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Berlin: Unsichere Beschäftigung an der Volkshochschule

Fünf Bezirke stellen für das kommende Semester keine Honorarverträge für Lehrkräfte mehr aus

Droht ein Haus ohne Leben? Für das kommende Semester hat Steglitz-Zehlendorf den Vertragsabschluss mit Honorarkräften gestoppt.
Droht ein Haus ohne Leben? Für das kommende Semester hat Steglitz-Zehlendorf den Vertragsabschluss mit Honorarkräften gestoppt.

»Der Worst Case ist«, sagt Mila Neunzig, »dass sämtliche Volkshochschulen den Betrieb zum Herbstsemester einstellen.« Neunzig betreut als Sekretärin der Gewerkschaft Verdi die Berliner Volkshochschulen. Dort herrscht mit Blick auf das im Herbst beginnende Semester große Unsicherheit.

Ein großer Teil der Lehrkräfte an den Volkshochschulen wird als Selbstständige per Honorarvertrag beschäftigt. Dieser grundsätzlichen Beschäftigungspraxis widersprach das Bundessozialgericht bereits 2022. Stattdessen seien Lehrkräfte mitunter fest anzustellen, die damit einhergehenden Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Bisher ist noch nicht klar, in welchem Ausmaß das Einzelfallurteil eines Musikschullehrers auf andere Beschäftigungsverhältnisse anzuwenden ist. Das Sozialgericht selbst spricht davon, dass stets der Einzelfall zu prüfen sei. Wenn die Lehrkräfte aber weisungsgebunden in den Betrieb der Schule eingegliedert sind und kaum über unternehmerische Freiheiten verfügen, sind sie fest anzustellen, andernfalls gelten sie als scheinselbstständig.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) habe jedoch in einer Reihe von Überprüfungen von Honorarverträgen festgestellt, dass tatsächlich eine abhängige Beschäftigung bestehe. »Die DRV lehnt es ab, VHS-Dozent*innen weiter als Selbstständige einzustufen«, teilt Verdi mit.

Mit weitreichenden Konsequenzen für die bisherige Beschäftigungspraxis der VHS. »Offenbar haben immer mehr Bezirksrechtsämter Zweifel an der Rechtssicherheit, sollten sie den Betrieb der VHS wie gehabt aufrechterhalten und weiter Honorarverträge ausstellen«, sagt Rebecca Rashid von der Berliner VHS-Dozent*innen-Vertretung zu »nd«. »Letzte Woche haben nur drei Bezirke aufgrund dieser Zweifel mitgeteilt, dass sie keine Honorarverträge mehr ausstellen, diese Woche sind es schon fünf.« Rashid bestreitet ihren Lebensunterhalt seit fast 15 Jahren durch selbstständige Lehrtätigkeit an der VHS Tempelhof-Schöneberg. Sie unterrichtet Deutsch als Fremdsprache.

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Tempelhof-Schöneberg hat an seiner Beschäftigungspraxis an der VHS bisher nichts geändert, würde weiterhin Honorarverträge ausstellen und gar widersprechen, wenn »abhängige Beschäftigung« durch die DRV beschieden würde, heißt es aus dem Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirks. Steglitz-Zehlendorf, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Reinickendorf würden laut Verdi vorläufig keine Honorarverträge mehr für die Dozent*innen ausstellen. Die Bezirke hätten rechtliche Bedenken mit Blick auf »persönliche, finanzielle Haftung, befürchtete Strafbarkeit des Abschließens von Honorarverträgen«, heißt es in der Erklärung der Gewerkschaft. Das Bezirksamt Neukölln wollte die Angaben von Verdi nicht bestätigen. In einer Mitteilung des Bezirksamtes Reinickendorf hieß es bereits am Mittwoch: »Um jedoch neue Verträge abschließen zu können, muss der Senat vorher für eine entsprechende Rechtssicherheit sorgen.«

Die laut Verdi von den fünf genannten Bezirken ergriffenen Maßnahmen werden ihrerseits mit rechtlichen Zweifeln seitens der VHS-Leitungen belegt. In einem Schreiben an die Bezirksstadträt*innen erklären diese, dass mit einer in Aussicht stehenden Betriebsstilllegung »ein enorm hohes, finanzielles wie auch rechtliches Risiko« einherginge. In dem Schreiben, das »nd« vorliegt, verweisen die VHS-Leiter*innen auf den gesetzlichen Bildungsauftrag und appellieren an die Bezirke, »alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um Betriebseinschränkungen und -schließungen abzuwenden«.

Während die Bezirke in ihren Handlungserwägungen zu unterschiedlichen Entschlüssen kommen, scheinen sie sich in der eigentlichen Verantwortungszuweisung einig zu sein. Der Senat soll tätig werden und Sicherheit dahingehend herstellen, welche Verträge für Beschäftigungsverhältnisse rechtmäßig abzuschließen seien. Die Finanzierungsfrage, für eventuell anfallende Mehrkosten, wird bisher noch nachrangig behandelt.

Der Senat strebt an, mit der DRV ein Moratorium zu vereinbaren. Innerhalb eines Zeitraumes soll die DRV auf Statusüberprüfungen verzichten, der Senat wiederum die vertraglichen Gegebenheiten den Beschäftigungsrealitäten anpassen. Der Senat sehe sich im Vergleich mit anderen Bundesländern in dem Versuch, die Lage als »Vorreiter« zu klären, teilt ein Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung »nd« mit. Man habe ein »Drei-Säulen-Modell« entwickelt: Festanstellungen, feste freie Mitarbeiter*innen, für die Berlin die Sozialbeiträge abführt, und »echte freie« Mitarbeiter*innen. »Für die VHS ist ein Kursangebot durch festangestellte Mitarbeitenden eine ›Revolution‹«, teilt der Sprecher mit.

Dieses Modell wolle man nun zeitnah mit der DRV besprechen, um auch den Übergang dahin rechtssicher festzulegen. Noch vor der Sommerpause sollen die Gespräche stattfinden. Der Senat halte die bisherige Praxis für rechtskonform und empfehle den Bezirken, sie bis auf weiteres beizubehalten. Da die rechtliche Wende aber alle Bundesländer betreffe, sei ein bundeseinheitlicher Umgang anzustreben, erklärte der Sprecher.

Die DRV will das Ergebnis etwaiger Gespräche nicht vorwegnehmen und lässt gegenüber »nd« offen, ob sie einem Moratorium zustimmen würde. Mila Neunzig von Verdi würde ein Moratorium zwar begrüßen, denkt aber auch, dass die DRV es ablehnen könnte. Mit einem 2022 ergangenen Urteil sei eine akut entstandene Notlage schwer zu begründen. Neunzig rückt gegenüber »nd« auch nochmals die Unsicherheit der Beschäftigten in den Vordergrund: »Ohne sie würden die Volkshochschulen nicht laufen können. Mit ihrer Tätigkeit bestreiten sie ihren Lebensunterhalt, und das mitunter schon seit vielen Jahren.«

VHS-Dozentin Rashid, die auch im Rahmen der Integrationskurse unterrichtet, begrüßt den generellen Richtungswechsel nach dem Urteil: »Wir setzen uns seit vielen Jahren dafür ein, dass sich unsere Arbeitsbedingungen verbessern.« Künftig als freie Mitarbeiterin beschäftigt zu werden, könne sie sich gut vorstellen.

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