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Razzia bei kurdischen Exilsendern in Belgien
Belgische Polizei durchsucht Redaktionsräume
Es ist 1:30 Uhr, als sich die belgische Polizei am Dienstag gewaltsam Zutritt zu den Räumlichkeiten der kurdischen Exil-Fernsehsender Sterk TV und Medya Haber in Denderleeuw bei Brüssel verschafft. Laut der flämischen Nachrichtenagentur HLN soll ein Aufgebot von über 200 Beamten an der Durchsuchung beteiligt gewesen sein; ein bereitgestellter Wasserwerfer kam letztlich nicht zum Einsatz.
Die beiden Fernsehkanäle senden in den verschiedenen Dialekten der kurdischen Sprache sowie auf Türkisch und erreichen mit ihrem Nachrichten- sowie Kulturprogramm via Satellit und Internetstream ein breites Publikum weltweit. Dabei besitzen die beiden Kanäle besonders für die Millionen Kurd*innen im Mittleren Osten und in der Diaspora eine besondere Bedeutung, doch vor allem der türkischsprachige Kanal Medya Haber dient auch der linken Opposition der Türkei als wichtiges Kommunikationswerkzeug. So sind die beiden Satellitensender die einzigen Kanäle, die live über das Kriegsgeschehen und die Angriffe des türkischen Militärs auf die Kurdengebiete Iraks und Syriens berichten.
Während der über vier Stunden andauernden Durchsuchung verweigerten die eingesetzten Beamten den Mitarbeitern beider Sender jeglichen Zutritt zum Gebäude. Das Sicherheitspersonal der beiden Medienhäuser wurde kurzerhand gefesselt und gezwungen, mit den Armen auf dem Rücken auf dem Boden zu bleiben. Videos, die Mitarbeiter der Kanäle kurz nach Ende der Razzia in den sozialen Medien teilten, zeigten ein Bild des Chaos und der Zerstörung, was die Beamten bei der Durchsuchung hinterlassen haben.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärten beide Sender, dass die Polizei bei ihrem Vorgehen mutwillig Technik und Kabel zerstört hätte und warfen den belgischen Behörden die »Sabotage« des Sendebetriebs vor. Eine der Moderatorinnen, Heval Aslan, bezeichnete die Durchsuchung als einen »Schlag gegen das Recht des kurdischen Volkes auf Informationsfreiheit« und verurteilte das rabiate Vorgehen der Polizei als »Piratenangriff«.
Für sie bestünde kein Zweifel, dass die gestrigen Durchsuchungen »Ergebnis der schmutzigen Beziehungen mit dem faschistischen Erdoğan-Regime« seien und kündigte an, man werde alle juristischen Mittel ausschöpfen, um gegen die Maßnahmen vorzugehen. Die Durchsuchungen bei den beiden kurdischen Fernsehsender scheinen im Zusammenhang mit Ermittlungen der französischen Behörden zu stehen.
So berichtete die flämische Tagesszeitung »De Standaard« unter Berufung auf die belgische Generalstaatsanwaltschaft, dass die Fernsehsender auf Ersuchen der französischen Antiterrorstaatsanwaltschaft PNAT gestürmt worden sein sollen. Gegenstand der Ermittlungen soll die »Finanzierung einer terroristischen Organisation« sein, namentlich der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). So stürmten Spezialeinheiten der französischen Polizei in den frühen Morgenstunden einen kurdischen Kulturverein und mehrere Wohnungen im Pariser Vorort Drancy. Mindestens sechs Personen befinden sich weiterhin in Polizeigewahrsam.
Die betroffenen Fernsehsender wiesen jegliche Anschuldigungen vehement zurück. Man produziere nur »TV-Sendungen« und die Räumlichkeiten der Sender stünden jedem, inklusive der Polizei, jederzeit offen, um sich selbst ein Bild davon zu verschaffen. Für sie ist die Durchsuchung Teil eines größeren Schlages gegen die »kurdische freie Presse«. Auch in Istanbul, Ankara und Riha (türkisch: Şanlıurfa), durchsuchte die türkische Polizei mehrere Wohnungen und nahm neun Journalist*innen der prokurdischen Nachrichtenagentur MA sowie der Tageszeitung Yeni Yaşam in Gewahrsam.
Die oppositionelle DEM-Partei, welche Erdoğans regierender AKP bei den jüngsten Kommunalwahlen einen schweren Schlag versetzte, sieht die Festnahmen und Durchsuchungen in Europa und der Türkei im Zusammenhang mit dem militärischen Vorgehen der türkischen Armee im Nordirak und erklärte, dass es sich um »Vorbereitungen für einen größeren und umfassenderen Angriff gegen das kurdische Volk« handele.
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