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Sipri-Jahresbericht: Nukleare Gefahr enorm gewachsen
Studie: Ausgaben für Atomwaffen binnen fünf Jahren um ein Drittel angestiegen
Die Warnung könnte eindringlicher kaum sein: »Wir leben in einer der gefährlichsten Zeiten in der Geschichte der Menschheit«, sagte Dan Smith, Direktor des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts Sipri, am Montag bei der Vorstellung des Jahresberichts der Einrichtung. »Es ist an der Zeit für die Großmächte, einen Schritt zurückzutreten und nachzudenken. Am besten gemeinsam«, mahnte er.
Der Bericht befasst sich vor allem mit der atomaren Aufrüstung. Zwar gehe die Gesamtzahl der Atomsprengköpfe weiter zurück, so Smith. Doch zugleich steige die Menge der einsatzbereiten nuklearen Sprengköpfe seit Jahren. Derzeit beläuft sich ihre Zahl auf etwa 9600. Etwa 2100 davon werden in »hoher Alarmbereitschaft« gehalten. Das bedeutet, dass sie auf ballistische Raketen montiert und damit abschussbereit sind.
Ingesamt verfügten die Atommächte laut Sipri-Bericht über gut 12 100 Sprengköpfe. 90 Prozent davon befinden sich im Besitz der USA und Russlands. Erstmals halte in diesem Jahr vermutlich auch China, das insgesamt über 500 Sprengköpfe verfügt und damit inzwischen Rang drei der Atommächte einnimmt, einige davon in hoher Alarmbereitschaft. »China baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land«, sagte Sipri-Experte Hans Kristensen. Doch ausnahmslos alle Atommächte strebten nach einer Aufstockung ihrer Bestände.
Zugleich kooperierten die Staaten weniger bei der Bereitstellung von Daten über ihre Aktivitäten. Insbesondere die Transparenz in Bezug auf die Nuklearstreitkräfte der beiden führenden Länder habe nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine abgenommen, beklagen die Sipri-Experten.
»Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen«, sagte Sipri-Forscher Wilfred Wan. Die weiteren Atommächte sind Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea.
Ebenfalls am Montag legte die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) eine Studie zu den Ausgaben für dieselben vor. Sie seien in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Drittel angestiegen, heißt es darin. »Wir können von einem nuklearen Wettrüsten sprechen«, sagte Ican-Chefin Melissa Parke.
2023 gaben die Atommächte laut der Untersuchung zusammen 91 Milliarden Dollar (85 Milliarden Euro) für ihre nuklearen Waffenarsenale aus. 2018 waren es noch 68,2 Milliarden Dollar (63,7 Milliarden Euro) gewesen. Im Vergleich zu 2022 stiegen die Gesamtausgaben im vergangenen Jahr laut Bericht um 10,8 Milliarden Dollar (10,1 Milliarden Euro).
Die USA investierten laut der Studie 51,9 Milliarden Dollar und damit mehr als alle anderen Atommächte zusammen. Washington sei auch für 80 Prozent der weltweiten Mehrausgaben im vergangenen Jahr verantwortlich. Der zweitgrößte Investor war China mit Ausgaben von 11,8 Milliarden Dollar. An dritter Stelle folgte Russland mit 8,3 Milliarden Dollar.
Seit 2018 gaben die neun Atommächte 387 Milliarden Dollar (fast 362 Milliarden Euro) für Atomwaffen aus. »Diese Zahlen sind obszön«, sagte Parke. Diese Milliarden seien »eine grundlegende und unakzeptable Fehlnutzung öffentlicher Gelder«. Mit der Summe könne das Welternährungsprogramm den Hunger in der Welt beenden.
Die Ican hatte 2017 den Friedensnobelpreis für ihren Beitrag bei der Ausarbeitung des im Januar 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrags erhalten. Keine der neun Atommächte ist unter den 70 Staaten, die das Abkommen ratifizierten.
Christoph von Lieven, Atomwaffenexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace, rief die Bundesregierung auf, den Beitritt Deutschlands zum Verbotsvertrag in die Wege zu leiten und die Nato dazu zu drängen, dies ebenfalls zu tun. Die wachsende Gefahr eines unbeabsichtigten Atomkrieges sei »zu existenziell«, um ihr nichts entgegenzusetzen, betonte er. »Es ist an der Zeit, dass die Nato einen atomaren Erstschlag explizit ausschließt«, mahnte von Lieven. Darauf solle Deutschland drängen. mit AFP
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