»Fassadenkunst im Plattenbau«: Kosmonauten und Ornamente

Ein Bildband widmet sich der sowjetischen Gestaltung von Wohnblockfassaden in Usbekistan

  • Jens Malling
  • Lesedauer: 4 Min.
Mosaik an der Fassade eines Gebäudes in Taschkent, von Alexander Jarsky, 1985
Mosaik an der Fassade eines Gebäudes in Taschkent, von Alexander Jarsky, 1985

Am besten kann man dort etwas Neues, Schönes und Nützliches schaffen, wo viel gebaut wird. Und eine solche Stadt war damals Taschkent.» So erklärte Nikolai Jarsky den Entschluss, mit seinen beiden Brüdern in die Hauptstadt der usbekischen Sowjetrepublik zu ziehen, laut dem neuen Bildband «Fassadenkunst im Plattenbau» von Philipp Meuser.

Das Künstlertrio Nikolai, Pjotr und Alexander kam an, kurz nachdem ein Erdbeben im April 1966 große Teile der Stadt zerstört hatte. Die anderen Sowjetrepubliken leisteten großzügige Nothilfe, und der Wiederaufbau ging schnell voran. Die Brüder fingen sofort an, ihre Ideen für die Fassadengestaltung der überall entstehenden Neubausiedlungen umzusetzen. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte überzogen sie die Stadt mit einer Vielzahl farbenfroher Mosaike. Oft griffen die Brüder dabei auf die schönsten Ornamente der islamischen Kunst zurück und kombinierten sie mit Motiven, die aus der Faszination für die Raumfahrt stammten: Kosmonauten, Raketen und Satelliten. An einem Ort im Straßenbild werden solche Beispiele für sowjetische Zukunftseuphorie und Technikbegeisterung plötzlich durch ein überdimensioniertes Porträt des usbekischen Nationalhelden Zahir ad-Din Muhammad Babur ersetzt – ausgeführt von Pjotr Jarsky. Die größten Mosaike schmücken die gesamten Giebel neunstöckiger Wohnblöcke. Und noch heute können sich Passanten davon überzeugen, wie es den Brüdern mit ihren Visionen gelungen ist, Kunst und Architektur auf beeindruckende Weise zu verbinden. Sie entwickelten laut Meuser eine völlig neue Technik zur Fassadengestaltung: Bei der sogenannten Jarsky-Methode werden die Teile für die riesigen Mosaike bereits in der Zementfabrik entworfen, in die einzelnen Betonplatten gegossen und auf der Baustelle zusammengefügt. Von Anfang an ist die architektonische Dekoration in die Betonelemente integriert. Das Motiv, das Material und das Gebäude werden eins.

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Doch die Experimente bei der Gestaltung von Fassaden beschränkten sich nicht auf Mosaike. Vielerorts schufen die Brüder fein gearbeitete Pandscharas – eine Art Gitter zum Schutz vor der starken usbekischen Sonne. Dieses architektonische Detail erzeugt oft ein verlockendes Licht- und Schattenspiel über den Gebäuden und bricht so deren sonst strengen Ausdruck. Durch die Wiederholung von Mustern in aufwendig gegossenem Beton und die überraschende Anordnung von Fassadenelementen wie Balkonen, Fensterrahmen und Eingängen entstanden aus den neuen Häusern der Sowjetbürger Gesamtkunstwerke. Ästhetik und gelebtes Leben vermischten sich. Die Grenze zwischen künstlerischer Darstellung und Realität verblasste.

Aufgrund der Größe der Werke und ihrer oft prominenten Lage im Stadtbild eigneten sich die Mosaike der Brüder Jarsky besonders zur Propaganda zugunsten des Regimes und des sozialistischen Gesellschaftsmodells. Die Kontrolle von solchen ausdrucksstarken Fassadengestaltungen konnte niemand anderem als dem mächtigsten Mann der Republik überlassen werden:

«Der damalige Erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Usbekistans, Scharaf R. Raschidow, besichtigte die dekorierten Platten im Kombinat und gab sie für den Einsatz auf der Baustelle frei», schrieb Nikolai Jarsky 2003 in seinen Memoiren.

Die Motive entsprechen zunächst meist auch den Anforderungen des sozialistischen Realismus: deutlich figurativ, leicht lesbar und eine positive Sicht auf das Leben in der UdSSR vermittelnd. Darüber hinaus begrüßte das Regime das Experimentieren mit orientalischen Mustern der Jarsky-Brüder als einen lobenswerten Versuch, eine eigenständige nationale Formensprache für Usbekistan weiterzuentwickeln.

Doch mit den Jahren lösen sich die Motive von rein politischen Inhalten. Das Machtzentrum Moskau befand sich viele tausend Kilometer entfernt. In der Tat verfügte Usbekistan über eine weitgehende Autonomie im Vergleich mit anderen Republiken der UdSSR. Das könnte laut Meuser dazu beigetragen haben, das Spielfeld für die Jarsky-Brüder zu erweitern.

Denn aus der Inspiration durch die traditionelle Kunst Usbekistans – die aufgrund des im Islam weit verbreiteten Verbots der Darstellung von Menschen und Tieren oft gerade nonfigurativ ist – erwachsen immer abstraktere und unpolitischere Werke, die von geometrischen Figuren und Kompositionen geprägt sind. Besonders viele entstehen entlang der Wohnfassaden im Taschkent der 80er Jahre. Diese Entwicklung und Breite der Motive und der Kunststile zeugen vom vielseitigen Talent der Jarsky-Brüder und davon, dass es ihnen trotz der politischen Bedingungen weitgehend gelungen ist, unabhängig und mit Integrität zu arbeiten.

Allerdings wird die Qualität der Baumaterialien aus heutiger Sicht dem hohen künstlerischen Niveau der Brüder nicht immer gerecht. Der Zustand vieler Gebäude lässt manchmal zu wünschen übrig.

«Ich blicke heute natürlich mit etwas Wehmut auf die teilweise heruntergekommenen Wohngebäude, die seinerzeit mit so viel Enthusiasmus errichtet worden waren. Die Zeiten des bauwirtschaftlichen Aufschwungs, des freundschaftlichen Kollektivs und der engagierten Verwaltung sind leider vorbei. Die gemeinschaftliche Idee, Taschkent zu einer unvergesslich schönen Stadt zu machen, bleibt eine Erinnerung», schrieb Nikolai Jarsky einige Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in seinen Memoiren.

Bei Chruschtschows äußerst kosteneffizientem Serienbau waren die zwei Prozent der Ausgaben, die die Jarsky-Brüder für die Fassadendekoration aufwendeten, noch ein kleiner Triumph. Ein Beweis dafür, was das gesellschaftliche Engagement und die Kreativität des Einzelnen bewirken können, wie Meuser betont.

Philipp Meuser: Fassadenkunst im Plattenbau: Das Werk der Brüder Jarsky im sowjetischen Taschkent. 368 Seiten und 540 Abbildungen, Hardcover, 48 €.

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