1. Mai: Nicht Feier-, sondern Kampftag

Etliche Beschäftigte machen Arbeitskonflikte zum Thema

»Wir mussten jahrelang zurückstecken, jetzt reicht es«, ruft Carlos Seefeld vom großen Lkw. Es seien nicht die gut verdienenden Leute in den Vorständen, die das Land am Laufen halten würden. »Wir sind es«, sagt Seefeld.

Am diesjährigen 1. Mai ist Seefeld der Erste, der in Berlin auf der Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom Hauptwagen spricht. Sein Beitrag lässt erkennen, dass es den Gewerkschaften nicht in erster Linie um den Blick in die Vergangenheit oder eine Analyse der Gegenwart geht. Seefeld, der bei der Berliner Stadtreinigung arbeitet und bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Vertrauensmann ist, kündigt die Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen an: »Das wird ein richtiger Kracher.« Die zuhörende Menge schwört er auf Solidarität ein: »Wir alle sind der öffentliche Dienst, wir alle sind die Stadtgesellschaft.« Polizei und DGB sprechen am Ende von 7500 Personen, die sich der Demonstration anschlossen.

Vor dem Lkw, der Richtung Rotes Rathaus unterwegs ist, laufen unter der Beobachtung von Polizei, Presse und Personenschützern die Gewerkschaftsfunktionär*innen und die Parteiprominenz. Seefelds Blick geht jedoch in Richtung der Teilnehmenden hinter dem Lkw. Hier finden sich vor allem Mitglieder der Gewerkschaften, viele von Verdi aus dem öffentlichen Dienst, wie den Krankenhäusern und den Schulen. Auch Beschäftigte der landeseigenen Kitas machen auf ihr aktuelles Tarifvorhaben aufmerksam: Sie wollen dem Land Berlin einen Tarifvertrag für pädagogische Qualität und personelle Entlastung abringen, wie ihn Verdi schon ähnlich an vielen Krankenhäusern durchsetzen konnte. Das Land Berlin hat die Forderungen prompt zurückgewiesen, sieht nicht sich, sondern die Tarifgemeinschaft deutscher Länder in der Verantwortung.

Es sind einige, die die Forderungen ihrer konkreten Kämpfe auf die Straße bringen: auch die Beschäftigten des Einzelhandels, die seit einem Jahr auf einen Tarifabschluss warten und die zum Teil im Zuge der angekündigten Filialschließungen bei Galeria-Karstadt-Kaufhof vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze stehen. Mitarbeiter*innen der Freien Träger in Berlin fordern die Hauptstadtzulage ein, die ihre Kolleg*innen, die direkt beim Land Berlin beschäftigt sind, schon bekommen. Weitere Gruppen und Organisationen nutzten die Demonstration, um klassenkämpferische, antifaschistische und internationalistische Positionen zum Ausdruck zu bringen. Kritisiert wurden zudem die öffentlich diskutierten Einschränkungen des Streikrechts und ein Missverhältnis bei der Verteilung öffentlicher Gelder zugunsten von Rüstung und zulasten von Sozialem.

Dem DGB ging es auch um übergeordnete Fragen. Der Aufruf stand unter dem Slogan »Mehr Lohn, mehr Freizeit und mehr Sicherheit« und greift damit die Themen auf, mit denen die Gewerkschaften zuletzt deutlich wahrnehmbar waren. Laut der Vorsitzenden des DGB Berlin-Brandenburg Katja Karger bringen Tarifverträge Sicherheit im Wandel. Das Ziel sei es daher, die historisch niedrige Tarifbindung – in Berlin liegt sie bei 43 Prozent – wieder auszubauen. Schützenhilfe bekommt der DGB dabei von der EU: Die EU-Mindestlohnrichtlinie schreibt den Mitgliedsstaaten bis November 2024 eine Tarifbindung von 80 Prozent vor, andernfalls muss die Politik entsprechende Maßnahmen nachweisen. Der DGB hat hierfür einen Aktionsplan vorgeschlagen.

»Wir sind die Stimme Berlins, an uns kommt in dieser Stadt keiner mehr vorbei«, erklärt Karger nach der Demonstration auf der Bühne vor dem Roten Rathaus. Das habe auch die Politik erkannt. Bundesweit hätten die Gewerkschaften 2023 rund 7000 Tarifverträge abgeschlossen, 400 000 Neueintritte habe man verzeichnet, sagt Karger. 2024 stünden noch Tarifverhandlungen für zwölf Millionen Beschäftigte an. Hierbei hob Karger die laufende Auseinandersetzung im Bau-Hauptgewerbe hervor: »Die Arbeitgeber haben mit Taschenspielertricks den Reallohnverlust auf ein halbes Prozent runtergerechnet.« Einen Schlichterspruch, dem die IG BAU zugestimmt hatte, lehnten die Arbeitgeber ab.

Lob für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Berliner Senat kam vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Auf der Demonstration war seine Partei, im Vergleich zu Linkspartei, SPD und BSW, nicht sichtbar aufgetreten. »Wir in Berlin, glaube ich, kriegen das ganz gut hin, gemeinsam. Senat und Arbeitnehmervertretungen. Und diesen Weg wollen wir weitergehen«, so Wegner. Er hob die Bedeutung von Zusammenhalt gegen die Spaltungsversuche von Rechtspopulisten hervor: »Wir müssen auf Zusammenhalt setzen und das geht am besten über einen guten Arbeitsmarkt, über eine solidarische Gesellschaft.«

Bundesweit beteiligten sich nach Angaben des Gewerkschaftsbundes 330 000 Menschen an den Veranstaltungen. Auf der zentralen Kundgebung in Hannover betonte die DGB-Bundesvorsitzende Yasmin Fahimi die Forderung nach der Tarifwende und einem echten Bundestariftreuegesetz: »Wenn ihr Sozialpartnerschaft wollt, dann treibt uns nicht in den tariflichen Häuserkampf. Dann beendet die Tarifflucht!«

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