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- Polizeiprozess in Dortmund
»Einpfeffern jetzt, das volle Programm«
Verhandlung zum Totschlag von Mouhamed Dramé fördert Absprachen und eine Falschaussage zutage
Nach dem tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund, bei dem am 8. August 2022 der jugendliche Senegalese Mouhamed Lamine Dramé getötet wurde, verhandelt das Landgericht seit Dezember gegen fünf beteiligte Beamt*innen. Zuletzt haben der damalige Einsatzleiter Thorsten H. sowie der Todesschütze Fabian S. ausgesagt, sie sind wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung beziehungsweise Totschlags angeklagt – Dramé starb, nachdem er von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole getroffen und zuvor mit Pfefferspray sowie Tasern angegriffen worden war. Den Tod Dramés hat der angeklagte S. vor zwei Wochen gegenüber zwei Brüdern des Toten, die im Prozess als Nebenkläger auftreten, bedauert.
Am 15. Verhandlungstag am Freitag sagte nun die letzte angeklagte Polizistin aus: Die heute 29-jährige Pia B. ist seit dem Beginn ihrer Karriere auf der Dortmunder Nordwache, die für den tödlichen Einsatz zuständig war, beschäftigt. Inhaltlich wich ihre Aussage kaum von der ihrer Kolleg*innen ab. Nüchtern schilderte sie, wie man sich zunächst abseits der Jugendwohngruppe sammelte und mit dem Einsatzleiter den Ablauf besprach. Sie bestätigte, dass bekannt gewesen sei, dass Dramé ein Messer gegen seinen Bauch richtete – in suizidaler Absicht. Ein Mitarbeiter der Jugendeinrichtung habe darüber hinaus den Beamt*innen unmittelbar nach ihrem Eintreffen von der psychischen Verfasstheit Dramés berichtet: Dieser war am Tag zuvor aus der Jugendpsychiatrie entlassen worden.
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Routiniert wie alle bisher gehörten Angeklagten und Polizeizeug*innen gab B. danach den Einsatzverlauf in dem von Wänden und Zäunen umschlossenen Garten der Einrichtung wider: Wie Beamte in Zivil den Jugendlichen zunächst kurz ansprachen ohne sich als Polizisten zu erkennen zu geben, sich ihm dafür bis auf kürzeste Distanz näherten. Einer der Beamten habe sich gar vor ihm hingehockt. Nach ausbleibender Reaktion Dramés rückte der uniformierte Einsatztrupp vor, B. dabei hinter der Motorhaube eines im Hof geparkten Kleinwagens.
Dann sei der Befehl »Einpfeffern jetzt, das volle Programm« durch den Garten gerufen worden, sagte die Beamtin aus – ohne dass der Einsatz dem Opfer zuvor angedroht wurde oder dieses zum Hinlegen des vor sich gehaltenen Messers aufgefordert wurde. Dann habe sie einen Taser eingesetzt. Gefragt, ob dieser eine Wirkung entfaltet habe, entgegnet die Angeklagte: »Das kann ich nicht beurteilen, weil die Schüsse dann auch schon fielen«. Die polizeilichen Maßnahmen, die letztlich zum Tod Dramés führten, gingen, so die Angeklagte, »ineinander über«.
Da die bisherige Beweisaufnahme im Prozess den Ablauf des Einsatzes weitestgehend unstrittig nachzeichnet, sind derartige Details wichtig. Denn immer stellen die beteiligten Polizist*innen den Ablauf, nach dem Dramé tot zurück blieb, als unvermeidbar dar. Womöglich erfolgten die unmittelbare Anwendung der Einsatzmittel aber auch durch die Kategorie des Einsatzes, der als »Messerlage« bezeichnet wurde.
Ebenfalls im Zentrum der derzeitigen Prozessphase steht die Glaubwürdigkeit von Zeug*innen. Am Verhandlungstag vergangene Woche hatte einer der verteidigenden Rechtsanwälte Anschuldigungen gegen Mitarbeiter*innen der Jugendwohngruppe erhoben und versucht, Widersprüche in deren Aussagen zu konstruieren. Zuletzt warf er einer der bis heute durch das Erlebte stark bewegten Mitarbeiterin gar »intentionale Falschaussagen« vor.
Am Freitag jedoch platzte in der Befragung der Angeklagten Pia B. zudem eine kleine Bombe. Einer der bereits befragten und ebenfalls am Einsatz beteiligten Beamten steht ihr deutlich näher als von ihm selbst vor Gericht behauptet: Der Polizist Kevin S.F, der sich Dramé in Zivil bis auf kürzeste Distanz genähert hatte, ist oder war mit der Angeklagten liiert. In seiner eigenen Zeugenbefragung hatte er dies auf explizite Nachfrage der Staatsanwältin verneint. Eine mögliche Falschaussage, die die Angeklagte B. im Kreuzverhör durch die Nebenklagevertreterin Lisa Grüter nicht aufrecht erhalten wollte oder konnte und zugab, sie »könne sich auch nicht erklären, weshalb er das so gesagt« habe.
Widersprüchlich ist auch die polizeiinterne Kommunikation über die Tat. Der Angeklagten Pia B. unterstand am Einsatztag ein junger Kommissaranwärter, dessen Mentorin sie auch war. Dieser hatte vor Gericht angegeben, lediglich mit seinem Vater – der, so legen Recherchen des »nd« nahe, als Hundertschaftsführer bei der Dortmunder Polizei arbeitet – über den Einsatz gesprochen zu haben, jedoch nicht mit Kolleg*innen. In einem Chat hat B. dem jungen Anwärter jedoch Hinweise zu seiner Aussage gegeben, etwa »erstmal nicht begründen, warum wir was gemacht haben«. Auf die Nachfrage des Auszubildenden, ob er »irgendwo drauf nicht antworten« solle entgegnet B.: »Alles was subjektiv ist, wie du dich gefühlt hast oder warum du was gemacht hast.«
Dass die bisher nur in Teilen vor Gericht erörterten internen Chatnachrichten überhaupt vorliegen, liegt an weiteren Ungereimtheiten, die in den Tagen und Wochen nach den Todesschüssen intern die Dortmunder Polizei beschäftigten. So hat es unmittelbar nach der Erschießung Dramés ein Gespräch zwischen dem Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange und allen am Einsatz beteiligten Beamt*innen gegeben.
Das Bekanntwerden dieses Treffens veranlasste Oberstaatsanwalt Carsten Dombert Mitte September 2022 dazu, die Handys aller Beschuldigten sicherstellen und von der Kriminalpolizei Recklinghausen auswerten zu lassen – im Raum steht eine mögliche Absprache und Zeug*innenbeeinflussung. Hinweise darauf gibt es: Dem mitangeklagten Einsatzleiter hatte B. demnach geschrieben: »Hi Thorsten, nur zur Info falls du es nicht schon gehört hast: Lea und Luca sind jetzt auch vorgeladen.« Dieser antwortete: »Oh, das ist gegen die Absprachen. Ich bin gestern mit Luca noch gefahren und wir haben gesprochen. Braucht er noch Hilfe bei so einer Vernehmung?.«
In den gesicherten Chatnachrichten geht es auch um einen Direktionsleiter für »Gefahrenabwehr« im Polizeipräsidium, der sich offenbar ebenfalls mit den Zeug*innen und Angeklagten getroffen hat. »Heute Abend kommt der S. noch vorbei und will ein «informelles Gespräch» mit uns führen. Das ist aber wohl eigentlich nicht so ganz erlaubt und er bewegt sich dabei auf dünnem Eis«, schrieb die Angeklagte B. dem mit ihr liierten Polizeizeugen.
Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt. Im Juli und August folgt eine Sommerpause, es finden aber sogenannte »Schiebetermine« statt, während derer nur Akten oder Gutachten verlesen werden. Im September sind vier weitere Prozesstage angesetzt. Diese dokumentiert der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed mit kurzem zeitlichen Abstand auch auf seiner Webseite.
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