- Berlin
- Mietenwahnsinn
Letzte Chance Genossenschaft
Mieter in Prenzlauer Berg hoffen, dass ihr Haus von einer Genossenschaft übernommen wird
In der Gegend um den Helmholtz-Platz im Stadtteil Prenzlauer Berg wechseln sich Modeläden mit Restaurants und Weinstuben ab. Doch vor einem Haus fällt ein Transparent auf, das der Wind schon zerzaust hat: »Mietergemeinschaft Lychener Straße 21« ist dort zu lesen. Ein Mietkampf im Zentrum von Prenzlauer Berg? Tatsächlich hat sich dort in den vergangenen Monaten eine neue Mieter*innenbewegung Gehör verschafft. Der Grund: Für Tausende Wohnungen, die in den 90er Jahren saniert wurden, laufen die Sozialbindungen aus. Es drohen Mieterhöhung und Verdrängung.
Auch die über 60 Wohnungen der Lychener Straße 21 sind davon betroffen. Doch die Bewohner*innen starren nicht wie das Kaninchen auf die Schlange und warten auf die Briefe, die mögliche Mieterhöhungen ankündigen. »Wir haben uns nicht nur im Haus untereinander vernetzt, sondern auch Kontakt zu anderen betroffenen Mieter*innen und unterstützenden Gruppen im Kiez gesucht und gefunden«, sagt Hausbewohner Herr Müller (Name geändert) »nd«. Er war mit mehreren seiner Nachbar*innen Mitte März Teilnehmer des Pankower Krisengipfels, auf dem von der Politik Sofortmaßnahmen gegen die Verdrängung gefordert wurden. Nach dem Gipfel haben sich die Mieter*innen der Lychener Straße ein Konzept gegen die Verdrängung erarbeitet: Eine Genossenschaft soll das Haus kaufen.
Mit der Bremer Höhe wäre auch eine Genossenschaft gefunden, die dafür in Frage kommt. Unterstützt werden die Bewohner*innen vom Bündnis »Pankow gegen Verdrängung«, in dem sich betroffene Mieter*innen und stadtpolitische Initiativen zusammengeschlossen haben. Zustimmung kommt auch aus der Politik. Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung Pankow haben sich schon an den Eigentümer gewandt, die Lippman und Dubuque GmbH mit Sitz in Dresden. Diese aber lehnt die Genossenschaftspläne vehement ab. Verhandlungen seien nicht möglich gewesen, sagt Müller und warnt vor den Folgen. »Hier droht erneut bezahlbarer Wohnraum in einem der am stärksten von Gentrifizierung betroffenen Bezirke Berlins verloren zu gehen.«
In einem »nd« vorliegenden Schreiben der Mietergemeinschaft an den Eigentümer schildern die Bewohner*innen, dass sie sich große Sorgen machten, nachdem sie erfahren hätten, dass der Eigentümer einen Verkauf der Häuser plane. »Vor diesem Hintergrund möchten wir eine alternative Lösung in Betracht ziehen, die sowohl Ihre Interessen als auch die der Mieter*innen berücksichtigt«, versuchen die Bewohner*innen dem Eigentümer ihre Idee schmackhaft zu machen. In der Eingangsbestätigung wandte sich der Geschäftsführer der Lippman und Dubuque GmbH in einer persönlichen Stellungnahme dagegen, dass die Eigentümer durch öffentlichen Druck, etwa mit Flugblättern und Plakaten, dazu gebracht werden sollen, einem Verkauf an die Genossenschaft zuzustimmen.
Die Bewohner*innen sehen gerade in einer kritischen Öffentlichkeit die einzige Chance, ihre Idee umzusetzen. Die Zeit drängt. »Noch sind die Wohnungen in unserem Haus nicht für den Kauf an Investoren aufgeteilt«, betont Müller. Er verweist auf die Nachbarschaft, in der schon die dritte Gentrifizierungswelle laufe. Es gebe wenig Widerstand dagegen. Ein Modeladen gegenüber der Lychener 21 verabschiedet sich in einem Aushang im Schaufenster von seinen Kund*innen mit der Bemerkung, dass er die Mieterhöhung nicht mehr tragen könne. Die Betreiberin zieht nach Spanien. Für die Mehrheit der Mieter*innen in der Straße ist das keine Option. Sie kämpfen weiter für eine genossenschaftliche Lösung und bezahlbare Mieten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.