Hexenverfolgung hat Auswirkungen bis heute

In der Geschichte landeten Tausende auf dem Scheiterhaufen, weil sie der Hexerei bezichtigt wurden. Auswirkungen dieser Menschenjagd gibt es bis heute

  • Sarah Tekath, Amsterdam
  • Lesedauer: 7 Min.
Bildnis von der Verbrennung einer angeblichen Hexe, die 1531 mit gemeinsam dem Teufel in der Stadt Schiltach im Schwarzwald Feuer gelegt haben soll.
Bildnis von der Verbrennung einer angeblichen Hexe, die 1531 mit gemeinsam dem Teufel in der Stadt Schiltach im Schwarzwald Feuer gelegt haben soll.

Vorsichtig stellt sich die Frau auf die schwebende Holzplatte. Gegenüber wird ihr Körpergewicht ausbalanciert. Würde sie zu leicht sein, wäre dies ein Zeichen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Die sogenannte »Hexenwaage« steht in der niederländischen Stadt Oudewater. Auch wenn es jetzt nur eine Demonstration für die Besucher*innen des zugehörigen Museums ist, in der Vergangenheit ging es an diesem Ort um Leben und Tod.

Hexenverfolgungen fanden in Europa und den USA zwischen 1430 und 1780 statt. Schätzungen gehen heute von rund 60 000 Opfern aus, der Großteil waren Frauen. Die Angeklagten wurden zumeist systematisch befragt, gefoltert oder getestet, um sie als Hexe oder Hexer zu entlarven. Eine Ausnahme bildete eine »Hexenwaage«. Hier hatten die Beschuldigten die Möglichkeit, auf der Waage, die üblicherweise für Handelsgüter genutzt wurde, durch ihr Körpergewicht zu beweisen, dass es sich bei ihnen um keine zu leichten, übernatürlichen Wesen handelte. Aufgrund der Eichung der Waage von Oudewater bekamen die Beschuldigten einen fairen Prozess – und tatsächlich wurde keine der Hexerei beschuldigte Person jemals in diesem Gebäude verurteilt. Eine weitere Hexenwaage kann in Freiburg im Breisgau besichtigt werden. Andernorts in den Niederlanden wurden im Laufe der Jahrhunderte rund 200 der Hexerei angeklagte Frauen getötet. Auf der Website der Stiftung »Nationales Hexenmonument« sind ihre Namen aufgelistet.

Weiße Blumen und ein Denkmal

Die 2023 von der Theatermacherin Manja Bedner, der Autorin Susan Smit sowie der Journalistin Bregje Hofstede gegründete Fundation will mehr Aufmerksamkeit für das Thema Hexenjagd erreichen. Sie wollen auf den damit verbundenen Femizid und die Folgen für spätere Generationen von Frauen hinweisen. Manja Bedner hat sogar ein eigenes Theaterstück produziert über Aleida, die erste Frau in den Niederlanden, die 1472 als Hexe die Todesstrafe erhielt. Susan Smit hat mehrere Bücher zum Thema Hexen veröffentlicht.

»Unsere Initiative ist entstanden, weil dem Thema weder in der Schule noch in der Gesellschaft genug Aufmerksamkeit geschenkt wird«, erzählt Hofstede. »Die meisten denken bei Hexen nur an die Figur mit Hakennase und Warze aus Märchen und Geschichten. An Massenmord und Femizid denkt niemand.« Im Juni 2023, als gerade eine Essay-Sammlung der Organisation mit Beiträgen zum Thema erschienen ist, wurden erstmals an mehr als zwanzig Orten in den Niederlanden weiße Blumen für die Opfer der Hexenverfolgung niedergelegt. An der »Hexenwaage« in Oudewater kamen Menschen zum Gedenken zusammen. Insgesamt nahmen mehr als 800 Personen an den Aktionen teil, auch auf dem Platz vor dem Königlichen Palast in Amsterdam.

Aktuell sammelt die Stiftung Geld von privaten Spender*innen, um ein Hexendenkmal zu errichten. Mehrere Gemeinden hätten bereits Interesse daran bekundet, sagt Hofstede. Welche das sind, will sie allerdings nicht sagen, um den Entscheidungsprozess nicht zu beeinflussen. Unverständnis für ein solches Denkmal, gebe es durchaus, sagt sie. »Wenn es dabei um Feminismus geht, hören wir oft: ›Was für ein Unsinn. Das ist kein echtes Problem. Das ist doch schon Jahrhunderte her.‹«

Allerdings sieht Hofstede diese systematische Menschenjagd nicht nur als Ereignis einer dunklen Vergangenheit an. Die Auswirkungen seien bis in die Gegenwart zu bemerken. »In ganz Europa wurden Tausende Menschen ermordet. 80 Prozent der Beschuldigten und 85 Prozent der Verurteilten waren Frauen.« Der Grund dafür sei unter anderem, dass Frauen als einfältiger und beeinflussbarer betrachtet wurden als Männer und darum der Verführung durch den Teufel – auch sexuell – leichter erlegen sein sollen.

Frauen seien als dumm und notgeil angesehen worden, erklärt Hofstede. Das mache deutlich, mit wie viel Frauenhass die Verfolgung vonstattenging. Eine Hexenverbrennung habe auch immer die Einschüchterung von Frauen zur Folge und zum Ziel gehabt. »Bis in das 18. Jahrhundert hinein wurden Frauen trotz völlig haltloser Vorwürfe verbrannt. Das war ein sehr deutliches Signal an Frauen und Mädchen, was mit ihnen passieren kann, wenn sie nicht das tun, was sie sollen.« Daraus habe sich sogar ein intergenerationales Trauma entwickelt, meint Hofstede.

Eine, die bei einer der Gedenkaktionen Blumen niedergelegt hat, ist Jente Posthuma. Ihr Buch »Hexe! Hexe! Hexe!« ist Anfang 2023 erschienen. Bevor sie anfing, sich mit dem Thema zu beschäftigen, hatte sie selbst ein negatives Bild von Hexen: »Ich dachte an die bekannte Karikatur: eine ältere Frau, ungepflegt und böse.« Doch dann bekam Posthuma, die zuvor bereits zwei Romane veröffentlicht hatte, den Auftrag, Volkssagen neu aufzuschreiben.

Hexen wurden negativ dargestellt

»Es hat mich sofort gestört, wie Hexen beschrieben wurden. Es waren Frauen in meinem Alter, damit habe ich mich identifiziert«, erklärt die 49-Jährige. »Diese Figuren wurden ausnahmslos schlecht und sexistisch dargestellt.« Also formulierte Posthuma die Erzählungen um. Aus dem ursprünglichen Auftrag ist dann zwar nichts geworden, dafür schlug sie ihrem Verlag vor, über Hexen zu schreiben und bekam dafür schließlich eine Zusage.

In dem Buch zeigt sie jetzt unter anderem die Frauen aus den alten Geschichten in neuer Vielschichtigkeit, als sexuelle Wesen – auch im höheren Alter – mit eigenem Willen und eigenem Charakter. Nach der Veröffentlichung habe sie vor allem von Frauen viele positive Reaktionen erhalten. »Eine sagte: ›Ich wünschte, ich hätte es gelesen, als ich 25 war.‹ Auch meine 16-jährige Nichte findet es super«, erzählt die Autorin. »Ich hatte dadurch wirklich ein Gefühl von Verbundenheit, von Zusammengehörigkeit unter Frauen.« Natürlich habe es auch negative Meinungen gegeben, vor allem von Männern.

Die Themen aus dem Buch haben die Autorin auch persönlich berührt: »Ich habe, wie viele Frauen, Schwierigkeiten damit, mich zu äußern – aus Angst vor Negativreaktionen. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass das jetzt ausschließlich ein Ergebnis aus jener Zeit ist, in der autonome Frauen auf dem Scheiterhaufen gelandet sind, aber es spielt da sicher mit rein.«

Und ihr sei noch etwas anderes klar geworden: Zwar werde das Bild von Hexen heute stark in Verbindung mit Magie gesehen, aber ihnen werde auch ein besonderer Umgang und ein Verständnis für die Natur und die Umwelt nachgesagt. Und das sei etwas, was die Welt – gerade in Zeiten des Klimawandels – dringend wiederentdecken müsse. Posthuma hat sich kürzlich der Umweltorganisation Extinction Rebellion angeschlossen, die Mitte September für mehrere Tage ein Autobahnstück in Den Haag blockierte.

Dass das Wort Hexe für Frauen noch immer gefährlich werden kann, zeigt der Fall der niederländischen Politikerin Sigrid Kaag von der linksliberalen Partei D66. Anfang 2023 wurde die Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin in der Stadt Diepenheim im Osten des Landes, wo sie zu einer Talkshow eingeladen war, von rund 20 Bauern, Bäuerinnen und Querdenker*innen umringt. Einige der Demonstrierenden trugen brennende Fackeln. Tags darauf erklärte die Politikerin in einem Fernsehinterview, sich dadurch an die Zeit des Mittelalters oder an den Ku-Klux-Klan erinnert gefühlt zu haben.

Auch in den sozialen Medien ist Kaag wiederholt der Bezeichnung als Hexe ausgesetzt. Zahlreiche Tweets mit #kaagmoetweg (»Kaag muss weg«) enthalten auch den Satz »Weg mit der Hexe«. Gegnerische Politiker*innen griffen dieses Motiv auf. So zeigte der rechte Politiker Geert Wilders im Dezember 2021 ein Video auf seinem Tiktok-Kanal mit Weihnachtsmusik, in dem er eine Grußkarte schrieb: »Liebe Sigrid Kaag, flieg vorsichtig.« Dazu ein Besen als Geschenk.

»Das Schimpfwort Hexe wird heute noch verwendet, um mündige Frauen – im metaphorischen Sinn – einen Kopf kürzer zu machen«, sagt Hofstede. Die Politikerin habe sogar vermehrt Bilder mit Scheiterhaufen erhalten. Die Bezeichnung als Hexe erlebten viele Politikerinnen, erklärt sie. So sei zum Beispiel Hillary Clinton im US-Wahlkampf 2016 als »The Wicked Witch of the Left« (»Die böse Hexe der Linken«) bezeichnet worden. Auch kursierte ein Meme von Clinton als Hexe von Oz. Posthuma sieht in diesem Fall besonders eine Ablehnung von älteren Frauen. Auch Sigrid Kaag ist 61 Jahre alt. »Frauen werden noch immer nach ihrem Äußeren beurteilt. Ältere Frauen, die nicht mehr als attraktiv angesehen werden, sollten nicht zu sichtbar sein«, erklärt sie. Wenn Frauen es aber doch wagten, in der Öffentlichkeit präsent zu sein, würden sie schnell als Hexen beschimpft.

Im Juli 2023 gab Kaag ihren Rücktritt bekannt, als Gründe nannte sie, dass der Hass, die Einschüchterungsversuche und die Bedrohungen für ihre Familie zu heftig geworden seien. Ihr Rücktritt wurde anschließend auf Twitter mit #Hexit, einem Wortspiel von Hexe und Exit, gefeiert. Diese Fälle zeigen laut Hofstede und Posthuma, wie viel Aufklärung zum Thema Hexenverfolgung noch nötig sei. Es braucht eine Aufarbeitung von historischem Unrecht, aber auch ein Bewusstsein, dass der Schaden dieser Menschenjagd bis heute nachwirkt.

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