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Unabhängigkeitsbewegung: »Mit geschärften Krallen vorankommen«
Dolors Feliu über die Auswirkung der Wahlen auf die Unabhängigkeitsbewegung
Welche Bedeutung hatte dieser Wahlgang?
Wir hatten an Wahlen für die Unabhängigkeit gedacht. Doch die Parteien wollten das nicht, weshalb sie im Autonomierahmen stattfanden. Das muss man bei der Betrachtung der Ergebnisse im Kopf haben. Keine Partei ist für die Umsetzung der Unabhängigkeit eingetreten, sondern für Verhandlungen mit Spanien. Es ging stark um Exilanten, wie Präsident Carles Puigdemont. In der jüngsten Zeit gingen wegen der spanischen Repression wieder Menschen ins Exil. Man wirft einer friedlichen Bewegung nun sogar Terrorismus vor.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Es gab einen Verlust der Independentista-Mehrheit. Bisher hatten die drei Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, 52 Prozent. Seit 2017 haben die Parteien sie nicht umgesetzt. Nun ist die Mehrheit weg. Die Unionisten wurden gestärkt, die Sozialdemokraten deutlich, aber auch rechte und rechtsradikale Parteien wie die Volkspartei und Vox.
Ist der Unabhängigkeitsprozess tot? Wie bewerten Sie, dass es harte Rückschläge für die katalanische Linke gab, nun mit der »Katalanischen Allianz« (AC) aber ultrarechte Independentistas ins Parlament kommen?
Dolors Feliu ist amtierende Präsidentin der zivilgesellschaftlichen Katalanischen Nationalversammlung (ANC), die im März 2012 gegründet wurde, um die Unabhängigkeit Kataloniens auf den Weg zu bringen. Mit Feliu sprach für »nd« Ralf Streck.
Der Prozess lebt, die Independentistas gibt es noch. Die Bewegung ist sogar sehr lebendig, was wir bei uns sehen. Nun beginnen die Wahlen für die ANC-Führung, eine Organisation mit 100 000 Mitgliedern. Es gibt viel mehr Debatte als zuvor und deutlich mehr Kandidaten – auch Persönlichkeiten wie der Liedermachter Lluís Llach aus der Bewegung. Es gibt viel mehr Debatte als zuvor und deutlich mehr Kandidaten. Diese Lebendigkeit der Bewegung zeigt sich nicht nun mehr im Parlament und wir sehen einen Aufstieg der extremen Rechten, wie überall auf der Welt. Gefährliche einfache populistische Parolen machen sich nun auch hier breit
Wie bewerten Sie das ERC-Ergebnis? Die Partei hat drei Jahre regiert, musste herbe Verluste hinnehmen und die Wahlbeteiligung war gering.
Viele Menschen fühlen sich von den Parteien nicht mehr vertreten, weshalb wir ja darüber debattiert hatten, als ANC eine breite Bürgerliste für die Unabhängigkeit aufzustellen. Das wurde verworfen. So hatten viele keine Option, wie die Beteiligung zeigt. Etliche Menschen sind den drei Parteien enttäuscht, konnten aber keine Unionisten wählen. Unsere Liste wurde von den Parteien bekämpft, weil die um Stimmen fürchteten. Dabei hätte so ein Teil derer eine Wahloption gehabt, die nun nicht wählen gingen. Deshalb sieht es so aus, als hätte die Unabhängigkeit keine Mehrheit mehr, weil viele nicht wählen waren.
Warum hat die Partei von Puigdemont zugelegt?
Er ist sicher weiter ein Symbol, ist noch im Exil und alle wollen, dass er zurückkehrt. Das Ergebnis seiner Partei ist etwas besser, sie konnte aber andere Verluste nicht ausgleichen. Er war für einige auch nicht wählbar, da auch er nun mit der spanischen Regierung paktiert.
Nun wird das Amnestiegesetz verabschiedet, das auch seine Rückkehr ermöglichen soll. Ist das ein Schritt in Richtung Nicht-Konfrontation und oder eine neue Chance?
Es sieht weniger nach einer neuen Chance aus. Die Wähler haben das auch so gesehen. Auch Puigdemont hat nur kleinlaut von der Unabhängigkeit gesprochen. Schauen wir uns seine Listen an, dann sind da kaum klare Unabhängigkeit-Vertreter zu finden.
Sehen Sie eine Chance für eine Regierungsbildung oder gibt es eine zweite Runde?
Es gibt viele, die Neuwahlen sehen. Das wäre auch eine neue Chance für Puigdemont, sein Unabhängigkeitsprofil auch auf den Listen zu schärfen. Er könnte so Leute mitnehmen, die bisher daran zweifeln, dass er sie ernsthaft umsetzen will, die ihn deshalb nicht gewählt haben. Das wäre eine Möglichkeit um mit geschärften Krallen voran zu kommen. Wenn es eine Wiederholung unter gleichen Bedingungen gibt, bleiben vielleicht noch mehr Wähler weg.
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