Bach-Fest in Leipzig: Zu Mendelssohn und Bach im Velo-Taxi

Alljährlich im Juni widmet Leipzig seinem einstmaligen Thomaskantor und Musikdirektor Bach ein internationales Fest

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 6 Min.
Paula Schwab vor einer Statue von Fanny Hensel, Mendelssohns Schwester, die ebenfalls komponierte und dirigierte.
Paula Schwab vor einer Statue von Fanny Hensel, Mendelssohns Schwester, die ebenfalls komponierte und dirigierte.

Der Holzfußboden knarrt. Paula Schwab tritt freudig einen Schritt zurück. Mit ihren Füßen sucht sie das Geräusch, das sie noch einmal hören will. »Die Eichendielen und das Treppenhaus stammen von 1845, als Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Frau Cécile in diese Wohnung zogen«, sagt die 68-Jährige, früher beim Kulturamt für Museen zuständig.

Die Leipzigerin ist Fan des großen Musikers und besucht des Öfteren das Mendelssohn-Haus, zu dessen Gästen einst auch Richard Wagner sowie Clara und Robert Schumann zählten. Das heutige Museum mag sie sehr: »Es ist hell und leicht wie Mendelssohns Musik. So bleibt genügend Raum für sie und auch für eigene Gedanken.«

1835 kam der Komponist und Pianist nach Leipzig, um dort Gewandhauskapellmeister zu werden. Im Alter von 26 Jahren übernahm er das Orchester und führte es zu internationalem Ruhm. Er war es auch, der Johann Sebastian Bach davor bewahrte, in Vergessenheit zu geraten.

Während man damals bei Konzerten fast nur zeitgenössische Musik spielte, führte Mendelssohn Bartholdy 1829 die Matthäus-Passion auf. Fast 80 Jahre nach Bachs Tod erklang dessen wichtigstes Werk erstmalig wieder. »Es war der Anfang des Comebacks, ohne das wir Bach heute nicht kennen würden«, ist sich Paula Schwab ganz sicher.

Und wo begegnet man dem unbestritten größten Komponisten aller Zeiten? Ganz oft zum Beispiel in der Thomaskirche, wo der Thomanerchor auch jetzt gleich die Motette singen wird. Schnell, umweltfreundlich und originell geht es dorthin vom Mendelssohn-Haus mit dem »Velo-Taxi«, Helge Hectors himmelblauer Fahrrad-Rikscha.

Leipzig feiert Bach

Das Bachfest Leipzig 2024 findet vom 7. bis 16. Juni statt und steht unter dem Motto »Choral total«. 30 Chöre aus aller Welt werden Bachs Kantaten an deren Erstaufführungsstätten zu Gehör bringen. Gefeiert werden auch 300 Jahre Johannes-Passion. Präsentiert wird das Werk in drei Formaten: historisierend mit dem Thomanerchor Leipzig in einer Besetzungsstärke wie zu Bachs Zeiten (13. Juni, 20–22 Uhr in der Thomaskirche, ab 25 €), als szenische Darbietung, präsentiert zweimal am 15. Juni in der Peterskirche vom Bonner Ensemble Vox Bona (17–19 ab 20 € und 21–23 Uhr ab 25 €), und direkt am ersten Bachfesttag auf der Bach Stage auf dem Leipziger Markt in einer kosten- und barrierefreien Version – musiziert und zugleich gebärdet vom Ensemble Sing & Sign, zu der das Publikum die Choräle mitsingen darf (7. Juni, 21–23 Uhr). Insgesamt gibt es über 150 Veranstaltungen an über 30 Orten in und um Leipzig. Tickets und Infos unter www.bachfestleipzig.de

Der Blick schweift durch das hohe Innere der Thomaskirche. Durch ihre schmalen Gotik-Fenster scheint die Sonne. In ihrem Licht strahlen die bunten Scheiben noch viel farbenfroher. »Bei Konzerten sitze ich am liebsten hier«, sagt Sylvie Weidner und freut sich über ihren Platz »ganz in der Nähe von Johann Sebastian Bach«.

In der Thomaskirche, wo der gebürtige Eisenacher 27 Jahre lang als Kantor wirkte, könne sie tief in seine Kunst eintauchen. »Hier stand er und dirigierte den Thomanerchor. Oft saß er selber an der Orgel«, sinniert die Leipziger Musikliebhaberin. Die Bodenplatte ein paar Meter neben ihr markiert die letzte Ruhestätte des genialen Tonschöpfers.

Himmlisches für Herz und Mund

Da ertönt die Orgel. Schon mit dem ersten Laut durchdringt ihr Klang den ganzen Raum. Dessen strenge, feierliche Ordnung stört die Töne nicht. Frohen Mutes fließen sie aus vielen hundert Orgelpfeifen, tanzen schwingend durch die Luft – hinauf bis zur Gewölbedecke und mitten durch das Publikum. Man hört sie mit den Ohren und spürt sie gleichzeitig im Bauch. »Herz und Mund und Tat und Leben« heißt die Kantate, die Johann Sebastian Bach in seinem ersten Leipzig-Jahr vor drei Jahrhunderten vollendete.

1723 kam er in die Messestadt, um das Amt des Thomaskantors und Musikdirektors anzutreten. Begleitet wurde der 38-Jährige von seiner zweiten Frau, der Sopranistin Anna Magdalena Bach, und seinen vier Kindern aus der ersten Ehe. Anna Magdalena gebar 13 Mädchen und Jungen. Die hochgebildete Frau erzog die Kinder, führte den Haushalt und blieb berufstätig – gab Konzerte, unterrichtete, kopierte Noten und verkaufte sie, managte die Arbeit ihres Mannes. Dem oblag die Leitung des Thomanerchores, einschließlich Unterricht der 55, seiner Meinung nach recht wenig talentierten Knaben sowie das gesamte öffentliche Musikleben der Stadt.

Am jetzigen Gesang der Jungen hätte Bach gewiss viel Freude. Hell und klar erklingen ihre makellosen Stimmen. Zusammen mit Solisten und Orchester erfüllen sie den Kirchenraum mit himmlischer Musik. »Schwingt freudig euch empor«, lautet der Titel der Kantate, die Bach 1731 schuf. Das Publikum darf ihn ganz wörtlich nehmen. Sobald der letzte Ton verhallt ist, streben alle froh und selig an die frische Luft.

Glücklichsein macht Appetit. In den Cafés am Thomaskirchhof sind noch Plätze frei. Jetzt etwas Süßes und dazu einen Kaffee – nicht zuletzt, weil Bach ihn liebte. Spätestens, seit der große Tonschöpfer dem aromatischen Getränk ein Werk widmete, ist es mit der klassischen Musik verbunden. Uraufgeführt wurde die humorvolle Kaffeekantate »Schweigt stille, plaudert nicht« im Zimmermannschen Kaffeehaus, wo der Thomaskantor das Collegium Musicum leitete.

Aus dem ging 1743 der erste bürgerliche Klangkörper im deutschsprachigen Raum hervor – das Grosse Concert. Seiner ersten festen Spielstätte, dem Messehaus der Tuchhändler, verdankt es seit 1781 seinen Namen: Gewandhausorchester. Nach mehreren Umzügen erhielt es exakt 200 Jahre später sein jetziges Hauptdomizil, das Gewandhaus am Augustusplatz. Doch auch das Opernhaus gleich vis-à-vis zählt wie die Leipziger Stadtkirchen zu den regulären Wirkungsorten der 185 Orchestermusiker und ihres Chefdirigenten, des Gewandhauskapellmeisters.

Mokka und Motetten

Der Kaffee kommt und die Gedanken schweifen durch seine Geschichte. Trotz anfänglicher Vorbehalte, die Bachs Kantate auf die Schippe nimmt, feierte der »anregende Trunk« im 18. Jahrhundert einen Siegeszug durch ganz Europa. In Konstantinopel gab es schon 1554 ein Kaffeehaus, ab 1647 auch in Venedig. 1685 öffnete das erste in Wien, 1694 in Leipzig. Zu den ältesten der Stadt zählt »Zum Arabischen Coffe Baum«. Nach mehrjähriger Sanierung soll es Ende 2024 wieder öffnen. »Einst frönten dem Kaffeegenuss hier Bach und Goethe, ja selbst gekrönte Häupter wie Napoleon oder August der Starke«, weiß Bodo Zeidler.

»1710 präsentierte Sachsens Kurfürst das erste Porzellan Europas in Leipzig«, betont der Händler stolz. Zusammen mit Tochter Annett verkauft er unter den Arkaden des Alten Rathauses das »Weiße Gold« aus Meißen. Für den Trend zum Kaffee kam es zu Zeiten Augusts wie gerufen. In seinem Heimatland half es ihm, derart populär zu werden, dass man dessen Einwohner bald »Kaffeesachsen« nannte. Geprägt hat den Begriff der »Alte Fritz« als Spottnamen für seine sächsischen Soldaten. Die blieben ihrem Laster treu und ließen wissen: »Ohne Gaffee gömmer nich gämfm.«

Kostspielige Preziose: Eine »Bachtasse« aus Meissner Porzellan mit barocktypischer tiefer Untertasse.
Kostspielige Preziose: Eine »Bachtasse« aus Meissner Porzellan mit barocktypischer tiefer Untertasse.

In knappen Zeiten zählte man die Bohnen vor dem Mahlen ab. Im Extremfall musste eine einzige pro Tasse reichen. »Das Ergebnis – eine Flüssigkeit, durch die das Blumenmuster auf dem Tassenboden deutlich sichtbar war – nannte man ›Bliemchengaffee‹«, erklärt Annett Zeidler. Neben kleinen, oft humorvollen Objekten wie dem »Bach-Schüsselchen« findet man beim Stöbern in ihrem Geschäft auch kostspielige Preziosen wie die »Bachtasse« – filigran und goldbemalt mit dem Porträt des Komponisten.

Typisch für das barocke Design ist die tiefe Untertasse, die man zum Trinken nutzte. Denn bevor Melitta Bentz 1908 in Dresden beim Experimentieren mit Löschpapier vom Schulheft ihres Sohnes die Einweg-Filtertüte erfand, brühte man den Kaffee direkt in der Kanne. Durch ein Sieb goss man ihn in die Tasse und von dort, um ihn von noch mehr Satz zu trennen, auf die Untertasse. Deren Schalenform erklärt »ä Schälchen Heeßen«, wie echte Sachsen heute noch zu einer Tasse Kaffee sagen.

Die Recherche wurde unterstützt von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH.

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