Deutsch-israelische Serie Borders: Leben im Dauerausnahmezustand

Die deutsch-israelische Thriller-Serie »Borders« zeigt die Spaltungen Israels, ohne Partei zu ergreifen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Leben an der Grenze: Wer kommt hier durch?
Leben an der Grenze: Wer kommt hier durch?

Unter Landesgrenzen stellt man sich normalerweise mehr oder minder engmaschig befestigte Absperranlagen vor, die eine Nation von der anderen trennen. Israel hat aber nicht nur äußere, sondern auch innere Grenzen. Und zwar so viele, dass sie von 8000 Mitgliedern der paramilitärischen Kampfeinheit Mischmar HaGvul kontrolliert werden – eine Art Stehendes Heer zwischen Polizei und Armee, so hochgerüstet wie hoch motiviert. Ein Bollwerk ziviler Wehrhaftigkeit, das auch der jugendliche Avi (Ben Sultan) zu sichern mithelfen soll, wenn auch nicht freiwillig. In der deutsch-israelischen Serie »Borders« tritt er dem Grenzschutzkommando nämlich nur bei, weil er zu Hause Stress mit Arabern hat. Wobei – eigentlich hat Avi mit jedermann Stress, überall und ständig. Auf dem Schulhof, vor Papas Kiosk, in der halben Kleinstadt Bat Yam, die zu Tel Aviv gehört, sorgt sein impulskontrollgestörtes Temperament für Streitereien.

Zu Beginn der acht Folgen jedoch legt er sich definitiv mit den Falschen an. Ein arabischer Clan lässt den jüdischen Teenager nur am Leben, weil sich Chicko (Haim Znati), sein drogendealender Freund, für ihn einsetzt. Avi muss aber versprechen, Bat Yam für immer zu verlassen. Und so bewirbt er sich bei der HaGvul, mit dem Ziel, als uniformierter Milizionär ins Landesinnere zurückzukehren, um – »Araber zu verprügeln«, wie sich Kobi, einer seiner neuen Kollegen ausdrückt. Doch Israels Grenzen werden von so vielen inneren wie äußeren Angreifern belagert, dass die Unterscheidung schwerfällt, wer zu wem gehört. Gleich beim ersten Einsatz in der Jerusalemer Altstadt ist es daher ein jüdischer Siedler, den Avi blutig schlägt. Auch künftig gerät er zwischen die Fronten eines gespaltenen, waffenstarrenden, rachsüchtigen, zutiefst paranoiden Landes im Dauerausnahmezustand, in dem Freund und Feind ständig verschwimmen. Schließlich gerät Avi nicht nur mit den Extremisten, sondern auch mit den Gemäßigten beider Seiten aneinander.

Avis Kollegin Miri (Noa Astanjelove) mahnt den Heißsporn oft vergeblich zur Besonnenheit. Gemeinsam mit Kobi bilden die drei Militärcops ein dissonant verschworenes Trio, das an Harry Potter, Hermine Granger und Ron Weasley im Kampf gegen Voldemort erinnert. Nur dass diesem Israel trotz ähnlich diffuser Freund-Feind-Schemata komplett die Leichtigkeit von Harry Potters Zauberwelt fehlt. Dafür wird der ewige Nahost-Konflikt zu realistisch dargestellt, dafür erinnert das fiktive Eskalationsszenario zu sehr an die Gegenwart, an den Gaza-Krieg nach dem Massaker am 7. Oktober. Zwar beteuern die Verantwortlichen von ZDFneo bis Movieplus, die Dreharbeiten seien lange vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel beendet worden, doch der echte Konflikt findet sich in jeder Einstellung des gefilmten.

Wenn Avis strenger, aber fairer Kommandant Versano (Shalom Michaelshvili) sagt, »in den letzten zwei Wochen hat es in meinem Bezirk sechs Anschlagsversuche gegeben« und »wer nicht aufpasst, stirbt« hinzufügt, ist das auch ein Kommentar auf 130 Jahre israelisch-arabische Zwietracht. Aber Regisseur Meni Yaish, der auch das Drehbuch geschrieben hat, beschränkt die acht Folgen der Serie nicht auf die nationalen und religiösen Kernkontroversen, sondern behält konstant die Zivilgesellschaft im Blick. Da gibt es schon genug Probleme und Gefahren, nicht nur die organisierte Kriminalität. Kiezkönig Chicko (Haim Znati) hat seinen Schützling Avi ja nicht aus reinem Humanismus zur Gendarmerie gelotst.

Und so fügt sich »Borders« ein in eine stattliche Reihe israelischer Serien, die seit Jahren für Furore sorgen, wie »Fauda«, »Hostages« oder »Hatufim«, das Vorbild für »Homeland«. Sie alle skizzieren sozio-kulturelle und politische Spaltungen im Sog externer Bedrohungen für Israel vom Libanon bis zum Iran.

Ariel A. Blumenthals Soundtrack ist mal knüppelharte Rockmusik, mal nervös sägende Elektrofetzen. Nie wird dem Publikum in dieser Serie vorgegeben, auf welche Seite es sich schlagen soll. Trotz der fast schon boshaft miserablen Synchronisation ist »Borders« angesichts der globalen Polarisierung bis in US-amerikanische Universitäten und deutsche Fußgängerpassagen hinein derzeit das Beste, was dem Fernsehen geschehen konnte.

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