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Kommunalwahlen in Thüringen: Eine kleine Landtagswahl
Warum bei den Kommunawahlen in Thüringen mit einem deutlichen Stadt-Land-Gefälle zu rechnen ist
Für viele Menschen in Thüringen geht es um ganz konkrete Dinge, wenn sie nun ihren Landrat, ihren Oberbürgermeister, ihren Bürgermeister oder ihre Gemeinde- und Stadträte wählen werden. Es geht darum, dass die Menschen mit den Kommunalwahlen am Sonntag – zumindest in einem ersten Wahlgang – bestimmen werden, wer entscheiden beziehungsweise umsetzen soll, welche Schulen saniert werden. Welcher Kindergarten einen neuen Spielplatz bekommt. Welche Straßen als nächste repariert werden. Wie viel Geld in die Förderung der Arbeit mit Senioren und Jugendlichen fließt. An welchen Schulen, Kindergärten, Straßen und sozialen Projekten gespart wird, wenn das Geld mal wieder nicht reicht. Es geht also um Dinge, die das Leben von Menschen unmittelbar beeinflussen. Einerseits.
Andererseits sind die nun stattfindenden Kommunalwahlen im Freistaat eine kleine, Landtagswahl; ein Test für die politische Stimmung, in dem von etwa 2,1 Millionen Menschen bevölkerten Bundesland in der Mitte Deutschlands, das immer wieder ein Experimentierfeld für die Bundespolitik gewesen ist. Umso mehr ist das so, weil dort nun etwa 1,7 Millionen Wahlberechtigte abstimmen dürfen, ehe am 1. September die großen Landtagswahlen folgen. Dass bei einer Thüringer Kommunalwahl so viele Menschen gleichzeitig wählen dürfen, kommt nur alle dreißig Jahre vor, was mit den unterschiedlichen Amtszeiten etwa von Landräten und Kreis- und Gemeinderäten zu tun hat.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Unter anderem Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, betonen deshalb nicht zufällig, wie zentral bei diesen Kommunalwahlen das Abschneiden der in Thüringen als rechtsextrem eingestuften AfD sein wird. Viele von ihnen verbinden das mit Warnungen und Mahnungen. Wie Ramona Metz, die das Café »Mittendrin« in Gera betreibt. Seit August 2012 gibt es diese Café, über das Metz im Netz schreibt: »Wir wären gern ein Ort, an dem nette Menschen andere nette Menschen treffen.«
Ob das so bleiben kann? Ein möglicher, großflächiger Wahlerfolg der AfD bei diesen Kommunalwahlen jedenfalls wäre für diese Geschäftsphilosophie nach Einschätzung von Metz ein Problem. »Die AfD schadet mit ihrem Wahlprogramm und ihren Vertretern in der Region nachhaltig der Attraktivität und dem Ruf unseres Bundeslandes«, sagt sie. »Unsere Region ist bunt, offen und tolerant und so sind es meine Gäste.« Eine Politik, die unter anderem von Rassismus getrieben sei, mache Gera nur noch ärmer. Die Stadt in Ostthüringen ist bei den nun anstehenden Wahlen so etwas wie eine Ausnahme und doch gleichzeitig typisch für das, was sich abzeichnet.
Eine Ausnahme ist diese Stadt, weil Gera die einzige der größeren Städte im Freistaat ist, bei der es realistisch erscheint, dass dort im Ergebnis dieser Kommunalwahlen ein AfD-Mann Oberbürgermeister sein könnte. Die 96 000-Einwohner-Kommune im Osten des Landes gilt seit Langem als Hochburg der AfD.
Bei der Bundestagswahl 2021 beispielsweise erhielt die AfD in dem Wahlkreis, zu dem Gera gehört, 28,1 Prozent der Zweitstimmen; so viele wie keine andere Partei. Mit 29 Prozent der Erststimmen wurde dort damals der AfD-Mann Stephan Brandner direkt als Abgeordneter in den Bundestag gewählt. Brandner ist derjenige, der in den Vorjahren schon regelmäßig durch verbale Ausfälle im Thüringer Landtag aufgefallen war, dann trotzdem Vorsitzender des Justizausschusses des Bundestags wurde und diesen Posten später wegen weiterer Entgleisungen wieder verlor; ein in der bundesdeutschen Geschichte einmaliger Vorgang.
In den wenigen anderen, größeren Städten Thüringens dagegen haben AfD-Kandidaten wohl kaum eine echte Chance, Oberbürgermeister zu werden. Nicht in Erfurt, wo allerdings der langjährige SPD-Amtsinhaber Andreas Bausewein um seine Wiederwahl zittern muss. Tatsächlich könnte schließlich – nach einer Stichwahl – sein CDU-Herausforderer Andreas Horn in der Gunst der Wähler vorne liegen. Nicht in Jena, wo der FDP-Oberbürgermeister Thomas Nitzsche wohl gute Chancen auf eine Wiederwahl hat. Nicht in Weimar, wo der parteilose Oberbürgermeister Peter Kleine seine erste Amtszeit ohne größere Skandale und Ausfälle hinter sich gebracht hat.
Typisch für Thüringen dagegen ist die Lage in Gera deshalb, weil in weiten Teilen des Landes Rathäuser oder Landratsämter demnächst an die AfD fallen könnten – abseits der größeren Städten entlang der Autobahn 4 insbesondere in den ländlichen Regionen Thüringens. Vielerorts wird dafür gar nicht entscheidend sein, mit welchem – in der Regel ziemlich unbekannten – Personal die AfD vor Ort in den einzelnen Kommunen antritt. Sondern dass in Thüringen viele Menschen das Gefühl haben, nur die AfD sei gegen »die da oben«, obwohl diese Partei inzwischen längst Teil des politischen Systems ist; ganz abgesehen davon, dass soziologische Langzeitstudien wie der Thüringen Monitor seit Langem zeigen, dass viele Thüringer ein Weltbild haben, das von rassistischen oder nationalistischen Einstellungen geprägt ist.
Vor allem dort, wo in der Regel aus Altersgründen die bisherigen CDU-Amtsinhaber die Chefsessel der Landratsämter räumen, haben AfD-Kandidaten realistische Chancen, in diese Positionen gewählt zu werden, nachdem mit Robert Sesselmann im Jahr 2023 im Landkreis Sonneberg bereits der erste AfD-Landrat gewählt worden war.
Und weil diese Analyse ziemlich unbestreitbar ist, engagiert sich auch die Kampagnen-Organisation »Campact« in mehreren Thüringen Landkreisen, aber gleichzeitig nur in der Stadt Gera dafür, dass dort jeweils kein AfD-Bewerber in eine herausgehobene politische Position gewählt wird – mit Plakaten und Anzeigen, beispielsweise. Das tue »Campact«, sagt der geschäftsführender Vorstand der Organisation, Felix Kolb, aus Sorge um die Demokratie in ganz Deutschland. Zu den Landkreisen, in denen Campact aktiv sein wird, gehören auch der Saale-Holzland-Kreis in Ost- und der Wartburgkreis in Westthüringen.
Für Metz, die Frau mit dem Café, gilt es freilich als ausgeschlossen, dass sie bei der Oberbürgermeisterwahl in Gera den AfD-Bewerber, Wieland Altenkirch, wählen wird. Als Amtsinhaber tritt dort der parteilose Julian Vonarb erneut an. Wenn die Entscheidung zwischen diesen beiden Bewerbern nicht an diesem Sonntag, sondern zwei Wochen später fallen würde, wäre das keine echte Überraschung.
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