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EU-Lobbyreport: Konzerne bauen Einfluss aus
Brüssels Lobbyregeln konnten wenig bewirken
Immer wieder wird die EU von Lobby- und Korruptionsaffären erschüttert. Etwa durch den im Dezember 2022 aufgeflogenen Katargate-Skandal um die griechische EU-Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kailli und den Sozialdemokraten Pier Antonio Panzeri. Der soll im Auftrag Katars und Marokkos Abgeordnete bestochen und mit der von ihm gegründeten NGO »Fight Impunity« Entscheidungen beeinflusst haben. In den Monaten nach Bekanntwerden des Skandals war man in Brüssel sichtlich bemüht, Schlupflöcher zu schließen.
Insofern durfte man auf den aktuellen »EU-Lobbyreport« der Transparenz-NGO LobbyControl gespannt sein, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Zentrale Frage: »Ist die EU ausreichend vor Einflussnahme durch Konzerninteressen und Drittstaaten geschützt?« Aurel Eschmann, Experte für Lobbyregulierung und Ko-Autor des Berichts, machte auf die Schwachpunkte der neuen Regelungen aufmerksam: »Zwar haben die EU-Institutionen nach Katargate neue Lobbyregeln gesetzlich verankert, sodass die Regeln teils besser sind als in Deutschland. Doch helfen die besten Regeln nichts, wenn sie nicht unabhängig kontrolliert und durchgesetzt werden.«
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So hat das EU-Parlament im Nachklang des Katar-Skandals beschlossen, dass ein Ethikgremium mit unabhängigen Sachverständigen künftig Standards überwachen soll. Es soll nicht nur für die 751 EU-Abgeordneten zuständig sein, sondern auch für die Kommission, die Europäische Zentralbank und den Rechnungshof. Beim Europäischen Rat, dem Machtzentrum der Staats- und Regierungschefs, will man sich nicht in die Karten schauen lassen und verweigert die Zusammenarbeit.
Nicht der einzige Schwachpunkt des Gremiums. »Das Ethikgremium ist quasi machtlos, nur beratend tätig und ohne Sanktionsmöglichkeiten«, erläutert Eschmann. Ohnehin setze man im Parlament »vorwiegend auf Selbstkontrolle«. Kein Wunder, dass »noch nie eine Sanktion wegen Verstößen gegen Transparenzregeln verhängt worden ist«, so Eschmann weiter. Fast 40 Prozent der Abgeordneten der Fraktionen ID und ECR hätten kein einziges Lobby-Treffen angegeben – obwohl sie das eigentlich müssten. Laut Eschmann handelt es sich um ein strukturelles Problem, das nicht auf die extreme Rechte begrenzt ist. Auch ein Fünftel der EVP-Abgeordneten habe kein einziges Lobbytreffen angegeben, ihr Fraktionsvorsitzender Manfred Weber lediglich ein einziges seit der letzten Wahl. »Doch die zuständige Parlamentsverwaltung unternimmt offensichtlich nichts dagegen. Konsequenzen für die Abgeordneten gibt es keine«, kritisiert Eschmann.
Demnach meldeten 40 Prozent der Abgeordneten nicht ein einziges Treffen mit Lobbyisten, wozu sie eigentlich verpflichtet wären. Die rechtsextreme ID-Fraktion, der auch die AfD angehört, meldete keinen einzigen Lobbykontakt. Im Lichte der jüngsten Skandale um den AfD-Parlamentarier Krah wird klar, warum die ID hier um Diskretion bemüht ist.
Hauptaugenmerk des Reports liegt jedoch auf Konzern-Lobbying. Tatsächlich haben die Konzerne und Banken ihre Lobbyarbeit massiv ausgebaut, wie Imke Dierßen, Geschäftsführerin von Lobbycontrol, warnt. Allein die 50 größten Konzerne hätten ihre Lobbybudgets in den letzten 10 Jahren um zwei Drittel erhöht. Nach Berechnungen von Lobbycontrol sind derzeit 29 000 Lobbyisten regelmäßig in Brüssel unterwegs. Nur 30 Prozent der Lobbygruppen setzen sich primär für Anliegen wie Menschenrechte oder Umwelt- und Verbraucherschutz ein. Das Ungleichgewicht wird dadurch verschärft, dass das Budget der Wirtschaftslobby deutlich größer ist als das der Zivilgesellschaft. Denn das Lobbying lassen sich die Konzerne einiges kosten. So lagen die Lobbyausgaben aller Akteure im EU-Transparenzregister im vergangenen Jahr bei 1,3 Milliarden Euro.
Das Register wurde 2011 zwischen Parlament und Kommission vereinbart. Hier müssen sich alle bei den Institutionen tätigen Lobbyisten registrieren. Erst vor wenigen Tagen kam der Europäische Rechnungshof (EuRH) zu dem Schluss, dass Lobbyisten trotz des Registers »von der Öffentlichkeit unbemerkt auf die EU-Gesetzgeber Einfluss nehmen können«. Die EuRH-Prüfer kritisierten, dass Lobbyisten sich nur für im Voraus geplante Treffen mit den ranghöchsten Mitarbeitern der EU-Institutionen registrieren müssen. »Spontane Treffen und Telefongespräche sowie E-Mail-Verkehr müssen nicht formell festgehalten werden, und für Treffen mit Mitarbeitern unterhalb der Ebene eines Generaldirektors (also faktisch mit fast allen Mitarbeitern) benötigen Lobbyisten keine Registrierung«, bemängelte der EuRH.
Die Konzerne wissen, warum sie hier so aktiv sind, schließlich können sie in Brüssel auf Gesetzentwürfe und Richtlinien einwirken, die die ganze EU betreffen. »Lobbyarbeit von Konzernen und ihren Verbänden ist häufig ein Abwehrkampf gegen neue Regeln, die das Gemeinwohl zwar fördern würden, aber nicht im Geschäftsinteresse der Unternehmen sind«, heißt es dazu im Bericht. Beispiele sind hier etwa der Kampf der Chemieindustrie gegen die EU-Chemikalienverordnung und die Blockadehaltung der deutschen Automobilindustrie gegen CO2-Grenzwerte.
Dabei würden die Techniken zur Beeinflussung von EU-Politik immer ausgefeilter. »Sie reichen von teuren Konferenzen und exklusiven Einladungen über Auftragsstudien an vermeintlich neutrale Akteure wie Denkfabriken bis hin zu «third-party mobilisation»: dem Aufbau eines Netzes von Dritten, das die eigene Botschaft wiederholt und ihr Glaubwürdigkeit verleiht«, heißt es dazu im Bericht.
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