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ICE-Strecke Berlin-Hamburg: Lange Sperrungen ab August
Die Generalsanierung des Bahnnetzes bringt ab August lange Sperrungen der Strecke Berlin-Hamburg
Am 16. August soll sie starten: die Sanierung der ICE-Strecke Berlin-Hamburg. Auf rund 280 Kilometern Streckenlänge sollen unter anderem 30 000 Betonschwellen, 200 Kilometer Schienen, 350 000 Tonnen Schotter und 361 Weichen getauscht oder neu eingebaut werden. Das geht aus den von der Deutschen Bahn veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen hervor.
Das Megaprojekt werden Fahrgäste und Zugbetreiber deutlich zu spüren bekommen. Insgesamt ein Jahr lang wird die direkte Bahnverbindung der zwei größten deutschen Städte von 2024 bis 2026 unterbrochen sein. Statt derzeit zwei direkten ICE pro Stunde wird nur noch einer fahren – und dabei zweieinhalb statt derzeit eindreiviertel Stunden brauchen. Denn die Züge werden über Stendal und Uelzen umgeleitet. Die Eurocitys zwischen Berlin und Hamburg werden ganz gestrichen.
30 000 Reisende täglich
Es wird also kuschlig werden auf der fahrgaststärksten Fernverbindung Deutschlands mit derzeit bis zu 30 000 Reisenden täglich. 230 Fern-, Regional- und Güterzüge sind pro Tag auf der Strecke unterwegs. Besonders bitter aber wird es im Regionalverkehr: In Wittenberge, Ludwigslust und Büchen wird man mit Ersatzbussen vorlieb nehmen müssen.
Ab 16. August sollen zunächst vor allem zwischen Wittenberge und Ludwigslust unter Vollsperrung zunächst 100 Weichen, drei Durchlässe und rund 74 Kilometer Gleise erneuert werden. Fertig sein will man damit am 14. Dezember. Dabei liegt die jüngste dreimonatige Komplettsperrung zwischen Hamburg und Berlin Ende 2021 gar nicht so lange zurück.
Erst vier, dann acht Monate Sperrung
Doch das ist nur der Auftakt. Denn im Zuge der sogenannten Generalsanierung der Hochleistungskorridore des deutschen Bahnnetzes wird die Strecke auf voller Länge noch einmal von August 2025 bis April 2026 komplett gesperrt.
Damit werden bereits bei der zweiten Korridorsanierung der Deutschen Bahn nach der Riedbahn die gemachten Versprechungen nicht eingehalten. Rund fünf Monate sollten die Sperrungen pro Strecke dauern, in einem Aufwasch Gleise, Oberleitungen, Signale und Bahnhöfe erneuert und das zeitgemäße Signalsystem ETCS installiert werden, um nicht wieder und wieder die gleichen Abschnitte zu sperren.
»Das ist eine Zielverfehlung um 100 Prozent«, sagt Lukas Iffländer zu »nd«. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. »Das wird bei den anderen Strecken auch noch kommen«, erwartet er. Bis 2030 sollen deutschlandweit 40 Strecken auf diese Weise wieder in einen sehr guten Zustand versetzt werden, bis zu neun pro Jahr.
Utopischer Zeitplan
»Das Programm wird in dieser Form die Amtszeit von Bundesverkehrsminister Volker Wissing nicht überleben. Es wird zeitlich gestreckt werden müssen«, sagt Iffländer. FDP-Mann Wissing hatte die Generalsanierung bei der ersten Vorstellung des Konzepts im Juni 2022 als alternativlos dargestellt: »80 Prozent der Störungen gehen auf das Netz zurück. Das darf nicht länger ignoriert werden. Uns bleibt keine andere Wahl: Wir müssen generalsanieren.«
Alexander Kaczmarek versuchte sich darin, Freude auf die Sperrungen zu machen. »Das ist die gute Botschaft, es geht voran. Wir schaffen ein zukunftsfestes Netz, das dann auch wirklich den Kunden Vorteile bringt«, sagte der DB-Konzernbevollmächtigte für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern im April. Tatsächlich sind hohe Investitionen in das über Jahrzehnte vernachlässigte Gleisnetz unausweichlich. »Irgendwann sperren wir dann die Strecke, weil sie nicht mehr befahrbar ist.«
Das Versprechen: mehr Pünktlichkeit
Bereits die direkt nach dem Ende der Fußball-EM anstehende Korridorsanierung zwischen Frankfurt am Main und Mannheim werde die Lage auch in Berlin und Brandenburg verbessern. »Wenn jeder siebte Fernzug in Deutschland die Riedbahn passiert, dann wäre es natürlich klasse, wenn die in Zukunft saniert ist, pünktlich so die Züge durchkommen, und wir dann auch sehr viel weniger Störungseinträge in unserem Netz haben«, sagte Kaczmarek.
Rund 1,2 Milliarden Euro soll laut DB die Sanierung der rund 70 Kilometer langen Riedbahn kosten, für die rund 280 Kilometer von Berlin nach Hamburg sind 2,2 Milliarden Euro kalkuliert. Dabei geht es wohlgemerkt nur um die 2025 und 2026 anstehenden Arbeiten. Was die ab August dieses Jahres anstehenden Baumaßnahmen kosten werden, teilt der DB-Konzern auf Anfrage von »nd« nicht mit.
Dass gleich zwei lange Sperrungen kommen, liege an »klaren Fristen für die Instandhaltung der Infrastruktur«, heißt es in einer Mitteilung der DB. Was sich genau dahinter verbirgt, erklärt der Konzern nicht, aber Iffländer von Pro Bahn: »Die Weichen scheinen wirklich an die Grenzen der Liegezeit bei Hochgeschwindigkeitsstrecken für Tempo 230 zu kommen.« Die Bahn habe hier eindeutige interne Vorschriften.
Erste Verbesserungen Ende 2024
Immerhin bringt schon die erste Sperrphase Verbesserungen für den Betrieb. »Zusätzliche Weichenverbindungen«, nennt DB-Mann Alexander Kaczmarek eine davon. »Außerdem bauen wir in Wittenberge einen zusätzlichen Bahnsteig.« Beides erhöht die Flexibilität sowie Leistungsfähigkeit und kann so Verspätungen reduzieren.
Der große Sprung soll mit Abschluss der Bauarbeiten Ende April 2026 kommen. Dann soll das digitale Signalsystem ETCS installiert und auch der bisher nur eingleisige Abzweig nach Schwerin in Hagenow Land zweigleisig ausgebaut sein.
Die Digitalisierung der Stellwerke und der resultierende deutlich geringere Personalbedarf ist zwingende Voraussetzung, um Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu erhöhen, aber auch, um den Betrieb überhaupt stabil aufrecht zu erhalten. Gerade für die elektronischen Komponenten der oft viele Jahrzehnte alten Stellwerke gibt es teilweise keine Ersatzteile mehr – und kaum noch geschultes Bedienpersonal. Das sorgt immer öfter dafür, dass wegen Personalmangels stunden- oder tageweise der Zugverkehr ganz eingestellt werden muss. In letzter Zeit traf das beispielsweise mehrfach die S-Bahn in Berlin-Schöneweide.
Fehlende Kapazität für Digitalisierung
Die geplante Digitalisierung der Strecke scheint auch einer der Gründe für die Verlängerung und Verzögerung der Sanierung zu sein. Noch vor einem Jahr war eine Bauzeit von Juni bis Dezember 2025 angekündigt worden, die nun von August 2025 bis April 2026 dauern soll.
Im »Verlauf der Detailplanungen und in Abstimmung mit der Bauindustrie« hätten sich »Anpassungen im ursprünglich für die Generalsanierung vorgesehenen Bauablauf« ergeben, erklärt ein Bahnsprecher auf Anfrage von »nd«. »Dies betrifft insbesondere den Bereich der Leit- und Sicherungstechnik sowie die Gesamtumbaumenge im Oberbau.« Beim Oberbau handelt es sich um die Gleise inklusive Schotterbett.
»Im Moment scheint man bei den Kapazitäten für die Planung und den Bau von Signaltechnik extrem überlastet zu sein«, sagt Iffländer von Pro Bahn. »Bei den für 2026 geplanten Korridorsanierungen Traubling-Passau und Nürnberg-Regensburg ist keine Ausrüstung mit ETCS vorgesehen, was wir massiv kritisieren.«
Bauindustrie fordert Korrekturen
Im Januar erklärte auch Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, das Konzept der Korridorsanierungen in seiner bisherigen Form für gescheitert. Man stehe hinter dem Konzept des Verkehrsministers, weil man so produktiver werden könne, sagte er der »FAZ«. »Aber die beschlossenen Korridorprojekte sind so gar nicht umsetzbar. Sie sind viel zu komplex und groß«, so das Vorstandsmitglied des Baukonzerns Strabag. Um den Auftrag für die Riedbahn habe sich sein Unternehmen erst gar nicht beworben. »In der Bauwirtschaft warten die meisten ab: Niemand hat Interesse, jeden Tag mit schlechten Nachrichten in der Presse zu erscheinen.«
Grundsätzlich habe er »überhaupt keinen Grund«, an einem Erfolg des Grundsanierungskonzepts zu zweifeln, entgegnete DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber in der »FAZ«. Für die Korridorsanierung Berlin-Hamburg gebe es »fast 20 große Unternehmen, die sich dafür interessieren, daran mitzubauen«.
Zugbetreiber fürchten die Umleitungen
Große Bauchschmerzen haben angesichts langer Sperrungen auch die Zugbetreiber. »Das stellt die Eisenbahnunternehmen vor erhebliche Herausforderungen«, sagte im April Martin Henke. Er ist Geschäftsführer Eisenbahnverkehr des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Im Personenverkehr, aber auch im Güterverkehr müssten »umfangreiche Umleitungen« gefahren werden. »Teilweise aber eben auch über nicht elektrifizierte Strecken, was die ganze Sache sehr kompliziert macht. Man muss umspannen, Dieselloks vorspannen«, so Henke weiter.
Im Fall Berlin-Hamburg sei vor allem die teilweise Eingleisigkeit der Umleitung über Stendal und Uelzen problematisch, so Henke. Für den Güterverkehr könnte die Strecke von Bad Kleinen nach Lübeck eine zusätzliche Alternative sein, wenn sie denn elektrifiziert wäre. »Ich darf daran erinnern, dass das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer eins ist, und es ist bis heute nicht fertig«, kritisierte Martin Henke. Laut derzeitigem Stand soll dort erst Ende 2027 die Elektrifizierung abgeschlossen sein.
Die Netzkapazität reicht nicht
»Alles hängt mit allem zusammen«, sagte DB-Vertreter Kaczmarek im Zusammenhang mit den anstehenden Korridorsanierungen. Das gilt im Guten, etwa mit Blick auf die leistungsfähigere Infrastruktur nach Abschluss der Bauarbeiten. Aber auch im Schlechten, etwa mit Blick darauf, dass die Kapazität oder der technische Standard der bauzeitlichen Umleitungsstrecken eigentlich nicht ausreicht, um den Verkehr stabil aufzunehmen.
Das Ergebnis langer Sperrungen müssen seit Monaten die Fahrgäste auf den ICE-Strecken von Berlin nach Frankfurt erleiden. Schon regulär verlängert sich die Fahrzeit um rund eine Stunde. Passiert etwas auf der Ausweichstrecke, staut sich der Zugverkehr sofort. Große Zusatzverspätungen folgen regelmäßig. Iffländer von Pro Bahn sagt: »Mehr piano als der Versuch eines großen Wurfs wäre wohl mehr in der Hinsicht gewesen.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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