Bitte heute nicht über den Krieg sprechen

In Berlin unterbinden Linke eine Veranstaltung israelischer und palästinensischer Aktivisten über die Lage in Gaza

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 3 Min.
Antifa und Israel-Solidarität – geht das wirklich noch zusammen?
Antifa und Israel-Solidarität – geht das wirklich noch zusammen?

Gewiss: Die Hamas ist nicht der Vietcong, und die Protestwelle gegen die Kriegführung Israels wohl auch kein Auftakt zu einem neuen 1968. Und trotzdem weist der Umgang eines Teils der deutschen Linken mit dem Thema Palästina Parallelen zu den 60er Jahren auf.

Heute fast vergessen ist der Umstand, dass der Westberliner SPD-Senat unmittelbar nach dem Vietnam-Kongress des SDS im Februar 1968 zu einer Solidaritätskundgebung mit den USA aufrief. Unter dem Motto »Für Freiheit und Frieden« gingen damals Zehntausende Berliner*innen auf die Straße. Der Landesvorsitzende der Jusos beschwor die kommunistische Gefahr, die von den Anti-Kriegs-Protesten ausgehe, und der DGB-Chef Walter Sickert ergänzte, der linke SDS wolle »Axt anlegen an die Wurzeln unseres Staates«.

Ganz ähnlich werden im historischen Rückblick diejenigen aussehen, die heute glauben, man solle aus fortschrittlichen Beweggründen über das Vorgehen Israels schweigen. Leider sind es nicht nur machtpolitisch eingebundene SPD- und Gewerkschaftsführungen, die sich diese Haltung zu eigen machen, sondern auch Teile der Antifa – einer Bewegung, die sich einst als systemkritisch begriff.

Letzte Eskalationsstufe: Das SO36, ein für die linke Subkultur in Berlin legendärer Veranstaltungsort, hat am Montag kurzfristig eine Veranstaltung abgesagt, auf der israelische und palästinensische Kriegsgegner*innen über gemeinsame Perspektiven diskutieren wollten. Die Begründung des SO36 lautete, man wolle den Holocaust-Gedenktag Jom haScho’a respektieren und deshalb an diesem Tag auf eine Diskussion über Israel verzichten.

Eigenartig an der Begründung ist, dass dem SO36 diese Terminüberschneidung, die von den Organisator*innen der Interventionistischen Linken von Anfang an thematisiert worden war, erst wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung auffiel. Doch absurd ist die Begründung auch inhaltlich: An einem Holocaust-Gedenktag soll man nicht darüber sprechen, wie Menschenrechtsverbrechen verhindert und Auswege aus ethno-nationalistischer Gewalt gefunden werden können? Was bedeutet »Nie wieder«, wenn nicht, dass wir uns jeder Form von Entmenschlichung anderer widersetzen müssen?

Der Antifaschismus, den das SO36 mit seiner Veranstaltungsabsage manifestiert, ist Ausdruck eines politischen Totalversagens. Gerade die an die Wand gedrängte israelische Linke fordert Unterstützung bei ihrem Widerstand gegen die Kriegsmaschine im eigenen Land. »Auf der Seite der Unterdrückten und gleichzeitig auf der Seite der Idee von Verständigung und der Suche nach einer nicht-nationalistischen Perspektive« heißt es bei der Nichtregierungsorganisation Medico International, die ebenfalls auf der Veranstaltung sprechen sollte, über die Ausrichtung ihrer Arbeit. So und nicht anders!

Über die Solidaritätserklärungen von Jusos und DGB für den Bombenkrieg der USA kann man heute nur noch den Kopf schütteln. Über jene Linke, die einem Rechtsextremen wie Netanjahu den Rücken frei halten, wird man eines Tages ähnlich urteilen. Shame on you.

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