- Politik
- Auftakt zum »Reichsbürger«-Prozess
Sie sollen zum Mord bereit gewesen sein
Der Prozess gegen die mutmaßlichen »Reichsbürger«-Putschisten um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat begonnen
Rüdiger von Pescatore hält sich militärisch gerade, als er den Gerichtssaal betritt, seine Jacke ist olivgrün. Der 70-Jährige war Offizier der Bundeswehr, das soll man wohl merken. Als er neben sich auf der Anklagebank den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß entdeckt, legt er die Hand soldatisch zum Gruß an die Stirn.
Seit Dienstag müssen sich die beiden Männer zusammen mit sieben weiteren Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt verantworten, in einem Staatsschutzverfahren, wie es die Bundesrepublik noch nie erlebt hat. Es geht um Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, um Hochverrat. Prinz Reuß und von Pescatore sollen als Rädelsführer der »Patriotischen Union« den bewaffneten Umsturz in Deutschland geplant haben. Auch die meisten der Mitangeklagten werden von der Bundesanwaltschaft zur Führungsriege der mutmaßlichen Möchtegern-Putschisten gezählt, die 2022 bei einer Großrazzia festgenommen wurden.
Der Prozessauftakt, bei dem auch einige offenkundige Sympathisant*innen im Publikum sitzen, ist zäh. Gericht und Verteidigung ringen um Befangenheitsanträge ebenso wie ums WLAN-Passwort. In einem Nebensatz geißelt Rechtsanwalt Martin Schwab das Verfahren als »größten Missbrauch der deutschen Rechtspflege«. Erst am Mittag kann die mehr als zweistündige Verlesung der Anklage beginnen. Die Bundesanwaltschaft zeichnet darin das Bild einer Vereinigung, deren Mitglieder bereit waren, über Leichen zu gehen.
Überzeugungen rechter »Reichsbürger«, dass die Bundesrepublik kein legitimer Staat sei, gingen demnach Hand in Hand mit dem Glauben an die antisemitische Verschwörungsideologie QAnon. »Sie waren der festen Überzeugung, dass die Geschicke der Welt von einer verschwörerischen Gruppe pädophiler Eliten, dem sogenannten ›Deep State‹, kontrolliert werden«, trägt Oberstaatsanwalt Tobias Engelstetter vor. Und dass diese Eliten in einem Tunnelsystem Kinder gefangen halten, um ihnen ein Verjüngungselixier abzuzapfen.
Die Angeklagten sollen einen bewaffneten Überfall auf den Bundestag geplant haben, die Festnahme der Bundesregierung – und massenhafte Hinrichtungen. »Allen Angehörigen der Vereinigung war bewusst, dass diese als ›Aufräumarbeiten‹ oder ›Säuberungen‹ titulierten Maßnahmen auch die Tötung von Menschen einschließen würden«, sagt Engelstetter. Er spricht von Feindeslisten, von einem Schießtraining auf einem ehemaligen Bundeswehrschießstand, von 286 »Heimatschutzkompanien«, die für den Umsturz aufgestellt werden sollten. Zwei dieser Kompanien seien bereits einsatzfähig gewesen.
Über mehr als 380 Schusswaffen mit 148 000 Munitionsteilen soll die »Patriotische Union« verfügt haben, dazu über Satellitentelefone, Schutzwesten, Helme, Uniformteile. Denn an Geld mangelte es den Verschwörer*innen laut Anklage nicht: Rund eine halbe Million Euro hätten sie in der Kasse gehabt. Größter Geldgeber neben Prinz Reuß: der Angeklagte Hans-Joachim H., ein 66 Jahre alter Unternehmensberater aus Niedersachsen. Er soll seine Lebensversicherungen im Wert von 160 000 Euro für den Putsch verkauft haben.
Im »militärischen Arm« der Gruppe sollen neben von Pescatore zwei weitere frühere Bundeswehroffiziere den Ton angegeben haben: die beiden Ex-KSK-Soldaten Maximilian Eder (65) und Peter Wörner (55). Den zivilen »Rat«, der nach dem Umsturz als Übergangsregierung fungieren sollte, habe Prinz Reuß (72) angeführt. Für »Inneres« sei Michael Fritsch (60) zuständig gewesen, ein langjähriger Polizist aus Niedersachsen, der sich als Corona-Leugner derart radikalisiert hatte, dass er aus dem Dienst entlassen wurde. Und das Ressort »Justiz« habe die Berliner Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann übernommen. Die 59-Jährige, sagt der Oberstaatsanwalt, habe ihren Mitverschwörer*innen zudem das Ausspähen des Bundestags ermöglicht.
Außerdem angeklagt sind Johanna Findeisen-Juskowiak (55), bis zu ihrer Festnahme Vorsitzende der Corona-Leugner*innen-Partei »Die Basis« in Baden-Württemberg, sowie Vitalia B. (40), die aus Russland stammende Lebensgefährtin von Prinz Reuß. Beide sollen unter anderem am Werben um russische Unterstützung für die Putschpläne mitgewirkt haben.
Gegenüber Russland habe es in den Reihen der Verschwörer*innen eine »besondere Zugewandtheit« gegeben, erklärte der Vertreter der Bundesanwaltschaft. In Wladimir Putin sahen sie demnach ebenso wie in Donald Trump Anführer eines mächtigen Geheimbunds namens »Allianz«, der scheinbare Gegenspieler zum »Deep State«. Den Einmarsch dieser »Allianz« hätten sie erwartet, als Signal fürs eigene Losschlagen. Der Mann, der sich als Verbindungsperson zu dieser herbeifantasierten »Allianz« inszenierte, steht seit April mit acht weiteren Mitverschwörern in Stuttgart vor Gericht. Ein dritter Prozess mit acht Angeklagten beginnt Mitte Juni in München.
In Frankfurt hat das Gericht für das Mammutverfahren eigens eine 1300 Quadratmeter große Leichtbauhalle in ein Gewerbegebiet am Rande der Stadt bauen lassen. Mit 25 Verteidiger*innen – manche bekannt aus Prozessen gegen Rechtsextreme, andere aus der Szene der Corona-Leugner*innen –, mehr als 250 Zeug*innen und einer Dauer von voraussichtlich mehreren Jahren sprengt der Prozess alle Maßstäbe.
Fünf der neun Angeklagten in Frankfurt, darunter die AfD-Politikerin Malsack-Winkemann, haben sich im Ermittlungsverfahren geäußert. Alle bestritten dabei jegliche Gewaltbereitschaft, die Reuß-Partnerin Vitalia B. erklärte sich sogar für gänzlich unschuldig. Nach den Regeln der »Patriotischen Union« stünde ihr Urteil bereits fest: Laut einer Verschwiegenheitserklärung, die die Angeklagten wie mindestens noch rund 130 weitere Angehörige unterzeichnet haben sollen, stand auf Verrat die Todesstrafe. In der ihnen so verhassten Bundesrepublik drohen dagegen nur langjährige Gefängnisstrafen. Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.