Serie »Eric«: Des einen Diebstahl ist des anderen Fortschritt

Die Thriller-Serie »Eric« mit Benedict Cumberbatch erzählt von einem verschwundenen Jungen im New York der 1980er Jahre

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Vater Vincent (Benedict Cumberbatch) begegnet auf der Suche nach seinem Sohn auch den eigenen Dämonen.
Vater Vincent (Benedict Cumberbatch) begegnet auf der Suche nach seinem Sohn auch den eigenen Dämonen.

Als der neunjährige Edgar Anderson (Ivan Morris Howe) vermisst wird, sind sich Eltern, Polizei und Medien sicher, dass er entführt oder Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Aber stimmt das überhaupt? Die sechsteilige Netflix-Serie »Eric« erzählt vom Verschwinden eines Jungen im heruntergekommenen und von Gewaltkriminalität geprägten Manhattan der 1980er Jahre. Edgar soll ein paar Blocks weit allein zur Schule laufen, kommt dort aber nie an. Sein Vater Vincent (Benedict Cumberbatch) ist der kreative Kopf der an die Sesamstraße erinnernden kommunal finanzierten TV-Show »Good Day Sunshine« und sein Großvater Robert (John Doman) ist Immobilienmogul, der im Zuge einer Aufwertungsstrategie im Schulterschluss mit der Stadtverwaltung Manhattans Obdachlose vertreibt.

Die Eltern sind wegen Edgars Verschwinden völlig verzweifelt, die Polizei findet das blutverschmierte T-Shirt des Jungen und beginnt, Verdächtige festzunehmen, unter anderem den Hausmeister ihres Wohnhauses. Sogar der Vater gerät ins Visier der Ermittler. Aber es gibt keine Spur von Edgar. Während sich Vater Vincent immer mehr im Alkohol verliert und schließlich halluzinierend eine riesige Monsterpuppe sieht, die sein Sohn kurz vor seinem Verschwinden entworfen hat, verteilt Edgars Mutter Cassie (Gaby Hoffmann) Flugblätter und arbeitet mit Kommissar Michael Ledroit (McKinley Belcher III) zusammen.

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»Eric« ist eine akribisch inszenierte 80er-Vintage-Serie mit großartig eingesetzter Musik unter anderem von The Cure, Godley and Creme und 10cc, die mit fortlaufender Handlung immer gesellschaftskritischer wird. Was wie ein ungemein spannender Thriller oder Krimi um ein vermisstes Kind beginnt und das New York vergangener Jahrzehnte bildgewaltig in Szene setzt, entwickelt sich zu einer komplexen Geschichte über Rassismus, Homophobie, soziale Segregation, behördliche Willkür, Korruption, sexuellen Missbrauch und entgrenzte Polizeigewalt.

Der Schwarze Kommissar Michael Ledroit entdeckt einen Zusammenhang mit dem Fall eines anderen vermissten Jugendlichen, der einige Monate zuvor verschwunden ist. Nur ist der nicht weiß, wie das Promi-Kind Edgar, außerdem scheinen Polizeibeamte in den Fall verwickelt zu sein. Als Ledroit, der zu Hause seinen aidskranken Partner pflegt und sein Schwulsein vor homophoben Kollegen verheimlicht, in den eigenen Reihen ermittelt, wird er massiv bedroht.

»Eric« fächert ein faszinierendes großstädtisches Panorama auf und taucht ein in die Welt der Puppenspieler: es geht in zwielichtige Nachtclubs, auf Müllhalden, in die Apartments der oberen Zehntausend und in die unterirdischen Quartiere Obdachloser, die am Rand der U-Bahngleise campieren.

Die Serie erzählt aber auch viel vom Unverständnis sich streitender Eltern gegenüber ihren Kindern, so auch von der Unfähigkeit von Vincents Vater, auf die Kreativität seines Sohnes einzugehen. Der Vater-Sohn-Konflikt wird von Generation zu Generation in abgewandelter Form weitergereicht. Dabei wird die Frage, was ein funktionierendes Zuhause ist, zu einer politischen Angelegenheit, über die im Zuge der mitunter brutalen Vertreibung Obdachloser durch Polizeirazzien auch auf Demonstrationen gestritten wird. »Du liebst diesen Park«, sagt Immobilienmakler Anderson am Ende zu seinem Künstler-Sohn Vincent und weist ihn darauf hin, dass der Central Park Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Enteignung und gewaltsame Vertreibung Schwarzer Communitys entstand, ein historisches Thema, das in New York mittlerweile fester Bestandteil einer öffentlichen Debatte um Gentrifizierung und Rassismus ist. »Manche nennen es Diebstahl, aber es ist Fortschritt«, fasst das der Immobilienverwerter in seiner Logik zusammen.

»Eric« erzählt eine empowernde Geschichte, deren Figuren genau gegen diese Logik kämpfen. Das hat am Ende zwar auch eine fast schon zu schmalzige Wendung, entwickelt aber dennoch in dieser bis zuletzt ungemein spannend inszenierten Geschichte mit unzähligen unerwarteten Wendungen eine narrative Wucht, die auch viel mit den großartigen Schauspielleistungen dieser ungewöhnlichen und absolut sehenswerten Serie zu tun hat.

Verfügbar auf Netflix

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