Europäische Linke: »Wir müssen vom Reden ins Tun kommen«

EL-Präsident Walter Baier zur Aufstellung der Europäischen Linken im EU-Wahlkampf, ihren Konflikten und den gemeinsamen Positionen

EL-Präsident Walter Bauer beim Duell der Spitzenkanditat*innen der europäischen Parteienfamilien Ende April in Maastricht
EL-Präsident Walter Bauer beim Duell der Spitzenkanditat*innen der europäischen Parteienfamilien Ende April in Maastricht

Die Partei der Europäischen Linken (EL) wird 20 Jahre alt, Sie waren einer ihrer Gründungsväter und sind heute ihr Präsident. Was steht zum Jubiläum auf der Haben-Seite?

Das lässt sich am besten mit aktuellen Beispielen zeigen. Vor drei Wochen haben wir mit dem portugiesischen Linksblock die No-Pasaran-Konferenz in Lissabon organisiert, auf der Genoss*innen aus vier Kontinenten und vielen europäischen Ländern ihre Kämpfe gegen die Rechtswende abgestimmt haben. Anfang April haben wir zusammen mit der Partei der Arbeit Belgiens, der zypriotischen AKEL und der slowenischen Levica zu einer Konferenz in Brüssel eingeladen und mit Vertreter*innen von 25 Parteien, Gewerkschafter*innen und Sprecher*innen sozialer Bewegung über eine linke Strategie in Sachen Klimawandel, Sozial- und Beschäftigungspolitik beraten. Bewusst wollten wir damit auch ein Zeichen der Kooperation der Linken setzen. Im November wird in Budapest die nächste Ausgabe des maßgeblich von der EL organisierten Europäischen Forums der progressiven Kräfte stattfinden. Dass der Veranstaltungsort Budapest sein wird, hat wegen des bei den EU-Wahlen drohenden Rechtsrucks auch symbolische Bedeutung. Was ich sagen will, ist, dass die EL ein stabiler offener Raum des linken Dialogs ist und als solcher geschätzt wird.

Interview

Walter Baier gehörte zu den Mitgründern der Partei der Europäischen Linken (EL) und war Koordinator des linken Thinktank »Transform europe«. Im Dezember 2022 wurde er zum Präsidenten der EL und auf einem Parteikongress im Februar 2024 in Ljubljana zum Spitzenkandidaten des inzwischen über drei Dutzend Parteien umfassenden Bündnisses gewählt.

Das war nicht immer so. Nicht zuletzt deshalb, weil es innerhalb der Europäischen Linken, die inzwischen über 40 sehr verschiedene Parteien vereint, immer wieder Differenzen und – teilweise heftige – Konflikte gegeben hat.

Ja, aber die Europäische Linke ist nun einmal divers. Und sie ist deshalb divers, weil die Umstände, unter denen linke Parteien arbeiten, unterschiedlich sind. Ebenso wie die Traditionen, aus denen sie kommen. Die Aktionseinheit der Linken in Europa herzustellen, ist eine ständige Herausforderung.

Einer der jüngeren Konflikte in der EL war die Auseinandersetzung um den Ukraine-Krieg und insbesondere auch die Positionierung zu Russland und zur Nato. Gibt es dazu inzwischen eine gemeinsame Haltung?

Die unterschiedlichen Auffassungen in diesen Fragen bestehen weiter. Das hängt auch mit der jeweiligen geografischen Lage zusammen – Parteien aus Nordeuropa ziehen aus dem Ukraine-Krieg und Putins Aggression andere Schlussfolgerungen als andere Parteien. Was wiederum Konsequenzen dafür hat, ob die Nato als aggressiver Pakt oder sogar auch als Sicherheitsgarant wahrgenommen wird. Bemerkenswert ist aber, dass sich die EL auf ihrem Kongress in Wien im Dezember 2022 trotz dieser unterschiedlichen Sichtweisen darauf einigen konnte, die Beendigung des Krieges in der Ukraine mit politischen und diplomatischen Mitteln zu fordern.

Gilt das auch für den Nahost-Konflikt?

Ja, aber hier ist es anders. Zwar gibt es Unterschiede im Ton, in dem die Parteien argumentieren, aber nicht in der grundsätzlichen Einschätzung. Alle Mitgliedsparteien der EL haben den terroristischen Angriff der Hamas auf die israelischen Zivilisten und Zivilistinnen am 7. Oktober verurteilt. Und alle Linksparteien fordern ein Ende des blutigen Rachefeldzugs der israelischen Armee, der seither 35 000 Palästinenser*innen das Leben gekostet hat. Für die Bevölkerung von Gaza ist seit sieben Monaten jeder Tag ein 7. Oktober. Dieses Massaker muss beendet werden. Wir fordern daher eine Feuereinstellung, humanitäre Hilfe sowie die Freilassung aller Geiseln und politischen Gefangenen. Von der EU verlangen wir, dass sie ähnlich wie gegen Putin ökonomische Sanktionen gegen die Netanjahu-Regierung verhängt und Palästina als Staat anerkannt, um Voraussetzungen für eine Zweistaatenlösung zu schaffen.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Wie geht man als Präsident mit Konflikten in der EL um?

Am schwersten finde ich, eine Balance zwischen dem, was ich selber für richtig halte, und dem, was die Kompromissfindung erfordert, zu finden. In welchem Ausmaß mir das gelingt, müssen meine Genoss*innen beurteilen. Eine wichtige Voraussetzung ist aber, dass wir in der Führung der EL darin übereinstimmen, dass es kontraproduktiv wäre, Konflikte, die sich daraus ergeben, dass in mehreren Ländern Linksparteien bei den Wahlen gegeneinander antreten, auf der europäischen Ebene auszutragen. Wir betrachten die EL und das Forschungsnetzwerk transform als zu wichtig, als dass wir sie zum Objekten von Rivalitäten zwischen Parteien werden lassen wollten.

Stichwort Europawahl. Die EL hat ein sehr ambitioniertes Programm vorgelegt, untersetzt mit vielen konkreten Punkten. Wird dieses Papier in den nationalen Parteien aufgegriffen?

Es gibt Politikbereiche, die per se europäisch sind. Dazu gehören die Friedenspolitik und die sozial-ökologische Transformation. Dier EL hat sich mit ihrem Politischen Manifest bemüht, die Schnittstellen zwischen europäischer Politik und nationalen Politiken zu zeigen. Beim Thema Wohnen etwa: In den Programmen aller unserer Mitgliedsparteien wird die Wohnungsnot aufgegriffen. Als europäische Partei fordern wir, dass das Recht auf ordentliches und leistbares Wohnen ins europäische Primärrecht hineingeschrieben wird. Wir verlangen eine EU-Direktive, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, rechtliche Mietobergrenzen zu beschließen und Zwangsräumungen von Hauptwohnsitzen zu untersagen. Außerdem schlagen wir vor, dass die EU durch die Schaffung eines europäischen Fonds zur Finanzierung kommunalen und genossenschaftlichen Wohnbaus zur Lösung des Wohnproblems beiträgt.

Trotzdem werden auch Europawahlen noch immer national gewonnen oder verloren. Wo haben Linksparteien gute Chancen?

Gute Chancen haben wir überall. Europaweite Umfragen lassen uns hoffen, dass die Linken mit mehr Mandaten ins EU-Parlament einziehen werden als vor fünf Jahren. Und besonders gute Chancen haben wir derzeit in Belgien, in Irland, in Österreich. Es ist nicht sicher, dass die Kommunistische Partei Österreichs die recht hohe Hürde ins Europaparlament schaffen wird, aber die Chance besteht, und sie besteht das erste Mal seit vielen, vielen Jahren.

Nach 20 Jahre EL – was bleibt auf der Soll-Seite?

Die EL ist so gut, wie sie die Mitgliedsparteien haben wollen. Auf der Soll-Seite steht vor allem, dass wir vom Reden ins Tun kommen müssen. Die EL muss kampagnenfähig werden. Im Kampf gegen den Neofaschismus gibt es bereits gemeinsame europäische Aktionen. Wir unterstützen außerdem die Aktionen der europäischen Gewerkschaften gegen eine Neuauflage der Sparpolitik. Wir haben auch ein Netzwerk zum sozialen Wohnen und sollten versuchen, eine europäische Kampagne auf der Grundlage gemeinsamer Forderungen zu organisieren. Wir könnten zeitlich abgestimmte Initiativen in den nationalen Parlamenten und im Europaparlament setzen, wir könnten öffentliche Meetings in europäischen Städten organisieren, eine Karawane quer durch Europa durchführen. Worum es geht, ist, die EL aus einem Label in ein Werkzeug der praktischen politischen Auseinandersetzung zu verwandeln.

Europa to go

Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -