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Berliner Verwaltungsreform: Stolpern auf der Zielgeraden
Verwaltungsreform nimmt wichtige Hürden, aber neuer Streit entbrennt
Ein Sinnbild, konterkariert von der Realität: Im Pressesaal des Roten Rathauses läuft die Uhr falsch, die Zeiger rauschen mit überhöhter Geschwindigkeit an den Zahlen vorbei. Schon nach einer Minute ist auf dem Ziffernblatt ein ganzer Tag vergangen.
Die Berliner Verwaltung lief bislang, so zumindest der Eindruck der meisten Berliner, nach einem gegenteiligen Prinzip: Von Neubauten bis Zebrastreifen – viele Verwaltungsprozesse ziehen sich über Jahre hin. Damit soll jetzt Schluss sein. »Berlin schreibt heute Zukunft«, sagt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Dienstag. Zuvor hat der Senat die lange angekündigte Verwaltungsreform beschlossen. Die Berliner Verwaltung bekomme »kein Update, sondern ein völlig neues Betriebssystem«.
Die Verwaltungsreform gilt als das Kernversprechen des schwarz-roten Senats. Tatsächlich geht sie deutlich über Schönheitskorrekturen hinaus: Ein neues »Landesorganisationsgesetz« soll das bisherige Allgemeine Zuständigkeitsgesetz ablösen und die staatlichen Aufgaben komplett neu verteilen. Dafür sammelt die Digital-Staatssekretärin Martina Klement (CSU) aktuell alle Aufgaben der verschiedenen Verwaltungsstellen. Anschließend sollen die Zuständigkeiten verteilt werden. Anders als bislang soll dafür keine Gesetzesänderung mehr notwendig sein, sondern der Senat dies über eine Rechtsverordnung flexibel regeln können. »Damit sorgen wir für klare Verhältnisse«, verspricht Wegner.
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Bislang überschneiden sich die Zuständigkeiten noch häufig. Die Folge: Senat und Bezirke streiten nicht selten monatelang, wer sich eines Problems annehmen darf – das schon sprichwörtlich gewordene »Behörden-Pingpong«. Allein 800 solcher uneindeutigen Zuständigkeiten habe die bisherige Aufgabensichtung zutage gefördert, berichtet Klement. Darunter 300 Aufgaben, für die sich schlicht niemand zuständig fühlt. Die Aufgabenerhebung soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Dann sollen die Aufgaben thematischen Politikfeldern oder administrativen Querschnittsfeldern zugeordnet werden. Die Politik- und Querschnittsfelder sollen jeweils fest bei einer einzelnen Senatsverwaltung angesiedelt werden.
Dieser Teil der Reform ist weitgehend unstrittig. Auch die demokratischen Oppositionsparteien, deren Zustimmung für die notwendige Verfassungsänderung erforderlich ist, tragen ihn mit. Streit hat sich allerdings um einen anderen Teil der Reform entwickelt: Bei Streitfragen zwischen Senat und Bezirken soll künftig eine Einigungsstelle innerhalb von zwei Monaten eine Lösung finden. Auf Betreiben der SPD-geführten Innenverwaltung wurde kurz vor dem Senatsbeschluss aber ein Passus hinzugefügt, demzufolge der Senat die Einigungsstelle in »zu begründenden gewichtigen Einzelfällen« überstimmen kann.
»Wenn der Senat sie nach eigenem Ermessen überstimmen kann, braucht man auch keine Einigungsstelle«, kritisiert Tobias Schulze, Vorsitzender der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, gegenüber »nd«. Die Einigungsstelle müsse ein möglichst weitreichendes Entscheidungsrecht haben, sonst könne sie ihren Zweck nicht erfüllen. Schulze befürchtet, dass der Senat so am Ende doch nach eigenem Gusto entscheiden könne, welche Aufgaben er übernehme und welche er an die Bezirke abschiebe.
»Ich hoffe, dass sich die Zahl der Fälle, in denen der Senat das Votum der Einigungsstelle übergeht, auf ein Minimum beschränken wird«, versucht Digital-Staatssekretärin Klement, auf die Kritik angesprochen, die Wogen zu glätten. Die gefundene Formulierung baue durchaus Hürden für das Entscheidungsrecht des Senats auf. »Es ist eben nicht willkürlich«, so Klement. Es habe allerdings verfassungsrechtliche Bedenken gegeben: Die Verfassung sehe vor, dass der Senat die oberste Verwaltungsbehörde des Landes sei. Dass die Einigungsstelle sich über den Senat hinwegsetze, könne daher nicht möglich sein.
»Wir wollen uns auf den Glauben nicht verlassen«, kommentiert Linke-Fraktionsvorsitzender Schulze die Aussagen. Wahrscheinlich wird er das auch nicht müssen: Wegner kündigte an, Grüne und Linke noch am Dienstag zu einer erneuten Gesprächsrunde einzuladen, um den Streit aus der Welt zu räumen. »Natürlich gibt es noch Gesprächsbedarf«, sagt Wegner. Das Gesetzespaket zur Verwaltungsreform soll noch im April in die erste Lesung gehen. Beschlossen werden soll es vom Abgeordnetenhaus noch vor der Sommerpause, eventuell sogar schon im Mai. Schulze ist da noch vorsichtig. »Der Erfolg der Verhandlungen hängt vom Einigungswillen der Beteiligten ab«, sagt er.
Nach Jahren der Diskussion scheint das Highspeed-Tempo in der Verwaltung inzwischen zum Greifen nah. Bis es aber auch bei den Bürgern ankommt, kann es noch etwas dauern. In der Vergangenheit hatte Wegner häufig die Verwaltungsreform mit dem Versprechen in Verbindung gebracht, dass Berliner künftig innerhalb von zwei Wochen einen Termin beim Bürgeramt bekommen sollen. Daran erinnert, antwortet er nur knapp, dass man »an dem Ziel festhält« – ohne konkreter zu werden.
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