- Politik
- Rechtsextremismus
Rassistische Parolen in Lokal auf Sylt und weitere Vorfälle
Nazi-Parolen zu einem Party-Lied: Rechtsextreme eignen sich Song an und finden Nachahmer
Berlin. Die rassistischen Gesänge junger Partygäste auf Sylt alarmieren die Politik und schüren Ängste vor einem Rechtsruck bis hinein in die gesellschaftlichen Eliten. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Wochenende, menschenfeindliche Ideologie sei inzwischen ganz offensichtlich »Teil der Popkultur«. Und sie sei in Milieus salonfähig, denen klar sein müsse, dass Ausländer maßgeblich zum Wohlstand beitrügen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte: »Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.« Bundestagspräsidentin Bas sagte im Sender Phoenix: »Wenn man solche unappetitlichen Auftritte sieht, fragt man sich wirklich, was in den Köpfen dieser jungen Menschen vorgeht. Ich wünsche mir viel Zivilcourage und dass andere dagegenhalten.«
Aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. »Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen«, sagte die Ko-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. »Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äußern.« Der Song »L’amour toujours« sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, sagte Lamberty. So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft. Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall, dass Rechtsextremismus auch ein Problem in höheren Schichten ist.
Die bekannte Bar Pony im Inselort Kampen auf Sylt hatte nach Bekanntwerden des kurzen Videos Strafanzeige gestellt, der Staatsschutz der Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Bereits Folgen für Beteiligte
Einer der Beteiligten, der in dem Sylter Video eine Geste andeutet, die an den Hitlergruß denken lässt, schrieb laut »Bild« in sozialen Medien: »Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung.« Er habe einen »ganz schlimmen Fehler« gemacht und schäme sich. Er gab demnach an, sich der Polizei gestellt zu haben und die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen.
In dem Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits »L’amour toujours« von Gigi D’Agostino rassistische Parolen grölen. Scheinbar ungeniert und ausgelassen singen sie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!«. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.
Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. »Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte.«
Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: »Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können.« Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste.
DJ Gigi D’Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschließlich um Liebe drehe. »In meinem Lied «L’amour toujours» geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet«, teilte D’Agostino mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.
Weitere Fälle deutschlandweit
Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem »Rassismus-Vorfall« zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram.
Doch Sylt ist kein Einzelfall. Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden – etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. In der Oberpfalz ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar.
In Erlangen skandierten nun erneut zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen – wie auf Sylt – zum Lied »L’amour toujours«. Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot – der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein. Die Festwirte sowie der Oberbürgermeister der Stadt, Florian Janik (SPD), reagierten mit deutlichen Worten. Zudem beschlossen die Gastronomen, das Lied »L’amour toujours« bei dem Fest nicht mehr zu spielen. Zwei Polizeibeamte aus Essen, die am Freitag das Fest privat besuchten, hatten den Sicherheitsdienst verständigt und die Polizei gerufen, weil zwei Gäste »Ausländer raus« riefen.
In einer Stellungnahme teilten am Samstag die Geschäftsführer des betroffenen Biergartens mit: »Wir als Inhaber und Betreiber des Altstädter Schießhauses distanzieren uns in aller Deutlichkeit von den skandierten Parolen und der damit verbundenen Gesinnung. Wir verurteilen jede Form von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz auf das Schärfste und dulden solches Gebaren egal in welcher Form auf unserem Gelände nicht.« Weiter schrieben sie, in ihrem Betrieb seien Menschen aus mehr als zehn Nationen beschäftigt. Es seien alle Gäste willkommen, »die sich zur freiheitlichen-demokratischen Grundordnung unseres Landes bekennen, und die fröhlich und friedlich essen, trinken und feiern möchten«.
Oberbürgermeister Janik teilte mit: »Die Erlanger Bergkirchweih ist so bunt wie unsere Stadt.« Der Rathauschef lobte das Vorgehen der Beteiligten. Sie hätten gezeigt, »dass Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf dem Berg nichts zu suchen haben«.
Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu »L’amour toujours«, auch dort ermittelt der Staatsschutz.
Das Bremer Portal »buten un binnen« berichtete, dass unter anderem im Messenger Snapchat ein Video kursiere, auf dem junge Menschen zu sehen sind, wie sie die rassistischen Parolen auf dem Schützenfest singen. Auch sie sollen unter anderem »Ausländer raus« und »Deutschland den Deutschen« gegrölt haben.
Der Schützenverein Bunnen distanzierte sich in einem Beitrag auf der Plattform Instagram von dem Vorfall. Erst am folgenden Dienstag habe der Vorstand davon erfahren und daraufhin gegenüber Besuchern des Schützenfests die Parolen verurteilt. Der Verein sei vielfältig und heiße jeden willkommen. Der Vorfall solle noch weiter aufgearbeitet werden. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.