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  • Solidarität mit der Ukraine

Brücken in Kiews Krankenhäuser

Berliner Krankenhausbewegung und ukrainische Gewerkschafterinnen nähern sich an

Aktivist*innen der ukrainischen Gewerkschaftsinitiative »Be like Nina« auf der Streikversammlung am Lichtenberger Sana-Klinikum
Aktivist*innen der ukrainischen Gewerkschaftsinitiative »Be like Nina« auf der Streikversammlung am Lichtenberger Sana-Klinikum

Brücken bauen zwischen Arbeiter*innen, über nationale Grenzen hinweg: Internationale Solidarität jenseits von leeren Parolen, als praktische Beziehungsarbeit zwischen Betrieben, gilt unter Gewerkschaftsaktiven als Königsdisziplin. Stellt die Organisierung mit den direkten Kolleg*innen am eigenen Arbeitsplatz und für die eigenen Interessen schon eine enorme Herausforderung dar, ist das über Ländergrenzen hinaus um ein Vielfaches schwieriger: Was sind die gemeinsamen Probleme? Was haben wir in Berlin davon, wenn sich andernorts die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern? Und wie lassen sich Kämpfe unterstützen und miteinander führen?

Antworten auf derlei Fragen liegen nicht unbedingt auf der Hand, müssen im jeweiligen Kontext von den Beschäftigten selbst erarbeitet werden. Aktivist*innen der von der Gewerkschaft Verdi geführten Berliner Krankenhausbewegung und von »Be like Nina« (Sei wie Nina), einer ukrainischen Initiative von Krankenhausbeschäftigten, gehen nun erste Schritte in diese Richtung.

»Unsere Probleme sind die gleichen«, sagt Oksana, Gründungsmitglied von »Be like Nina«. Gisela Neunhöffer, Gewerkschaftssekretärin von Verdi, bestätigt den Eindruck: Die ähnlichen Probleme der Krankenhausbeschäftigten sind eine Verbindungslinie. Protagonist*innen der ukrainischen und deutschen Gewerkschaftsbewegung waren am Samstag im Haus der IG Metall in Kreuzberg zu einer Konferenz zusammengekommen, um den Abbau sozialer Rechte in der Ukraine und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erörtern.

»Be Like Nina« geht auf einen Facebook-Beitrag einer gleichnamigen Krankenschwester an einem Kiewer Krankenhaus zurück. 2019 hatte sie sich öffentlich über die Arbeitsbedingungen beschwert und dazu aufgerufen, sich diesbezüglich zu organisieren. Der Beitrag erntete enormen Zuspruch: 24 000 Mal wurde er geteilt. Es folgten kleine Kundgebungen, eine Facebook-Gruppe wurde gegründet. In vielen Städten entstanden Initiativen. Die Einrichtung als Gewerkschaft wurde wegen rechtlicher Hürden vom Justizministerium untersagt. Doch als nächstes will der mittlerweile 80 000 Mitglieder umfassende Verein diesen Schritt rechtssicher nachholen.

»Unsere Initiative will alle Mitarbeiter vertreten, unabhängig von ihrer Position und ihrer Funktion, auch die Reinigung beispielsweise«, sagt Oksana. Für Fachkräfte habe es mitunter Verbesserungen gegeben, aber nicht für die Einstiegsberufe. »Der Krieg hat Bewegungen in diese Richtung zunichte gemacht.« Die Belegschaften beantworteten die Zustände mit Kündigungen. »Die Verteidigung der Arbeitnehmer liegt brach. Die Arbeitgeber, die Wirtschaft sollen während des Krieges nicht geschwächt werden, heißt es«, sagt Oksana.

Maria von »Be Like Nina« empört sich über die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, insbesondere an Krankenhäusern, die in der Nähe der Front liegen. »Es mangelt an Personal. Während die Leitungskräfte Prämien bekommen, wird das Pflegepersonal in Freiräumen, Zulagen und Urlaubstagen beschnitten«, sagt Maria. »Ich bin ehrenamtliche Medizinerin und kümmere mich um die medizinische Versorgung unserer Soldaten.« Zu viert sitzen die Ukrainerinnen an einem Tisch, von dem eine blau-gelbe Flagge herunterhängt. Als Abschiedsgeschenk lässt die kleine Delegation die Flagge mit ihren Unterschriften in Berlin.

Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer berichtet davon, wie Verdi mittels Tarifverträgen personelle Entlastung durchgesetzt habe. Sie empfehle »Be like Nina«, ein System von Mitgliedsbeiträgen einzurichten, damit die Organisation unabhängig überleben könne. Zudem sei es ratsam, anhand eines Beispielbetriebs zu veranschaulichen, wie Gewerkschaften Verbesserungen für die Beschäftigten erreichen können. Dazu brauche es einen Plan und bezahlte Organizer*innen, dann kämen Mitglieder und Einnahmen.

Mit Mitgliedsbeiträgen hätten sie schon angefangen, sagt Oksana. Allerdings lägen sie bei 50 Cent pro Monat, um die Beschäftigten während des Krieges nicht zu sehr zu belasten. Entlastungstarifverträge seien hingegen schwierig: »In der Ukraine ist den Beschäftigten im Gesundheitswesen der Streik per Gesetz verboten, nicht erst seit dem Krieg.«

Nicht erst seit Kriegsbeginn arbeiten ukrainische Migrant*innen an Berliner Krankenhäusern. Es gebe ein Netzwerk, mit dem »Be like Nina« in regelmäßigem Austausch stehe, sagt Oksana »nd«. Neunhöffer zeigt sich interessiert, fragt, ob »Be like Nina« innerhalb des Netzwerks nicht für Verdi werben könne.

Auch wenn sich beide Bewegungen gerade erst kennengelernt haben, der Grundstein für eine Beziehung scheint gelegt. Am Montag und Dienstag ist die ukrainische Delegation beim Streik am Lichtenberger Sana-Klinikum zu Gast, um deutschen Arbeitskampf in der Praxis zu erleben.

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