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Folterskandal in der Ukraine
Häftlinge in Straflager massiv und systematisch von den Aufsehern misshandelt
Die Ukraine wird von einem Folterskandal erschüttert. Am Mittwoch veröffentlichte Aufnahmen zeigen, wie Wärter und Spezialeinheiten Anfang 2022 systematisch Gewalt gegen Neuankömmlinge anwenden. Ein Insasse hatte die Videos aus dem Straflager Nr. 16 in Boschkiwske bei Poltawa in der Ostukraine entwendet und an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet.
Die Aufnahmen zeigen den »Empfang« der Häftlinge in der »roten Zone«, dem Teil der Anstalt, der vollständig unter Aufsicht der Wachmannschaften steht, schreibt das Online-Medium Strana. Darauf zu sehen: Männer in Masken, die einen Insassen mit Gummiknüppeln auf die Hände und mit einem Besen auf den Körper schlagen. Zusätzlich treten die Täter auf das Opfer ein und verhöhnen es. Medienberichten zufolge sollen fast alle Insassen des Straflagers von der Folter betroffen gewesen sein.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Mögliche Todesfälle durch die Folter
»Die Gefangenen wurden so lange geschlagen, bis ihr Wille gebrochen war und sie widerspruchslos alle Befehle ausführten«, schreibt die Staatliche Ermittlungsbehörde in einer Mitteilung. Dabei scheint es zu wahren Gewaltexzessen gekommen zu sein. Man untersuche Fälle, in denen eine Stunde lang auf einen Häftling eingeprügelt wurde, heißt es aus der Ermittlungsbehörde. Gegen einen anderen Insassen soll es mehr als 200 Schläge gegeben haben. Auch mögliche Todesfälle durch die Folter werden untersucht. Den Verantwortlichen drohen bis zu zehn Jahren Haft.
Dass in ukrainischen Gefängnissen gefoltert wird, ist durchaus bekannt. Entsprechende Berichte hatte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe bereits vor Jahren veröffentlicht. Mit Gewalt setzen viele Gefängnisleitungen ihre Ordnung durch und erpressen von den Inhaftierten ein Zusatzeinkommen. Auch Todesfälle gibt es immer wieder. Im vergangenen Oktober verstarb der Chef der Mediaholding MHP an inneren Verletzungen, die er höchstwahrscheinlich durch Folter erlitten hat.
Folter kein Einzelfall
Nur selten kommen solche Fälle ans Tageslicht. Zumeist schaffen es die Gefängnisleitungen, die massive Gewalt in ihren Anstalten zu vertuschen. Dass die systematische Folter im Straflager Nr. 16 bekannt wurde, ist dem Häftling zu verdanken, der die Aufnahmen herausschmuggelte. Das Justizministerium hatte hingegen jahrelang die Augen vor den Zuständen in den Strafanstalten verschlossen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Gulagu net.
Schon im Januar 2023 hatte die Staatliche Ermittlungsbehörde die Untersuchung aufgenommen, die noch nicht abgeschlossen ist. Ob die Verantwortlichen selbst ins Gefängnis kommen, ist noch nicht klar. Im vergangenen September hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Gesetz unterzeichnet, das für Folter eine Umwandlung der Gefängnisstrafe in Hausarrest ermöglicht.
Häftlinge für die Front rekrutiert
Für Kiew kommt der Skandal zur Unzeit. Wirft er doch just in dem Moment einen bösen Schatten auf den Umgang mit Inhaftieren, in dem die ersten für den Kampf an der Front rekrutiert wurden. Nach monatelangen Diskussionen um den Einsatz von Häftlingen in der Armee hatte Selenskyj am 17. Mai das entsprechende Gesetz unterzeichnet. Wer die Front überlebt, erhält auf Bewährung seine Freiheit.
Man habe bereits die Zusage von fast 5000 Häftlingen, sagte die Vizeverteidigungsministerin Olena Wysozka dem Online-Medium RBK Ukrajina. Gegenüber der BBC sprach Justizminister Denys Maljuska von 10 000 bis 20 000 Männern, die man in den Gefängnissen ausheben könne. Auf die Ähnlichkeit zur Anwerbung russischer Häftlinge durch die Söldnertruppe Wagner angesprochen, verteidigte sich Maljuska mit einer unterschiedlichen Herangehensweise: »Bei ihnen war es eine Zwangsmobilisierung, sie haben alle gezwungen und niemanden ausgebildet, ohne Ausbildung war das einfach ›Fleisch‹«, so Maljuska.
Ukrainische Häftlinge sollen hingegen entsprechend ihrer Fähigkeiten verwendet werden und gemeinsam mit regulären Soldaten kämpfen, erklärte der Justizminister weiter. Am Mittwoch sprach die Generalstaatsanwaltschaft von über 800 Inhaftierten, die bereits der Armee beigetreten seien. Ukrainische Medien berichten, dass viele von ihnen in Stoßtrupps eingesetzt werden sollen.
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