Walk of Care: Gesundheit für alle, sonst gibts Krawalle!

Beim »Walk of Care« demonstrieren Pflegende für bessere Arbeitsbedingungen

  • Luise Krüpe
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch Krankenhausbetten fuhren beim »Walk of Care« mit.
Auch Krankenhausbetten fuhren beim »Walk of Care« mit.

»Ich liebe meinen Beruf, aber ich hasse die Bedingungen, unter denen ich arbeiten muss. Ich hasse es, für so ein kaputtes Gesundheitssystem zu stehen.« Diese Worte drangen am Sonntag beim »Walk of Care« durch den Lautsprecher. Seit 1974 ist der 12. Mai der internationale Tag der Pflegenden. Die Pflegeinitiative Walk of Care organisiert seit 2017 an diesem Tag eine Demonstration, um auf die katastrophale Situation des Gesundheitswesens aufmerksam zu machen.

Hier kommen die Forderungen der Pflegenden zum Ausdruck. Die Pflegefachkräfte Shirin und Ruth rufen sie für die gut 250 Teilnehmenden durchs Mikrofon: »Wir fordern die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, durch die reiche Menschen prozentual weniger in die Sozialkasse einzahlen müssen als andere.« So liegt der Höchstbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung 2024 bei 843,53 Euro, die Einkommensgrenze für Beitragserhöhungen bei einem Bruttomonatsgehalt von 5175 Euro. »Außerdem fordern wir dieses Jahr eine 30-Stunden-Woche für alle Pflegenden bei vollem Lohnausgleich«, so die beiden Pflegerinnen weiter.

Auch die Abschaffung der Diagnosis-related Groups (DRG) wird gefordert. Dieses System erfasst die Kosten für Behandlungen in verschiedenen Krankenhäusern und bildet einen Kostendurchschnitt: Er wird den Krankenhäusern dann von den Krankenkassen erstattet. Eingeführt wurde das System 2004, vorher bekamen die Krankenhäuser tagesgleiche Pflegesätze pro Patient*in. Je höher die Liegezeit, desto höher war die Erstattungssumme: ein Dorn im Auge der neoliberalen Markwirtschaft, da das Prinzip nicht zur Effizienzsteigerung anreizt. Wer derzeit unterdurchschnittliche Kosten verursacht, macht Gewinn, was die Tür für Lohndumping und eine kurzmöglichste Pflegedauer der Patient*innen öffnet.

»Ein Pflegebedarf darf nicht zur Armut führen«, meint Shirin, darum fordert sie ein »Care-Gehalt« für alle pflegenden Eltern und eine rechtliche Absicherung von Angehörigen außerhalb des heteronormativen Kernfamilienmodells. 

Nachdem im Demozug Krankenhausbetten aufgestellt worden sind, zieht die Demonstration mit Techno-Musik Richtung Charité und überrascht kurz davor mit einer Theaterperformance: ein inszenierter Gegenprotest, der »Walk of Cash«. Dabei symbolisieren mehrere Menschen im Anzug und mit Aktenkoffer das profitorientierte Gesundheitssystem, sie rufen »Eure Armut kotzt uns an!«, bis sie sich nach Buhrufen dazu entscheiden, »das Kapital abzulehnen« und sich dem Protest anzuschließen. 

Vor den Charité-Patient*innen, die draußen an der Sonne sitzen, geht es dann weiter. Ins Mikrofon spricht die Pflegefachkraft Soda und gibt einen Einblick, welche diskriminierenden Situationen Soda als trans und nicht-binärer Mensch im Gesundheitswesen erlebt: »Diese Vorfälle sind keine Seltenheit, sie sind die Regel!« Soda macht deutlich: Es müsse gegen Queerfeindlichkeit und Diskriminierung jeder Art vorgegangen werden. »Lasst uns für eine adäquate Repräsentation in Forschung und Lehre kämpfen, gegen Unwissenheit und Fehlinformationen.« 

Der Demozug hält vor dem Bundesgesundheitsministerium und bildet eine Menschenkette, um sich symbolisch »vor einer Gesundheitspolitik zu schützen, die krank macht«. »Die Reförmchen von Karl Lauterbach sind wie ein Pflaster für Multiorganversagen«, sagt eine Sprecherin.

Warum bei Sorgearbeit im Kapitalismus auch über Obdachlosigkeit gesprochen werden müsse, verdeutlicht das solidarische Hilfsnetzwerk Charlottenburg: Denn statt dafür zu sorgen, dass alle Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung und einem sicheren Dach über dem Kopf hätten, kürze der Berliner Senat sozialen Projekten das Geld. »Beispielsweise der Caritas-Krankenwohnung für Wohnungslose in Moabit, der Caritas-Ambulanz am Bahnhof Zoo, den Arztpraxen für obdachlose Menschen am Stralauer Platz und in der Weitlingstraße«, so eine Vertreterin des Netzwerks.

Für einen Vertreter des Demobündnisses geht es auch um einen transnationalen Kontext. »Feministischer Klassenkampf mit Fokus auf Care bedeutet auch, dass wir darüber reden, was in Gaza passiert: Die Lieferung von Hilfsgütern wird verhindert und bald wird dort kein einziges Krankenhaus mehr stehen«, sagt Fred vom Bündnis.

Während der Demonstration versuchen Demonstrierende, mit Transparenten und Regenschirm einen Mann daran zu hindern, Teilnehmende zu filmen. Der Mann ist Uwe R., der auf seinem Youtube-Kanal »Beobachter Live« sein rechtes Gedankengut offenbart. Er taucht immer wieder mit seiner Kamera auf linken Demos auf. 

Am Endpunkt des »Walk of Care«, dem Brandenburger Tor, kommt Emma von der feministischen und antifaschistischen Jugendorganisation Charlottenburg zu Wort, während Touristen Selfies vor den Transparenten machen. »Care-Arbeit ist der Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Wenn wir streiken, steht die Welt still. Keine Gesellschaft kann jemals ohne Care-Arbeit existieren«, sagt sie.

Für unbezahlte, im besten Fall unterbezahlte Reproduktionsarbeit würden zum größten Teil Frauen, queere und migrantische Menschen ausgebeutet, konstatiert sie. »Während Kapitalismus, Kolonialismus und das Patriarchat uns unterdrücken und unsere Arbeitskraft ausnutzen, um sich selbst am Leben zu erhalten, muss es unser Ziel sein, diese Unterdrückung zu zerschlagen.« 

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.