Stegerwald-Siedlung in Köln: Aufwertung mit kirchlicher Hilfe

Die Verwaltung in Köln hob den Milieuschutz für einen Stadtteil auf, davon dürfte eine katholische Wohnungsgesellschaft profitieren

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Stegerwald-Siedlung gehört fast komplett dem größten kirchlichen Wohnungsunternehmen in Deutschland.
Die Stegerwald-Siedlung gehört fast komplett dem größten kirchlichen Wohnungsunternehmen in Deutschland.

Die Kölner ächzen unter steigenden Mieten. Trotzdem soll ein besonderer Schutz für Mieter in der Stegerwald-Siedlung aufgehoben werden. Das hat eine Mehrheit im Stadtrat auf Betreiben der Stadtverwaltung beschlossen. Die Koalition von Grünen, CDU und Volt habe den Milieuschutz ohne nennenswerte Diskussion abgeschafft, berichtet Michael Weisenstein, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Die SPD habe sich enthalten. Das Wohngebiet war das älteste sogenannte Milieuschutzgebiet in Köln.

Die nach dem christlichen Gewerkschafter und Politiker Adam Stegerwald benannte Siedlung befindet sich auf einer Fläche von 17 Hektar im relativ zentral gelegenen Stadtteil Mülheim. Sie gehört fast komplett einem Tochterunternehmen der in Köln ansässigen Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (ASW), dem größten kirchlichen Wohnungsunternehmen in Deutschland. Dessen Eigentümer sind die katholischen Bischöfe von Köln, Paderborn, Trier, Münster und Aachen sowie das Bistum Essen.

1996 beschloss der Stadtrat eine soziale Erhaltungssatzung für fast die komplette Siedlung. Das von vier- und fünfgeschossigen Gebäuderiegeln geprägte Gebiet sollte rund 1500 Haushalte vor Verdrängung durch zu stark steigende Mieten schützen. Laut aktuellen Berichten der Stadtverwaltung ist dort nach wie vor der Anteil armer und älterer Menschen überdurchschnittlich groß.

Schutzstatus bliebe dringend nötig

Günter Bell, der Geschäftsführer der Linken im Stadtrat, hält die Aufhebung zum jetzigen Zeitpunkt für »widersinnig«. Seit über 30 Jahren ist der Stadtplaner Angestellter der Kommune, vor allem im Bereich Stadtentwicklung. »Als die Erhaltungssatzung 1996 erarbeitet wurde, hatte das neben der Siedlung ansässige Industrieunternehmen KHD große Probleme«, erzählt Bell. »Es wurde befürchtet, dass es verschwindet und dann auf dem Firmengelände Wohnungen und Büros entstehen.« Das hätte zu einer Aufwertung der angrenzenden Wohngegend geführt, also zu steigenden Mieten.

KHD schloss den Standort tatsächlich. Bislang erfolgte aber keine Bebauung. Mittlerweile gehöre das ehemalige Fabrikgelände dem Immobilienkonzern Adler Group, berichtet Bell. Auf einem anderen, nördlich der Stegerwald-Siedlung angrenzenden Gebiet fangen Investoren jetzt an, ein großes Projekt umzusetzen. Der städtebauliche Entwurf sehe Büros, Wohnungen, eine Schule, Kindergärten und Grünflächen vor, so Bell. Milieuschutz sei deshalb heute sogar noch wichtige als 1996.

Die Verantwortlichen im Rathaus hingegen argumentieren in der Beschlussvorlage für den Stadtrat, dass der Milieuschutz »nicht mehr angemessen und geeignet ist, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung – trotz eines hohen Verdrängungspotenzials – zu schützen«. Angesichts der Vorgeschichte in der Siedlung und eines von der Stadt eingeholten Fachgutachtens entsteht aber der Eindruck, dass die Aufhebung des Milieuschutzes durch eine schleichende Aufwertung des Viertels seit Jahren vorbereitet worden ist – und dass die ASW dabei mitgemacht hat.

Schleichende Aufwertung

Von 2008 bis 2019 führte das kirchliche Unternehmen umfangreiche energetische Modernisierungen durch. Die erhöhten die Mieten beträchtlich, ohne allerdings die Nebenkosten zu senken. Die Stadtverwaltung hätte das verhindern können, genehmigte aber eine Erhöhung der durchschnittlichen Netto-Kaltmiete von sieben auf zehn Euro pro Quadratmeter, was die ASW nicht ganz ausnutzte, sowie den Einbau von Aufzügen.

Jetzt argumentiert die Stadtverwaltung, es sei kein nennenswertes bauliches Aufwertungspotenzial mehr gegeben, und der Milieuschutz könne weitere Mietsteigerungen nicht verhindern. Seit 2019 liegen die Wohnkosten bei Neuvermietung bei durchschnittlich elf Euro nettokalt pro Quadratmeter.

Der ASW scheint das zu gefallen. Seit den späten 2010er Jahren sind Aussagen eines leitenden Angestellten und des örtlichen Familienzentrums des Erzbistums Köln dokumentiert, wonach die Bevölkerungsstruktur der Siedlung als »problematisch« angesehen wird, weshalb eine Veränderung angestrebt werden sollte. Dabei zeigte die Kriminalitätsstatistik keine Auffälligkeit. Ein schleichender Wandel der Bewohnerschaft sollte mit »einer Aufwertung der Gebäude« sowie mit dem Bau von Reihenhäusern erreicht werden. Für letztere wurde sogar der Supermarkt im Zentrum der Siedlung ersatzlos abgerissen.

Dass ein langfristiger Plan verfolgt wird, zeigt auch der Umstand, dass die Stadtverwaltung nun die Voraussetzungen der Erhaltungssatzung überprüft hat, obwohl das gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, wie sie auf nd-Anfrage bestätigte.

Linke-Stadtrat Michael Weisenstein ist empört über den Beschluss des Stadtparlaments. Zu den sozialen Problemen, die er verschärfen wird, kommt hinzu, dass sich die Bezirksvertretung Mülheim zuvor gegen die Aufhebung des Schutzstatus ausgesprochen hatte. Ein Veto gegen die Entscheidung des Rates kann sie nicht einlegen.

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