaltung im Ausschuss für Gesundheit und Pflege am Montag mitteilte. Auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf und an einem Standort im Pankower Ortsteil Buch werden verurteilte Straftäter*innen behandelt, die an psychischen Problemen oder einer Suchterkrankung leiden. Gleichzeitig erfüllt das KMV die Funktion eines Gefängnisses.
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In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Menschen im Maßregelvollzug deutlich gestiegen, so die Senatsverwaltung für Gesundheit – in Berlin im Ländervergleich sogar am stärksten. Da diesem Trend nicht mit ausreichender Kapazitätenerhöhung begegnet wurde, kam es bereits zu Ausbrüchen, Angriffen auf Mitarbeitende und belastenden Situationen für die Insassen. Chefarzt Reiners sieht Grundrechte »nicht mehr gefährdet, sondern nicht mehr gegeben«, er könne keine Verantwortung mehr für die Versorgung der Patienten, die Mitarbeitenden und die Sicherheit der Stadt übernehmen.
Die Probleme sind nicht erst seit gestern bekannt. Die Kündigung des Chefarztes signalisiere aber eine mangelnde Perspektive auf schnelle Verbesserung, sagt Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Auch wenn Stellen ausgeschrieben seien, könne es so schnell keine Entlastung geben, da schlichtweg die Fachkräfte fehlten. »Alle Möglichkeiten zur höheren Eingruppierung sollten ausgeschöpft werden«, sagt Schulze zu »nd«. Momentan laufe die höhere Bezahlung der Pflegekräfte im KMV über Zulagen, die aber auch wieder aberkannt werden können. Vor allem aber müsse man die Arbeitsbedingungen verbessern.
Zuletzt wollte die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) die Überlastung den Insassen selbst in die Schuhe schieben: Teils würden sie nur Suchtkrankheiten vortäuschen, um in den angeblich milderen Maßregelvollzug zu kommen. Dagegen verwahrt sich Manuel Matzke von der Gefangenengewerkschaft: »Wir kennen niemanden, der im Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug fordert.«
Laut Zahlen der Senatsverwaltung, die »nd« nach Anfrage vorliegen, hat Matzke recht: Die Zahl der nach Paragraf 64 Strafgesetzbuch im KMV Untergebrachten ist seit 2019 nicht gestiegen und betrug im vergangenen Jahr 151. Die Zahl der Patienten nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch aber ist im gleichen Zeitraum um 126 auf insgesamt 561 gestiegen. Der Aufenthalt nach Paragraf 64 im Maßregelvollzug ist zeitlich begrenzt und für Straftäter*innen vorgesehen, denen eine Suchtkrankheit attestiert wird, die während einer Haftstrafe therapiert werden soll. Wer nach Paragraf 63 untergebracht ist, soll wegen psychischer Probleme therapiert, jedoch auch an der Begehung von Straftaten aufgrund dieser Probleme gehindert werden – die Verwahrung ist zeitlich nicht begrenzt, ihr Ende von der Beurteilung des medizinischen Personals abhängig.
Matzke betont den Teufelskreis aus Hinderung an schneller Genesung der Insassen durch Überlastung der Klinik. Die Intransparenz der Einrichtungen führe auch regelmäßig zu Machtmissbrauch durch das Personal. »Wer Beschaffungskriminalität aufgrund von Suchtkrankheit begeht, braucht professionelle Hilfe.« Das könne der Maßregelvollzug nicht bieten, so Matzke.
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