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Krieg in der Ukraine: Ein Gipfel zur falschen Zeit

Die Schweizer Friedenskonferenz wird den Ukraine-Krieg nicht beenden, darüber wird woanders entschieden

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 6 Min.
Ukrainische Front im Februar 2024: Portrait des Soldaten Solist, Donbass, Oblast Donezk.
Ukrainische Front im Februar 2024: Portrait des Soldaten Solist, Donbass, Oblast Donezk.

Wolodymyr Selenskyj hat Tage voller Zuspruch hinter sich. In der Normandie ließ er sich beim Gedenken an den D-Day als Befreier vom Hitlerfaschismus feiern, bei der Wiederaufbaukonferenz in Berlin versprach Deutschland Hilfe bei der Beseitigung der Kriegsschäden und auf dem G7-Gipfel in Italien erhielt die Ukraine einen neuen 50-Milliarden-Dollar-Kredit, finanziert von eingefrorenen russischen Staatsgeldern. Dazu noch Sicherheitsabkommen mit den USA und Japan.

Die Krönung sollte an diesem Wochenende auf der »Konferenz zum Frieden in der Ukraine« im schweizerischen Bürgenstock erfolgen. Doch schon vor der Ankunft der Teilnehmer am Vierwaldstätter See ist klar, dass der Krieg in der Ukraine hier nicht beendet wird, das Land nach über zwei Jahren russischer Invasion nicht so schnell auf einen Frieden hoffen darf.

Gipfel wird kein Erfolg in Selenskyjs Sinne

Dass der Friedensgipfel »scheitern« und nicht das von Selenskyj gewünschte »Zeugnis des kollektiven Willens der verantwortungsbewussten Länder der Welt« wird, hat mehrere Gründe. Die Idee zur Konferenz stammt noch von Ende 2022, als die Ukraine die Gebietshauptstadt Cherson befreite und die Armee fest daran glaubte, bis zum Sommer 2023 Russlands Truppen gänzlich aus dem Land verdrängt zu haben. Doch die Vorzeichen haben sich geändert, im Kampfgebiet wie in der Diplomatie. Aus dem Krieg ist ein Stellungskrieg mit leichtem russischen Vordringen geworden, China scheint immer fester an der Seite Moskaus zu stehen.

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Auch mit dem Signal der breiten Front, die Russland gegenübersteht, steht es aus ukrainischer Sicht nicht zum Besten. Noch kurz vor dem Gipfel war nicht klar, wer eigentlich teilnehmen wird. Anfang Juni sprach die Ukraine noch von 107 Staaten und Organisationen, die Vertreter schicken, wenige Tage vor dem Gipfel war die Zahl auf 90 geschrumpft. Das US-amerikanische Staatsmedium »Radio Swoboda« sprach am Mittwoch sogar von lediglich 78, was Kiew umgehend dementierte.

Absagen sorgten für Unruhe in Kiew

Wegen der vielen Absagen, darunter von Schlüsselländern wie China und Saudi-Arabien, soll in den vergangenen Monaten »Paranoia« in Kiew geherrscht haben, heißt es in der »Financial Times«. Ein Gipfel ohne Joe Biden und Xi Jinping würde dem Gipfel seine Glaubwürdigkeit nehmen. Selenskyj habe Beamten und Abgeordneten deshalb befohlen, die USA und China öffentlich zu kritisieren, so die »Financial Times«.

Genützt hat es nicht viel. Joe Biden verbringt das Wochenende lieber in Hollywood, um dort Wahlkampfspenden zu sammeln. Und Selenskyj versucht dazu, eine gute Miene zu machen. Immerhin kommt Vizepräsidentin Kamala Harris.

Von der »Friedensformel« bleibt kaum was über

Selenskyj sah sich früh gezwungen, auf den Großteil seiner »Friedensformel« zu verzichten, um auch nur halbwegs das Bild der breiten Front erzeugen zu können. Den westlichen Partnern scheinen viele Forderungen unrealistisch, andere Länder halten sie geradezu für absurd. Um vor allem den Globalen Süden anzusprechen, verbleiben drei von zehn Punkten der »Friedensformel«: Sicherheit der Atomenergie, Sicherung der Lebensmittelversorgung und der Gefangenenaustausch. »Das ist der Kern, den ich von der Konferenz erwarte«, sagte Selenskyj.

Schon lange bevor am Sonntag die Erklärung verabschiedet wird, steht damit bereits fest, dass das Ergebnis absolut nicht das ist, was Kiew sich erwünscht hat. Spätestens mit der »Friedensformel« hatte Selenskyj den Anspruch erhoben, dass nur er alleine die Bedingungen für den Frieden in seinem Land bestimmen dürfe. Der Schweizer Gipfel zeigt, dass nicht alle in der Welt das so sehen.

Ziel des Gipfels ist Profilierung, nicht der Friedensplan

Dennoch wird die Ukraine alleine den Fakt des Gipfels und die Verabschiedung einer bislang inhaltlich unbekannten Erklärung für sich als Sieg verkaufen. Oder um es mit den Worten des US-amerikanischen Außenpolitikexperten Charles Kupchan (gegenüber der NZZ) zu sagen: »Das ist ein Versuch der Ukraine, die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen, besonders im Globalen Süden. Es geht weniger darum, einen praktikablen Friedensplan vorzulegen, als sich vor der Weltöffentlichkeit zu profilieren.«

Es wird nicht nur keinen umsetzbaren Friedensplan geben, es ist auch überhaupt nicht klar, wie man Russland zwingen will, die Beschlüsse von Bürgenstock umzusetzen, gibt der ukrainische Politikwissenschaftler Kost Bondarenko zu bedenken. Denn der Kriegsgegner Russland ist an diesem Wochenende auf Drängen Kiews nicht dabei.

Schweiz hätte Russland gerne mit am Tisch

Allein schon aus ihrem Selbstverständnis als neutraler Staat hätte die Schweiz Russland gerne eingeladen. Außenminister Ignazio Cassis hatte auch zu Beginn der Vorbereitungen darauf hingewiesen, dass man Selenskyjs »Friedensformel« »anpassen« müsse, damit auch Russland mit ihr arbeiten kann. Für Selenskyj jedoch ein No-Go.

Eine Zwickmühle für die Gastgeber, die Moskau vorläufig mit seiner Absage auflöste. Und Selenskyj die Gelegenheit bot, bei jeder sich bietenden Möglichkeit zu behaupten, Russland torpediere die Konferenz. In der Tat hat Moskau Druck auf Länder des Globalen Südens ausgeübt und immer wieder verlautbaren lassen, dass man eigentlich an Gesprächen interessiert sei, ohne konkrete Vorschläge zu machen und wohl wissend, dass Selenskyj darauf nicht eingehen wird.

Russland nennt seine Bedingungen für Verhandlungen

Beobachter halten die Aussagen für den Versuch, Zeit zu schinden und sich eine Verschnaufpause zu verschaffen. Auch am Freitag direkt vor dem Schweizer Gipfel sprach Wladimir Putin im russischen Außenministerium erneut von Verhandlungen. Voraussetzung dafür seien der ukrainische Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft und der Abzug von Truppen aus den von Moskau im Herbst 2022 annektierten Gebieten. Deren Zugehörigkeit zu Russland soll per Vertrag anerkannt werden.

Die erwartbar negative Antwort aus Kiew folgte prompt. Putins Initiative enthalte keinen »realen Friedensvorschlag«, erklärte Mychajlo Podoljak, Berater im Präsidentenbüro.

Streit um Legitimität der Präsidenten

Dabei ist nicht ganz klar, an wen Putin die Forderung eigentlich gerichtet hat. Aus Sicht des Kreml ist Selenskyj seit dem 20. Mai nicht mehr ukrainischer Präsident, seitdem die fünfjährige Amtszeit abgelaufen ist und die Neuwahl wegen des Kriegs ausgesetzt wurde. Selenskyj spricht seinerseits Putin nach der gefälschten Wiederwahl im März die Legitimität ab. Bilaterale Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau scheinen daher undenkbar.

Russland setzt in letzter Zeit daher verstärkt auf Chinas Friedensplan, den Peking Anfang 2023 vorlegte und zuletzt vor allem im Globalen Süden verstärkt propagierte. Den würden bereits 45 Länder unterstützen, 20 weitere würden ihn »ernsthaft in Betracht ziehen«, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters und bezeichnet das aktive Werben als »subtilen Boykott« des Bürgenstock-Gipfels.

Im Herbst wird in Saudi-Arabien weiterverhandelt

Die Situation um die Ukraine ist festgefahren. Eine Lösung und damit ein Ende des Tötens kann es nur geben, wenn alle Akteure einbezogen werden. »Die Ukraine kann nicht eigenständig einen Kompromiss suchen. Ein nachhaltiger Frieden ist nur im Falle eines großen Kompromisses zwischen dem Globalen Süden, Russland und dem Westen möglich«, analysiert Politologe Bondarenko.

Das weiß man auch in der Schweiz. Man arbeite auf eine zweite Konferenz »in einem anderen Land und mit Russland« hin, sagte die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd in der Woche vor dem Gipfel. Auch Außenminister Cassis sprach am Montag über Nachfolgeverhandlungen, die »außerhalb der westlichen Welt« fortgeführt werden sollen. Selenskyjs »Zeugnis des kollektiven Willens« schrumpft damit zum ersten Schritt eines Friedensprozesses, der aller Voraussicht nach im Herbst in Saudi-Arabien weitergeführt wird.

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