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Kleben statt hungern: Klima-Hungerstreik in Berlin beendet
Klima-Hungerstreikende beenden nach 99 Tagen ihre Aktion
Nach der Pressekonferenz der Kampagne »Hungern bis ihr ehrlich seid!« am Donnerstagvormittag geht es schnell: Gerade eben noch wurde das Ende des 99 Tage andauernden Hungerstreiks bekannt gegeben, da folgt schon die nächste Aktion. Wolfgang Metzeler-Kick, der in den vergangenen Monaten das Gesicht des Hungerstreiks war, tritt vor das Zelt am Invalidenpark in Mitte und läutet eine kleine Glocke. Dann verlässt er das Camp in Richtung Invalidenstraße. In seiner Hand ein Schild auf dem steht: »Es gibt kein CO2-Restbudget«. An der Straße angekommen, wartet er den passenden Moment ab – und setzt sich auf die Fahrbahn.
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Adrian Lack, der auch zu den Hungerstreikenden gehörte, tut es ihm gleich; genau wie Marlene Stolze, die eben noch als Sprecherin der Kampagne durch die Pressekonferenz geführt hatte. Nach wenigen Augenblicken sind es etwa zehn Menschen, die einen Teil der Invalidenstraße blockieren, nicht weit vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Metzeler-Kick drückt eine Tube Sekundenkleber nach der anderen aus – er ist der Einzige, der sich heute auf die Straße klebt. Die Autos vor ihm beginnen zu wenden. Das können die drei Trams nicht, denen der Weg versperrt ist.
Eigentlich hatten die Klimaaktivisten in den Invalidenpark eingeladen, um anzukündigen, wie es mit der Kampagne weitergeht. Nun die Mitteilung: Es geht überhaupt nicht weiter. Letzten Donnerstag wollten die Aktivist*innen noch in den trockenen Hungerstreik treten, also auch auf Flüssigkeit verzichten. Diesen Plan brachen sie ab, angeblich, um nicht als Erpresser dazustehen. Stattdessen räumten sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine einwöchige Frist ein, um mit ihnen ins Gespräch zu treten. Auch auf dieses Angebot ging der Kanzler nicht ein.
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Ursprünglich hatte die Kampagne »Hungern bis ihr ehrlich seid!« von Scholz eine Regierungserklärung gefordert, in der er sich dazu bekennt, dass bereits jetzt Hunderte Gigatonnen zu viel CO2 in der Luft seien und dass die Politik radikal umsteuern müsse. Scholz wiederum sagte mehrmals, er werde nicht auf diese Forderungen eingehen.
Insgesamt acht Menschen verweigerten seit dem 7. März unterschiedlich lange die Nahrungsaufnahme. Begonnen hatte den Hungerstreik der 49-jährige Umweltingenieur Wolfgang Metzeler-Kick, 92 Tage lange verzichtete er auf Essen. Erst am Dienstag hatte sich mit der 46-jährigen Sona die erste Frau der Kampagne angeschlossen.
Zu den Hungerstreikenden gehörte auch Adrian Lack. Nach eigenen Angaben hatte er 39 Tage lang weder gegessen noch gesprochen. »Ich wollte schweigen, bis der Kanzler sein Schweigen bricht«, sagt er auf der Pressekonferenz. Doch nun war er es, der auf der Pressekonferenz sein Schweigen brach: »Wir müssen erkennen: die Politik und die Medien sind nicht bereit für die Wahrheit«, sagte er. »Und wir ziehen daraus den einzig richtigen Schluss: das Ende des Hungerstreiks und der Kampagne ›Hungern bis ihr ehrlich seid!‹.«
Dieser Schritt hatte sich bereits angedeutet, als die Aktivisten ihre Androhung eines trockenen Hungerstreiks nicht wahrgemacht hatten. Dafür hatte es letztendlich auch innerhalb der Gruppe nicht ausreichend Unterstützung gegeben, so Lack. Von internen Spannungen berichtete laut der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« auch Richard Cluse, der seinen Hungerstreik bereits am Montag nach 76 Tagen abbrach: »Die Situation im Camp und in der Kampagnen-Organisation fügt den dort aktiven Menschen erheblichen Schaden zu«, sagt er. Er habe nicht mehr die Kraft, diese Fehlentwicklung zu korrigieren, begründete er seinen Ausstieg.
Adrian Lack beendete sein Statement mit einem Aufruf zum Protest: »Wer sich dazu bereit fühlt, kann sehr Wirksames tun«, sagt er. »Zum Beispiel Kohlekraftwerke oder Autobahnen blockieren, Entscheidungsträger und Profiteure des fossilen Wahnsinns mit ihren Verbrechen konfrontieren, spritfressende SUV oder andere zerstörerische Maschinen unschädlich machen, Pipelines abdrehen oder einfach in die Luft jagen – oder einen Hungerstreik machen.«
Sichtlich gerührt wandte sich zum Schluss auch noch Wolfgang Metzeler-Kick an die Presse. Mit brechender Stimme sagte er zu den Mitstreikenden und den Unterstützer*innen der Kampagne: »Krass fett, vielen lieben Dank.« Vom Bundeskanzler zeigte er sich indes enttäuscht: »Ich sehe es so, dass die Regierung Scholz im Dienst der Kräfte steht, welche unsere Erde und unsere Zukunft ausbeuten und wie Junkies in kurzfristige Profite wandeln.« Seiner Ansicht nach habe Scholz gezeigt, dass er eher die Hungernden sterben lassen würde, als die Wahrheit auszusprechen. Doch Metzeler-Kick betonte auch, dass es technisch noch möglich sei, den CO2-Gehalt in der Luft auf die notwendigen 350 ppm (parts per million) zu senken. Doch »das Zeitfenster für sinnvolles Menschliches Handeln schließt sich zusehends«. Auch er beendete seine Ansprache mit einem Appell an die Klimabewegung: »Ich rufe euch dazu auf: macht, was euch Spaß macht. Wenn es euch Spaß macht, Pipelines in die Luft zu sprengen, dann lasst euch dabei bitte nicht erwischen, aber ich werde mich euch dabei nicht in den Weg stellen.«
Nach Spaß sah es allerdings nicht aus, als er sich direkt im Anschluss daran auf die Straße klebte: Autos hupten ihn ununterbrochen an, aus heruntergelassenen Fensterscheiben prasselten Beleidigungen auf ihn ein und zwei Handwerker machten sich von einem Baugerüst aus über ihn lustig. Während der Blockade sagte Metzeler-Kick in eine Kamera, er werde erst einmal keine Aktionen mehr initiieren, aber gerne bei anderen mitmachen. Am liebsten in seiner Heimat Bayern, legte er in breitem Dialekt nach. Etwa eine halbe Stunde, nachdem sich Metzeler-Kick auf die Invalidenstraße geklebt hatte, konnten die Trams ihre Fahrt fortsetzen. Eine Straßenblockade ist eben schneller beendet, als ein Hungerstreik.
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