Grüne in Berlin: Harmonie mit Zwischentönen

Viel Einigkeit bei Grünen-Landesparteitag – aber Streit um Enteignungen und Exmatrikulationen

»Wir sind ja eine streitsüchtige Partei«, sagte eine der Delegierten bei der Grüne-Landesdelegiertenkonferenz am Samstag am Rand einer Diskussion. Eine Einschätzung, die wohl auf den vorangeganen Parteitag der Linksliberalen im Dezember anspielte. Nachdem dort die Realo-Kandidatin Tanja Prinz dreimal hintereinander bei der Wahl für den Landesvorsitz scheiterte, musste der Parteitag unterbrochen werden. Ein neues Führungsduo musste gesucht werden und konnte mit Philmon Ghirmai und Nina Stahr erst mit mehreren Tagen Verzögerung gewählt werden. Die Grünen standen mal wieder als Chaos-Partei dar.

Diesmal wollte man es besser machen. Inhaltliche Differenzen zwischen den Parteiflügeln wurden größtenteils bereits im Vorfeld der Konferenz im Neuköllner Estrel-Hotel mit Kompromissformulierungen beigelegt. Eine Strategie, die zunächst aufzugehen schien: Einstimmig beschlossen die Grünen einen Leitantrag, der ihren Kompass im Kampf gegen rechts neu ausrichten soll.

Die wichtigste Kontroverse war schon vor Beginn der Landesdelegiertenkonferenz ausgeräumt worden: Parteirechte hatten sich an der Fundamentalkritik am Verfassungsschutz im Ursprungsantrag gestört. Als Kompromiss fordern die Grünen nun, den Verfassungsschutz aufzuspalten: Das öffentliche Berichtswesen der Behörde soll größtenteils an ein wissenschaftliches Institut zur Erforschung von antidemokratischen Tendenzen ausgelagert werden, der Verfassungsschutz selbst solle sich auf seine nachrichtendienstliche Aufgaben konzentrieren, heißt es nun in der beschlossenen Antragsfassung.

Die Linie der Einigkeit zeigte sich auch in der Debatte davor: In größtenteils untereinander austauschbaren Beiträgen versicherten sich die Delegierten selbst ihres Bekenntnisses zur Demokratie und ihrer Unversöhnlichkeit gegenüber rechtsextremen Akteuren. »Wir sind der Hauptgegner für jeden Rechtsextremisten in diesem Land«, fasste Europawahlkandidat Jan Dennis Wulff die Linie zusammen.

Die Harmonie stören konnte nur Monika Herrmann, die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Sie rief den Delegierten in Erinnerung, dass Demokratie mehr bedeute als nur Kampf gegen rechts: »Wer es mit der Demokratie ernst meint, muss auch Volksentscheide umsetzen«, sagte sie. Sie beklagte, dass fast alle erfolgreichen Volksentscheide verschleppt worden seien – auch von grünen Verantwortungsträgern. »Wer das Beste für Berlin will, kann nicht das Gegenteil von dem machen, was die Bevölkerung will«, so Herrmann.

Dass Teile der Partei dazu nicht gewillt zu sein scheinen, zeigte sich kurz darauf: Der Realo-Kreisverband Mitte beantragte, dass die Grünen das Ziel der Enteignung von Wohnraum aufgeben sollen. »Wir müssen die Realitäten anerkennen«, sagte Bezirkspolitiker Tarek Massalme. Enteignungen seien zu teuer und »schaffen keine Wohnungen«, so Massalme. »Stimmt lieber für Instrumente, die wirklich wirksam sind«, gab er den Delegierten mit.

Die Parteilinken ließen das nicht auf sich sitzen und schossen zurück – so schnell war der Eindruck der Eintracht wieder verflogen. »Vergesellschaftung ist keine Ideologie«, sagte die Abgeordnete Kathrin Schmidberger. Man setze auch im Bereich der Infrastruktur auf Rekommunalisierung. Für den Staat sei Enteignung sogar günstiger als der Ankauf von Wohnungen, weil die Anstalt öffentlichen Rechts, die für die Vergesellschaftung gegründet werden soll, zu günstigen Konditionen Kredite aufnehmen könne. »Das ist kein finanzpolitischer Wahnsinn – ihr rechnet falsch«, sagte Schmidberger.

Sollten sich die Grünen vom Ziel der Vergesellschaftung verabschieden, würde man selbst hinter die regierende SPD zurückfallen, kritisierte Schmidberger. »Wir haben schon eine Regierung, für die Mieterschutz nur eine Worthülse ist, wir brauchen nicht auch noch so eine Opposition.«

Am Ende setzten sich die Parteilinken durch und die Delegierten schmetterten den Antrag mit 70 zu 50 Stimmen ab. Die Grünen setzen sich also weiter für Enteignungen ein. Dass die Abstimmung knapp ausfiel, ist allerdings durchaus ein Achtungserfolg der Realos, die im Landesverband der Grünen lange Zeit eher eine Nebenrolle gespielt haben.

An anderer Stelle gelang es den Parteirechten sogar, die bisherige Programmatik zu revidieren. Denkbar knapp mit 64 zu 62 Stimmen setzte sich ein Antrag durch, der Exmatrikulationen für antisemitische Gewalttäter an Unis fordert. Das sogenannte Ordnungsrecht der Hochschulen, das die Grundlage für solche Exmatrikulationen bildet, hatten die Grünen selbst gemeinsam mit Linken und SPD 2021 abgeschafft.

»Das Ordnungsrecht schützt die Betroffenen nicht«, kritisierte Leonie Wingerath, Sprecherin der Grünen Jugend, in der Debatte. Damit werde ein »Ersatzstrafrecht« eingeführt. Besser wäre es, das Hausrecht und Präventionsarbeit zu stärken. Dies forderten auch die Studierendenvertretungen, so Wingerath. »Es wäre fahrlässig, diese Stimmen zu ignorieren.«

»Das Ordnungsrecht kann den Betroffenenschutz stärken«, hielt die Abgeordnete Laura Neugebauer gegen. »Das Hausrecht ist eine kurzfristige Schutzoption, aber kann keine dauerhafte Lösung sein.« Das Ordnungsrecht sehe neben Exmatrikulationen noch andere, mildere Sanktionen vor. Gefahr, dass die Ausschlüsse übers Bein gebrochen werden könnten, sah sie nicht. »Es kann nicht sein, dass sich Opfer von Gewalt die Hörsäle mit den Tätern teilen müssen«, so Neugebauer.

Am Ende konnten also beide Flügel inhaltliche Erfolge für sich reklamieren. Dass auch die kontroversen Debatten sittlich verliefen, dürfte dazu beigetragen haben, dass mit dem Ergebnis am Ende alle leben zu können schienen. Die sich bei der Landesdelegiertenkonfernz nur andeutenden Konflikte zwischen den Flügeln könnten aber an anderer Stelle auch wieder offener zutage treten. Für die Parteispitze um Stahr und Ghirmai dürfte es schon ein Erfolg sein, dass der Parteitag diesmal nicht wie der letzte in Tränen endete.

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